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Nesthäkchen und ihre Enkel. Else UryЧитать онлайн книгу.

Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury


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Du tust ihm doch dabei weh«, bedeutete die Mutter dem Kleinen.

      »Wenn Juan brav ist, schenkt der Vater ihm auf der Fazenda ein kleines Pony. Dann kannst du mit dem Vater ausreiten, mein Junge«, versprach der Vater.

      »Ja, Papi, wirklich? Tust du es auch gewiß? Ist Juan jetzt groß?« Der Kleine vermochte an sein Glück nicht zu glauben.

      »Nein, Milton, du machst doch nur Spaß, nicht wahr? Keine ruhige Minute hätte ich, wenn das Kind schon reiten lernte«, sagte Frau Ursel aufgeregt. »Es kommt noch früh genug dazu. Ich muß mich schon um die Großen genug sorgen.«

      »Nun, wenn es dir nicht recht ist, mein Liebling, warten wir noch damit.« Milton war sofort einverstanden.

      »Es soll der Mammi aber recht sein. Alte Mammi!« Grenzenlos enttäuscht war der Kleine.

      »Juan, gehe in dein Kinderzimmer. Du bist unartig. Ich will dich hier nicht mehr sehen«, sagte der Vater mit außergewöhnlicher Strenge. Nur wenn eins der Kinder sich ungebührlich gegen die Mutter benahm, wurde er ärgerlich.

      »Und ich will auch nicht mehr sehen, daß die Mammi ein trauriges Gesicht macht.« Wütend lief der Kleine davon.

      Milton Tavares trank seine Schale Mokka aus und nahm den Arm seiner Gattin, um sie ins Musikzimmer zu führen. Lachend flüsterte er ihr ins Ohr: »Von wem der Schlingel nur dieses Wutteufelchen hat? Von dir oder von mir?«

      »Ich fürchte, von uns beiden«, gab Frau Ursel, ebenso belustigt wie ehrlich, zurück. »Aber hast du wirklich die Absicht, heute noch Musik zu machen, wo wir morgen die Stadt verlassen?«

      »Darum gerade. Einen würdigeren Abschluss unseres Stadtaufenthaltes kann es für uns hier in Sao Paulo nicht geben. Was willst du singen, mein Herz? Oder wollen wir mit Anita ein Bratschentrio spielen?«

      »Ich muß noch mit Marietta Abschiedsbesuche machen, Papi. Hast du auch die Überraschung für uns auf der Fazenda nicht vergessen? Du weißt doch?«

      »Die Überraschung? Gut, daß du mich erinnerst, Kind.« Der Vater machte ein verschmitztes Gesicht und schlug die ersten Töne auf dem Flügel an. »Willst du aus Rigoletto singen, Ursel, oder aus dem Barbier? Wie Donna Tavares befehlen.« So ernst Milton Tavares auch in seiner Berufstätigkeit war, so aufgeräumt und heiter pflegte er im Kreise seiner Familie zu sein. Das Glück seiner Ehe und die Harmonie seiner Häuslichkeit spiegelte sich in seinem frischfröhlichen Wesen wider.

      »Und die Noten, Milton? Wann packen wir die ein?« gab seine Frau noch zu bedenken.

      »Wenn wir genug musiziert haben.« Da schlug er schon die ersten Töne an.

      Sie zogen hinaus bis zu der großen Kokospalme, in deren Schatten Marietta stand und lauschte. Die Sonne tauchte drüben über den Bergen in ein Farbenmeer von unglaublicher Pracht. Lichtgrüner Himmel, rosenrot, violett, orange und zitronengelb überhaucht, lag über der verdämmernden Tropenwelt. Marietta schaute, lauschte und träumte.

      »Also hier steckst du, Jetta.« Anitas helle Stimme weckte sie empor. »Bist du Sonnenanbeterin geworden oder gar mondsüchtig? Komm, das Auto ist schon vorgefahren. Woran dachtest du denn bloß?«

      »Ich dachte daran, ob es in Mammis deutscher Heimat wohl auch so schön sein kann, wie hier bei uns.«

      »Sicher nicht. Bei uns ist alles viel eleganter und vornehmer«, erwiderte Anita, ohne zu überlegen.

      »Mammi sagt, wahre Vornehmheit trägt man in sich, Nita. Die offenbart sich nicht in Eleganz. Auch der Ärmste kann sie besitzen.«

      »Das sind echt deutsche Ansichten«, machte Anita abweisend. »Der Junge, der Juan, wird auch viel zu sehr verweichlicht. Warum soll er nicht reiten lernen? Mammi vergißt oft, daß wir in Amerika leben und daß hier andere Regeln gelten, als in Europa.«

      »Aber, Nita!« erhob die Zwillingsschwester Einspruch. Wie konnte man nur gegen ihre Mutter etwas Derartiges sagen! »Ich wünschte, wir wären, wie unsere Mammi ist.«

      »Das – das wünschte ich eigentlich auch«, gab Anita in jähem Umschwung der Gefühle ganz unerwartet zu. »So, Jetta, und nun mache kein solch niedergeschlagenes Gesichtchen. Du weißt doch, ich rede öfters mal dummes Zeug.«

      Da hielt das Auto vor dem Hause einer befreundeten Familie. Ein schwarzer Diener öffnete den Schlag. Leichtfüßig sprang Anita heraus. Marietta folgte nachdenklich. Merkwürdig, sie konnte ihr niemals ernstlich böse sein, der Anita. Kam das daher, daß sie Zwillinge waren? Aber ging es anderen Leuten mit Anita nicht gerade so?

      2. Kapitel

      Jimmy

      Ribeirao Preto, der Sommersitz der Familie Tavares, lag acht bis neun Bahnstunden von der Stadt entfernt. Das bedeutete für amerikanische Zeit- und Raumverhältnisse nicht viel. Pflegten die Herren aus der Stadt, soweit sie sich nicht Ferien nahmen, doch mindestens einmal in der Woche diese Strecke im Auto zu ihren Familien zurückzulegen.

      Nicht nur Milton Tavares besaß dort seine mit allem Komfort eingerichtete Sommerbesitzung. Auch die übrigen Familienmitglieder, Don Fernando und seine Frau Margarida, die Mutter, Donna Tavares, verschiedene Vettern und Freunde hatten sich dort angesiedelt. Eine elegante Kolonie war entstanden mit äußerst lebhafter Geselligkeit, mit Vergnügungen und Sportveranstaltungen aller Art. Nirgends lebte man angenehmer und sorgloser als draußen auf der Fazenda.

      Meilenweit erstreckten sich die Kaffeeplantagen, aus denen das Haus Tavares seinen Reichtum schöpfte. Viele hundert Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder waren hier vom frühen Morgen bis zum späten Abend bei glühender Tropensonne mit schwerer Arbeit beschäftigt. Weiße und Farbige. Meist waren es italienische und deutsche Auswanderer, die das Glück in die Ferne gelockt hatte, die es vergeblich gesucht, niemals gefunden hatten. Sie waren froh gewesen, bei dem reichen Kaffeekönig in Brasilien einen Unterschlupf zu finden. In elenden, fensterlosen Lehmhütten hausten sie – das war das Glück, das sie im fremden Lande erwartete. Seit der junge Herr, Don Milton, das Zepter im Kaffeereiche führte, hatten sich die Lebensverhältnisse der Arbeiter gebessert. Daran war vor allem seine schöne, blonde Frau schuld, die der Arbeiterschaft, ganz besonders ihren deutschen Landsleuten, mit warmem Herzen entgegenkam. Niemals hatte Frau Ursel das auf Äußerlichkeiten gestellte Drohnendasein der verwöhnten brasilianischen Frauen mehr empfunden, als draußen auf der Fazenda, wo sich tausend schwielige Hände regten, um all den Luxus für die Besitzer herbeizuschaffen. Sie schämte sich dessen, wenn sie unmittelbar neben der Eleganz des eigenen Hauses das Elend der Plantagenarbeiter beobachtete. Die anderen Frauen hatten dafür kein Auge. Die Schwiegermutter hatte sie liebevoll ein sentimentales Närrchen genannt, als Ursel damals, als junge Frau, mit der ihr eigenen freimütigen Offenheit für die Arbeiter eingetreten war und das Leben derselben mit dem ihrigen verglichen hatte. »Was willst du, Kind, sie verdienen sich ihr Brot und sind zufrieden. Sie sind anspruchslos und kennen es nicht besser. Da gehört mancher zur Gesellschaft in Sao Paulo, dessen Eltern früher auf den Plantagen gearbeitet haben. Heute fahren sie im eigenen Auto. Es geht schnell mit dem Auf- und Abstieg in Amerika. Ein jeder muß hier an sich denken. Du wirst die hiesigen Verhältnisse nicht ändern, Kind.«

      Frau Ursel aber hatte sich vorgenommen, diesen Missständen abzuhelfen. Und was Ursel sich in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie auch durch. Schon daheim im Elternhause war ihr Wille schwer zu beeinflussen gewesen.

      Milton Tavares hatte ein offenes Ohr für das Anliegen seiner jungen Frau. Las er ihr doch jeden Wunsch von den Augen ab. Er selbst hatte in Deutschland geordnete soziale Fürsorge für die Arbeiterschaft kennengelernt und brachte Frau Ursels Vorschlägen für gesunde Arbeiterwohnstätten Verständnis und tatkräftige Hilfe entgegen. So waren in den letzten zwölf Jahren auf den Tavaresschen Kaffeeplantagen helle, freundliche Siedlungshäuser für die Arbeiter entstanden, während auf den benachbarten Plantagen noch dieselben Missstände anhielten. Sooft Frau Ursel jetzt ihren Sommersitz bezog, hatte sie eine stolzfreudige Genugtuung, Gutes gewirkt zu haben.

      Es war am frühen Morgen. Ein Tropenmorgen, so heiß, so sonnenhell und strahlend, als sei er eigens für die Sommerfrischler auf


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