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Ströme meines Ozeans. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.

Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl


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werden. Ich muss überlegen, was die kälteste Temperatur war, der ich jemals ausgesetzt wurde. Mit Vater und Mutter bin ich im Winter einmal in der Nähe von Grenoble gewesen und wir sind auf einem See Schlittschuh gelaufen und es hat geschneit und es war auch sehr kalt, aber es war eigentlich nicht unangenehm, es hat mir sogar Freude gemacht. Ich war am Abend so herrlich erschöpft und hungrig. Es waren wohl nur wenige Grade unter null und es lässt sich bestimmt nicht mit der Kälte in diesem Werchojansk vergleichen. Ich frage mich, ob das Blut nicht gefriert, bei achtundsechzig Grad unter null. In Nantes zeigt das Thermometer heute sechs Grad Plus und es hat am Vormittag geregnet. Schneefall wäre mir allerdings lieber als dieser Regen.

      Nantes, 16. Februar 1892

      Heute Morgen bin ich im Bett geblieben, es ging mir nicht so gut. Jetzt langweile ich mich. Ich bin matt, kann aber auch nicht schlafen und zum Lesen habe ich auch keine rechte Lust. Jeanette ist einkaufen gegangen, Victor hat Dienst. Er wird ausgerechnet heute erst spät nach Hause kommen.

      Nantes, 21. Februar 1892

      Die letzten Tage waren verflixt. Einmal bin ich morgens wieder so matt und mir ist schlecht, dann geht es mir am nächsten Tag wieder hervorragend. Dieser Wechsel dauert nun schon fast eine Woche an. Ich mag ja kaum daran denken, aber ich glaube, ich erwarte ein Kind. Ich war bislang noch nicht bei einem Arzt, ich habe noch nicht einmal einen Arzt hier in Nantes. Es wäre natürlich unser größter Wunsch, wenn ich wirklich ein Kind bekäme. Ich weiß nicht, ob es albern ist, damit jetzt zu einem Arzt zu gehen, vielleicht sollte ich noch abwarten. Aber wenn es etwas anderes ist, wenn ich wirklich krank bin, dann muss ich doch zu einem Arzt gehen. Ich weiß nicht recht, noch ist mir ja nicht sterbenselend.

      Nantes, 27. Februar 1892

      Es ist wieder alles in Ordnung mit mir, mein Unwohlsein ist seit vier Tagen vorüber, als wenn nichts gewesen sei. Gestern hatten wir sogar Besuch von Tante Carla, Onkel Joseph und von Anne. Victor hatte den Nachmittag dienstfrei und so sind wir alle gemeinsam in die Stadt gegangen. Anschließend haben wir die Drei wieder zum Bahnhof gebracht. Vannes ist mit der Eisenbahn keine zwei Stunden von Nantes entfernt. Ich überlege mir daher, bald einmal einen Gegenbesuch zu unternehmen.

      Nantes, 3. März 1892

      Die Ruhe war trügerisch. Vor fünf Tagen war mir am Morgen wieder so furchtbar übel. Ich habe mir gleich einen Arzt empfehlen lassen und bin noch am Vormittag in die Sprechstunde gegangen. Natürlich war ich wegen einer möglichen Krankheit besorgt, doch insgeheim habe ich noch immer auf etwas anderes gehofft, die Anzeichen waren doch da. Ich bin zu meinem Unglück schnell eines Besseren belehrt worden. Der Arzt hat ein Fieber festgestellt, irgendeine Krankheit, die in diesen ungemütlichen Wochen in Nantes umgeht. Ich habe Bettruhe verordnet bekommen, Jeanette hat mich gepflegt und Victor ist die ersten beiden Tage nicht zum Dienst gegangen. Ich bin so dumm. Vor der Untersuchung wollte ich dem Arzt schon anvertrauen, dass wir uns ein Kind wünschen und welche Vermutung ich zu meinem Zustand hätte. Ich bin nur froh, dass ich es nicht getan habe. Ich komme mir so dumm vor. Zum Glück lässt die Enttäuschung langsam nach, auch weil ich mich auf dem Wege der Besserung befinde.

      Nantes, 15. April 1892

      Mutter hat geschrieben und uns einen Einblick in die neusten Ereignisse des Liverpooler Lebens gegeben. Vater engagiert sich jetzt in einem Fußballverein, der in Kirkdale ansässig ist und der schon seit Jahren auf einem angemieteten Platz seine Spiele austrägt. Vater und Mutter sind oft Zuschauer und auch Victor und ich haben es uns ein- oder zweimal angesehen. Der Fußballplatz wurde bislang von dem Vermieter zu einem vertretbaren Preis überlassen, was sich aber vor ein paar Wochen geändert hat. Die Miete wurde einfach horrende erhöht. Hier sah Vater eine Gelegenheit, als Gönner aufzutreten und versprach, für einen guten Teil der neuen Mietzahlungen aufzukommen. Die Vereinsführung war sehr dankbar, wollte sich aber auch nicht von dem Vermieter übervorteilen lassen. Es gab daher eine andere Entscheidung. Es wurde ein neues Gelände gefunden, ebenfalls in Kirkdale und daher nicht weit von dem alten Spielfeld entfernt. Das Gelände wurde kurzerhand gekauft. Der Fußballverein verspricht sich nun mit einem eigenen Spielfeld und den noch zu errichtenden Gebäuden und Buden mehr Unabhängigkeit. Da Vater nicht dazugekommen ist, die Mietlast zu mildern, weil es nichts mehr zu mieten gab, beteiligte er sich stattdessen an dem Kauf des neuen Fußballplatzes.

      Nantes, 11. Mai 1892

      Am Anfang war ich so begierig, den allerersten Holmes-Roman zu lesen und dann lag das Heft viele Wochen unberührt herum. Ganze fünf Seiten hatte ich noch geschafft und dann nichts mehr. Selbst das Strand Magazine mit den aktuellen Geschichten, welches mir von Mutter fleißig zugesandt wurde, verstaubte auf meinem Nachttisch. Die Dezemberausgabe war das Letzte, was ich noch gelesen hatte. Ich habe aber alles aufgeholt, bin jetzt wieder im Soll. »Die Studie in Scharlachrot« ist gelesen und ich habe mich auch durch das Strand Magazine bis zur Aprilausgabe gearbeitet. Es ist natürlich keine Arbeit, sondern ein Vergnügen, insbesondere dem Beginn der Partnerschaft zwischen Mr. Holmes und Dr. Watson beizuwohnen. Erst jetzt verstehe ich die vielen Hinweise und Andeutungen auf die früheren Fälle des Sherlock Holmes. Ich bin Kriminalgeschichten doch nicht so abgeneigt, wie ich dachte. Aber es liegt wohl auch an der Art, wie Mr. Holmes seine Fälle löst, wie er kombiniert und jedem Ding ein Geheimnis entlockt. Jetzt steht noch »Das Zeichen der Vier« aus, der zweite Holmes-Roman, den ich auch noch zu fassen bekommen muss. Erst dann bin ich auf dem allerneusten Stand. Es wird wieder ein Auftrag an Mutter ergehen müssen.

      Nantes, 15. Juli 1892

      Heute habe ich in der Zeitung eine große Annonce gesehen. Mein Blick fiel sofort darauf, angezogen durch das Wort Paris, das in der Überschrift zu lesen war. Paris ist der Veranstaltungsort für die Weltausstellung des Jahres 1900. Die Jahreszahl selbst erscheint mir so ungewöhnlich. Ich weiß schon heute, dass mir die »18« fehlen wird, dass ich nur schwer meine Tagebuchzeilen mit einer anderen Jahreszahl werde beginnen können. Es sind aber noch fast acht Jahre bis dahin, bis sich diese große Änderung vollzieht. Vielleicht sind Mutter und Vater dann schon längst wieder nach Paris zurückgekehrt, vielleicht haben Victor und ich bis dahin ein halbes Dutzend Kinder. Ich möchte auf jeden Fall im Jahre 1900 zur Weltausstellung in Paris sein, und wenn ich die Ausstellung das erste Mal besuche, dann möchte ich mich an meine Gedanken von heute erinnern.

      Nantes, 18. Juli 1892

      Onkel Gustave ist heute in Nantes. Er besucht uns und hat sich in einem Hotel einquartiert, wir haben ja kein Gästezimmer. Wir sind heute mit ihm zum Essen verabredet, er lädt uns ein. Sein Besuch gilt aber nicht ausschließlich uns, er besucht auch einen Freund, einen Schiffskapitän, der sich in Nantes zur Ruhe gesetzt hat.

      Nantes, 21. Juli 1892

      Gestern habe ich etwas verspätet die aktuelle Ausgabe des Strand Magazines von Mutter erhalten. In diesem Heft enden die Abenteuer von Mr. Holmes und Dr. Watson. Es sind seit Juli vergangenen Jahres genau zwölf Geschichten. Elf Hefte stehen in meinem Bücherregal, nein sie liegen, weil ihr Format die Höhe zwischen den Regalbrettern übertrifft. Das Zwölfte muss aber warten, denn Mutter hat mir noch etwas zukommen lassen. Diesmal ist es ein richtiges gebundenes Buch und kein dünnes Heft. Es ist der von mir schon so lang ersehnte Holmes-Roman, »Das Zeichen der Vier«. Die ersten zehn Seiten habe ich bereits verschlungen.

      Nantes, 17. August 1892

      Über die letzten beiden Tage hatten wir Besuch von auswärts. Der Herr heißt Émile Chazaud und ist ein Schulfreund von Victor. Die beiden haben sich lange nicht gesehen. Émile hatte sich in Paris erkundigt und so erfahren, dass er uns derzeit in Nantes antreffen kann. Émile wollte erst noch geschrieben haben, wie er ausdrücklich versicherte, dann ist er aber einfach so nach Nantes gefahren. Victor hat ihn gestern zum Essen mit nach Hause gebracht und wir haben auf diese Weise einen amüsanten Abend verlebt, mit allerlei Geschichten, die ich noch nicht kannte. Ich werde sie vielleicht


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