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Chinesische Lebensweisheit. Richard WilhelmЧитать онлайн книгу.

Chinesische Lebensweisheit - Richard Wilhelm


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Starke besiegt,

      Daß das Weiche das Harte besiegt:

      Niemand auf Erden weiß das nicht,

      Niemand auf Erden versteht danach zu tun.“

      Daß es sich bei diesem Nichtstreiten um keine Schwäche handelt, sondern um die souveräne, unbehinderte Betätigung der eignen Art, die sich auch durch Verkennung und Abweisung nicht beeinflussen läßt, erhellt aus dem schönen Spruch:

      „Gegen die Guten bin ich gut,

      Gegen die Nichtguten bin ich gleichfalls gut;

      Denn das Leben ist ja Güte.

      Gegen die Treuen bin ich treu,

      Gegen die Untreuen bin ich gleichfalls treu;

      Denn das Leben ist ja Treue.“

      Hierdurch ist auch der bekannte Satz des Lautse erklärt, den Kungtse ablehnte:

      „Vergeltet Haß mit Leben!“

      Der chinesische Gelehrte Hu Schї, Dschї,, einer der bedeutendsten Köpfe der modernen Pekinger Philosophenschule, sagt dazu:

      „Diese Lehren sind ebenfalls eine Reaktion auf die Zeitumstände. Jene Zeit war eine Zeit jahrelanger Kriegsnöte. Die Kleinstaaten konnten sich nicht schützen, die Großstaaten ihrerseits stritten um die Vorherrschaft und waren nicht gewillt, einander sich unterzuordnen. Lautse lebte in dieser Zeit und wußte genau, daß der Machtkampf dadurch, daß man Gewalt durch Gewalt abwehrt, nur immer heftiger wird und keine Grenzen hat. Nur durch die Wirkung des äußerst Schwachen kann man der Stärke und Gewalt die Spitze bieten. Ein Sturmwind zerbricht nicht Weidenzweige. Die Zähne fallen wohl aus, aber die Zunge bleibt erhalten. Und das schwache und weiche Wasser vermag die Felsen zu öffnen und Flußbetten zu graben. Beim Verkehr der Menschen ist es ebenso ... So zeigte Lautse den Unterdrückten und Schwachen seiner Zeit, sowohl unter den Staaten als auch unter den Einzelmenschen, einen Ausweg. Er wollte, daß die Menschen nicht „auf Erden die Ersten zu sein begehrten“, er hieß die Menschen „Haß zu vergelten mit Leben“. Er wollte, daß die Kleinstaaten den Großstaaten sich unterwerfen und die Großstaaten sich den Kleinstaaten unterwerfen. Er sagte, daß es nichts schade, wenn man zunächst Verluste zu erleiden und Schande zu erdulden habe. Er lehrte, daß „die Dinge erst abnehmen und dann zunehmen, oder erst zunehmen und dann abnehmen“, und daß „die Gewaltigen nicht eines natürlichen Todes sterben“. Dieser Satz enthält seine Auffassung vom SINN des Himmels. Er war überzeugt von dem weitmaschigen, aber nichts verlierenden Netz der Naturgesetze. Darum galt es für ihn, allem den natürlichen Verlauf zu lassen ... In der Welt gibt es einen ,Töter, der tötet‘; darum finden die Gewalttätigen nicht ihren natürlichen Tod.“

      Das ist heute natürlich eine sehr unzeitgemäße Lebensweisheit. Sie war es übrigens damals auch schon. Auch Lautse war sich dessen bewußt, indem er folgendes Kriterium der Wahrheit auf stellt:

      „Hört ein Weiser höchster Art vom SINN,

      So beschließt er, danach zu tun.

      Hört ein Weiser mittleren Schlags vom SINN,

      So erklärt er sich damit einig bis auf einen gewissen Grad.

      Hört ein Weiser niederer Art vom SINN,

      So lacht er laut darüber.

      Wenn er nicht wirklich tüchtig darüber lacht,

      So ist es noch nicht der eigentliche SINN!“

      Lautse weiß aber auch, daß man mit solchen Ansichten keinen großen Anhang gewinnen kann. Er macht einmal seinem Herzen Luft in einer Stelle, die ganz an den Propheten Jeremia, seinen Zeitgenossen in Israel, erinnert. Sie sei zum Abschluß hergesetzt:

      „Alle Menschen sind so hochgemut,

      Als ob’s zur Opferfeier ginge,

      Als ob’s zu Frühlingsfesten ginge,

      Nur ich bin im Zwielicht,

      Noch ward mir kein Zeichen,

      Wie ein Säugling, der noch nicht lächelt,

      Unstet bin ich, als hätt’ ich keine Heimat.

      Alle Menschen haben Überfluß:

      Nur ich bin wie verlassen.

      Ich habe das Herz eines Toren,

      Ach wie so trübe!

      Die gewöhnlichen Menschen sind alle so helle,

      Nur ich bin im Dunkeln.

      Die gewöhnlichen Menschen sind alle so wissend,

      Nur ich bin gedrückt.

      Wie rauscht es um mich, als wie ein Meer!

      Wie stürmt es in mir, wie ohne Ziel!

      Alle Menschen haben ihre ernsten Zwecke,

      Nur ich steh wie ein Bettler so töricht in der Ecke.

      Nur ich bin anders als die Menschen:

      Doch köstlich ist mir’s, von der Mutter mich zu nähren.“

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