Humania. Walter RuppЧитать онлайн книгу.
Humania
Walter Rupp SJ
Eine Gesellschaftssatire
Illustrationen
Hans Graw
Idee
Berühmte Denker wie Platon, Plutarch, Thomas Morus, Campanella, Bacon oder Rabelais haben Utopia beschrieben, das Land der Träume, das eine Erfindung des menschlichen Gehirnes ist. Aber niemand hat bisher versucht, Humania zu beschreiben, das Land, das wirklich existiert. Es ist darum höchste Zeit daranzugehen, bevor Historiker sich dieses Stoffes bemächtigen und die Nachwelt in die Irre führen.
Allen, die Humania kennenlernen und dorthin reisen möchten, gebe ich diese Orientierungshilfe mit, um ihnen zu ermöglichen, sich dort zurechtzufinden. Ich bin allen Vermutungen sorgfältig nachgegangen, und habe vor allem die Gerüchte, die überall im Umlauf waren, nach ihrem Wahrheitsgehalt geprüft. Das, was mir fragwürdig erschien, habe ich aussortiert und nur das festgehalten, was an Gerüchten gewöhnlich stimmt.
Als ich Humania zum ersten Mal besuchte, war ich sehr erstaunt, dass man dort kaum etwas erlebt, was nicht in höchstem Maße merkwürdig und widersprüchlich ist. Ich fürchte deshalb, meine Leser könnten mir misstrauen, weil ich mich bei meiner Beschreibung weder auf Dokumente noch auf Autoritäten stütze, sondern ausschließlich die Eindrücke widergebe, die ich von dort mitgenommen habe. Wenn ich dabei meine Phantasie zu Hilfe nehme, sollte niemand mir das übel nehmen, denn die Phantasie hat noch nie etwas erfunden, was nicht wirklich - so oder anders - existiert. Ich muss allerdings eingestehen, dass es mir nicht gelungen ist, zu klären, ob es in Humania human oder nur menschlich zugeht.
Dass die Wissenschaft Humania nicht als Forschungsgegenstand betrachtet, ist ein unentschuldbares Versäumnis. Die Psychologen und Psychiater, die sich von Berufs wegen damit zu befassen hätten, haben Humania bisher als eine im Menschen tief verwurzelte Sehnsucht oder gar als Wahnidee abgetan. Auch die Poeten, Filmemacher oder Journalisten zeigen sich dafür wenig interessiert, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Demagogen dieses Stoffes bemächtigen und großsprecherisch beteuern, sie könnten jederzeit, wenn man sie gewähren ließe, die humane Gesellschaft bauen.
Die Entdeckung von Humania kann gar nicht hoch genug eingestuft werden. Nach Ansicht anerkannter Hellseher ist sie nicht weniger bedeutungsvoll als die Entdeckung von Amerika durch Kolumbus, ja, man muss sie sogar darüber stellen, weil dabei weitaus größere Hindernisse als nur ein Ozean überwunden werden mussten, und weil diese Entdeckung das bisherige Weltbild in einem Maß verändern wird, wie das gegenwärtig noch nicht abzuschätzen ist.
Der Welt-Pressespiegel
Das Land
Humania ist nicht unerreichbar, wenn man keine Mühen scheut. Man muss durch Trocken- oder Sumpfgebiete, durch unbekannte, unwegsame Gegenden, durch dichte Wälder, über abschüssige Höhen oder enge Täler. Das Land erweckt den Eindruck, weiträumig zu sein, es wird jedoch nach jeder Himmelsrichtung hin vom Horizont begrenzt, der den Blick ins Unendliche verstellt. Die Grenzen sind für jeden offen. Schlagbäume, Ordnungshüter oder Zollbeamte wurden abgeschafft, was jedoch nicht bedeutet, dass man sich dort unregistriert und ungeimpft niederlassen kann.
Jeder, der einreist sollte wissen, dass man ihn sofort festhält und eingehend nach seinen Absichten befragt. Von mir wollte man wissen: Wieweit die Gedanken, die ich denke, mit den Auffassungen der Mehrheit der Humanier in Einklang zu bringen sind und ob sie missverstanden oder gar missbraucht werden können; warum man mich Zuhause noch nicht umgebracht hat und nicht einmal ernsthaft verfolgt; warum ich keine Wertgegenstände mitbringe; ob ich die mitgebrachten Bücher schon gelesen habe oder noch lesen werde; über welche Route ich eingereist bin, und warum ich für meine Einreise ausgerechnet den 2. Mai ausgesucht habe? Da ich glaubwürdig versichern konnte, dass ich nicht auf Dauer bleiben und nur die Kulturgüter des Landes kennenlernen möchte, ja für meine Auslagen selbst aufkomme, hieß man mich herzlich willkommen.
Nachdem die Geographen es versäumten, von Humania eine Karte zu erstellen, ist es nicht verwunderlich, dass überall die merkwürdigsten Vorstellungen verbreitet sind: Humania sei eine Insel, irgendwo im Meer, eine blühende Oase mitten in der Wüste oder ein im Urwald verstecktes Fleckchen Erde. Man kann nur staunen, wie sich die Humanier in der kurzen Zeit von nur einigen tausend Jahren von Höhlenmalern zu Steinwerkzeugherstellern, und von Pfahlbauern zu Konstrukteuren von Raumfahrzeugen, ja schließlich zu Erfindern der Konsumgesellschaft, in der jeder endlich jedes Bedürfnis befriedigen kann, emporentwickelt haben.
Humania ist allerdings kein Paradies. Im Garten wächst viel Unkraut. Die Schlangen haben sich im Lauf der Zeit vermehrt. Sie brauchen heute nicht mehr zu reden, denn die Menschenpaare pflücken auch unaufgefordert vom Baum der Erkenntnis die verbotenen Früchte. Seitdem die wilden Tiere täglich mitansehen müssen, dass auch die Menschen ihren Instinkten folgen und bei ihnen überall der Grundsatz gilt: „Ich bin groß und du bist klein", verfolgen auch sie skrupellos die hilflosen und schwächeren Lebewesen.
Humania erscheint auf den Satelittenbildern wie eine runde Kugel, die sich vorwärts bewegt und gleichmäßig um die Sonne dreht. Genaue Messungen haben jedoch ergeben, dass die Erdoberfläche aus sehr vielen Unebenheiten, Beulen und Verkrustungen besteht und dass man nicht von einer Vorwärtsbewegung, sondern von Torkelbewegungen der Erde sprechen sollte.
Protokoll der außerterrestrischen Beobachtungsstation „Wirr“
Das Klima
Die Meteorologie, die mit einer Genauigkeit von 36,6% und einer Fehlerquote von nur 63,3% die Launen der Natur vorauszusagen imstande ist, gilt in Humania als exakte Wissenschaft. Die Wissenschaftler führen die auffallend lang anhaltenden Schlechtwetterperioden der vergangenen Jahrzehnte auf die Tatsache zurück, dass den in den Studios der meteorologischen Institute tätigen Wetterfröschen, die durchaus bereit wären, nach oben zu kommen, um eine Schönwetterperiode anzukündigen, wegen der doch knappen finanziellen Mittel, nicht genügend Leitern zur Verfügung gestellt werden können.
Da sich die Humanier mit Vorliebe und weit mehr als über andere Themen, über das Wetter miteinander unterhalten, gelang es mir sehr schnell, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Alle Bewohner legen Wert darauf, täglich abends von den Meteorologen zu erfahren, ob das vorausgesagte Wetter wirklich eingetroffen ist, und wieviele Wetter die Natur in den nächsten Tagen anzubieten hat. Oft sind sie über die Natur verärgert, dass