Seefahrtserinnerungen – Anthologie. Jürgen RuszkowskiЧитать онлайн книгу.
Ich tat dies dann auch, und da entdeckte ich ein kleines Schiff mit dem Namen „SEEHUND", welches hinter einem Fischkutter lag.
Ich war sehr erschrocken, denn mit so einem kleinen Schiff hatte ich nicht gerechnet. Der Matrose, der an Deck stand, schmiss mir eine Leine zu, und so konnte ich meine sieben Sachen an der Kaimauer runter lassen. Es war gerade Niedrigwasser, und ich hatte einige Schwierigkeiten an Bord zu kommen. Als ich dann an Deck war, stellte sich heraus, dass sich der Kapitän nicht an Bord befand und der Matrose allein auf dem Schiff war. Nachdem ich meine Sachen in der Kajüte verstaut hatte, stellte ich mich dem Matrosen vor. Er hieß Gerd und kam aus Thüringen. Danach zeigte er mir erst mal das ganze Schiff und erklärte mir meine zukünftigen Aufgaben. Anschließend musste ich Tee aufbrühen.
Die SEEHUND hatte Libby-Milch-Dosen geladen, in große Kisten verpackt und für Hamburg bestimmt. Es waren ca. 125 Tonnen. Der Kapitän kam am nächsten Morgen an Bord. Ich musste mich vorstellen und mein Seefahrtbuch abgeben. Er erklärte mir, dass ich 25,- DM Heuer pro Monat bekäme plus Essen und Logis. Ein Matrose bekam etwa 200,- DM.
Dann ging es auch gleich zur Sache. Ich musste vorne die Leinen loswerfen, und dann fuhren wir auf die offene Nordsee. Das Wetter war nicht besonders freundlich, es regnete, wir hatten Windstärke 6 bis 7, und so sollte es auch bleiben bis Hamburg. Nach etwa einer Stunde erreichten wir den Normeyer Seegat. Unsere SEEHUND fing heftig an zu schaukeln, so dass mir schlecht wurde und ich ziemlich blass war. Der Kapitän sagte, ich sei wohl seekrank. Ich musste mich dann auch mehrmals übergeben. An Essen war erst gar nicht zu denken. Dieser Zustand hat insgesamt zwei Tage gedauert. Der Matrose Gerd musste mich bei meiner Arbeit unterstützen. Nachdem ich wieder einigermaßen zu mir gekommen war, lagen wir bereits auf der Elbe bei Krautsand vor Anker. Es war Nebel aufgekommen, der sich erst am nächsten Morgen wieder auflöste, so dass wir danach unsere Fahrt fortsetzen konnten. Am Nachmittag legten wir dann im Hamburger Hafen am Bestimmungskai an. Als unser Schiff entladen war, bekamen wir sofort eine Ladung Getreide für Duisburg. Es lagen sehr viele Kleinschiffe längsseits eines großen Getreidedampfers. Ich habe mich gewundert und mich gefragt, wo die alle herkamen. Den Hamburger Hafen hatte ich mir anders vorgestellt. Ich war ziemlich überrascht, dass der Hafen und die Stadt so schlimm zerstört waren. Die Elbbrücken sowie der Elbtunnel waren noch gut passierbar.
Bis nach Duisburg war es eine lange See-, Fluss- und Kanalfahrt. Das heißt, wir fuhren die Ems hoch, und zwischendurch passierten wir viele Kanäle. In Duisburg sah es auch nicht viel besser aus als in Hamburg.
Unsere SEEHUND mit ihrem runden Steven war sehr schlecht zu steuern. Ich habe das Steuern schnell gelernt, musste teilweise aber auch mal sechs bis acht Stunden am Steuer stehen. Viele Kleinschiffe lagen in Cuxhaven und warteten darauf, wer die Führung übernehmen würde auf dem Weg durch die Außenelbe in die Nordsee Richtung Borkum und dann wieder in die Ems. Die meisten Schiffe kamen aus Haren an der Ems. Alle Schiffe, egal ob groß oder klein, mussten den so genannten Zwangsweg einhalten, da noch immer viele Treibminen gesichtet wurden. Ab und zu kam es auch vor, dass ein Schiff auf solch eine Treibmine auflief. Man konnte die Explosion weit entfernt noch gut hören.
Wir transportierten auf unserem Schiff viele verschiedene Güter, zum Beispiel Kohle von Emden nach Hamburg, Milch von Leer nach Hamburg, Getreide von Hamburg nach Duisburg sowie Steine von Ditzum für den Wiederaufbau nach Hamburg.
Wir hatten mal wieder Steine in Ditzum geladen, um sie nach Hamburg zu bringen, als wir in schlechtes Wetter kamen. Plötzlich befanden wir uns zwischen dem Weser-Feuerschiff und der „ELBE 1" in einem Meer von Apfelsinen, welche einem anderem Schiff bei dem schlechten Wetter über Bord gegangen waren. Diese einmalige Gelegenheit haben wir uns nicht entgehen lassen und die damals so begehrten Früchte stundenlang aus der kalten Elbe gefischt, an Bord verstaut und anschließend in den Seemannskneipen „Große Freiheit“, „Leuchtturm“ und „Oberbayern“ für 20 Pfennig pro Stück verkauft. Die Nachfrage war so groß, dass ich sogar zu bescheidenem Reichtum gelangte. Allerdings war ich anschließend ein halbes Jahr arbeitsunfähig, denn ich hatte mir beim Bergen der „Ware“ eine Unterkühlung zugezogen, die schlimme Folgen hatte.
Unerwartetes Nachspiel
Die 130 Tonnen Ziegelsteine, welche wir in Ditzum (Ostfriesland) geladen hatten, wurden im Hamburger Hafen gelöscht. Sie wurden auf Pferdewagen verladen und dann weiter zu den Baustellen in Altona gebracht. In Hamburg-Altona waren während des Krieges viele Häuser zerstört worden, die nun wieder aufgebaut wurden.
Nach der kompletten Entladung des Schiffes, fuhren wir weiter zum Hamburger Fischmarkt, um dort auf neue Order zu warten. In Hamburg wurde zu damals auch viel Getreide verladen, so ließ die Order nicht lange auf sich warten. In Hamburg lagen zu dieser Zeit ca. 20 bis 30 Kleinschiffe, die auf Ladung warteten, die allermeisten hatten Haren an der Ems als Heimathafen.
Es war Samstag, und nach Freitagmittag wurden keine Ladungen mehr durchgeführt. Aus diesem Grund mussten wir bis zum Montag warten. Damit wir am Montag ladebereit waren, musste der Laderaum gefegt und gereinigt werden. Normalerweise hatte ich erst so gegen 19:00 Uhr Feierabend, da ich auch für das Kochen, Abwaschen und das Sauberhalten der Kajüten zuständig war. Der Matrose Gerd war für das Deck zuständig, während der Skipper, der in der Stadt Norden wohnte, nach Hause fuhr.
In dieser Zeit besaß keiner von uns ein Radio, so dass wir auch keinen Wetterbericht hören konnten. Wir bemerkten nur, dass der Wind auffrischte und sich zu einem Sturm entwickelte. Uns konnte er jedoch nichts anhaben, da wir ja geschützt im Hafen lagen. In der Nacht wurde ich mehrmals wach, da die Elbe ziemlich unruhig war und die Schiffe gegeneinander stießen. Daraufhin weckte ich den Matrosen, und wir holten die Leinen durch und befestigten Fender an der Bordwand. Da Vollmond war, konnten wir die Umgebung deutlich erkennen. In der Zwischenzeit waren noch ein paar Schiffe hinzugekommen. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Kleinschiffe zwischen 150 und 250 Tonnen, die noch mit Kies und Sand beladen waren.
Das Wetter beruhigte sich während der ganzen Nacht nicht mehr, und am nächsten Morgen herrschte Windstärke 10 und in Böen sogar bis 11 aus südwestlicher Richtung. Das Wetter hatte zu einer Sturmflut geführt, und der gesamte Altonaer Fischmarkt war bereits überschwemmt. Der Weg an Land war uns versperrt. Einige der anderen Schiffe hatten Ihre Beiboote ausgesetzt und konnten so ihre Leute an Land bringen.
Ich war am Montag mit einem Landgang an der Reihe, da sich meine Infektion verschlimmert hatte. Der Kapitän hatte die Adresse eines Arztes in der Nähe besorgt, zu dem ich unbedingt gehen musste. Es war aber erst Sonntag, und ich musste Fleisch anbraten und das Gemüse vorbereiten, während der Matrose Gerd die Kartoffeln schälte. Den Pudding hatte ich schon am Morgen zubereitet und kalt gestellt. Das Kochen hatte ich hauptsächlich von meiner Großmutter abgeschaut, bei der ich mehrere Jahre meiner Kindheit verbracht hatte.
In der Zwischenzeit kamen wir mit anderen Seeleuten in Kontakt, um zu erfahren, wie sich die Wetterlage entwickelte. Alles in allem sah es nicht gut aus. Der Sturm war auf Nordwest gedreht und sollte sich noch verstärken. Damit bestand weiter die Sturmflutsituation. Da es noch keinen Sprechfunk und an Bord keinen Rundfunkempfänger gab, hatten die Hafenbehörde und die Wasserschutzpolizei alle Hände voll zu tun. Alle Schiffsführer und Kapitäne mussten mit Hilfe eines Megaphons gewarnt werden.
Am Montagmorgen flaute der Sturm endlich etwas ab. Die Elbe war immer noch stark aufgewühlt, die Kaimauer und die Hafenanlagen standen teilweise noch unter Wasser. Ich hatte leichtes Fieber, und somit wurde es Zeit für mich, zum Arzt zu gehen. Ich wurde mit einem Beiboot an Land gebracht.
Der Arzt hatte seine Praxis in St. Pauli. Als ich dort ankam, herrschte im Wartezimmer bereits Hochbetrieb. Nach einer etwa eineinhalbstündigen Wartezeit war ich dann endlich dran. Nachdem ich dem Arzt alles geschildert hatte und von ihm gründlich untersucht worden war, erklärte er mir, dass ich an einer schweren Blasenentzündung leide und diese nur zu Hause in Ruhe auskurieren könne. Daraufhin gab er mir ein Rezept für die Apotheke und eine Bescheinigung für den Kapitän. Er ermahnte mich, sofort von Hamburg direkt nach Emden zu fahren, um mich richtig auszukurieren. Das bedeutete für mich nur eines: ausmustern.
Nachdem