Zwischen meinen Inseln. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
Ich muss wohl jetzt langsam Karteikarten anlegen, um meine Kunden verwalten zu können. Ich übersetze jetzt auch ausländische Pressemitteilungen. Vater hat mir die Aufträge mit seinen Kontakten zu den verschiedenen Zeitungen besorgt. Es sind sechs Zeitungen, für die ich künftig arbeite, darum werde ich auch die Karteikarten brauchen. Ich muss bei der Übersetzung ganz schnell sein. Ein Bote schickt mir zumeist am Nachmittag die Texte und ich muss sie bis zum Abend fertig haben, denn dann holt der Bote sie wieder ab. Zum Glück gibt es auch Texte, für die ich mehr Zeit habe. Es wird zwar nicht so gut bezahlt, aber die Übersetzungen lassen sich schnell machen, weil alles recht einfach geschrieben ist. Das meiste ist auf Spanisch und Französisch, aber ich hatte auch schon einen Text, den ich aus dem Holländischen übersetzen musste, es war sogar einer der ersten Aufträge.
Brisbane, 21. Mai 1917
Es gab bisher noch keinen Tag, an dem Tom nicht gerne in seine Gruppe gegangen wäre. Er hat sofort Gefallen daran gefunden. Er freut sich schon beim Aufstehen darauf. Für mich war es aber merkwürdig, dass das Haus jetzt morgens immer so still ist. Dafür ist am Nachmittag nicht mehr ans Arbeiten zu denken. Tom will mir alles zeigen, was er am Vormittag gespielt hat. Wir benutzen dabei sehr häufig die Schiefertafel. Tom zeichnet etwas und ich muss es nachzeichnen oder ich muss mir einen Buchstaben ausdenken und Tom nennt dann Wörter, die mit diesem Buchstaben beginnen.
Brisbane, 30. Mai 1917
Ich habe heute einen Teil meiner Honorare in Bücher investiert. Die ganzen juristischen Dinge habe ich bislang ganz gut übersetzen können, aber es fehlten mir immer wieder Worte, also Fachausdrücke. Ich bin dann in die Universitätsbibliothek gegangen und habe mir dort mein Wissen geholt. Eine mühsame Angelegenheit. Jetzt habe ich erst einmal ein spanisches Fachwörterbuch. Es ist nicht sehr dick, hat mich aber acht Schilling gekostet. Ich werde noch weitere Bücher brauchen, die ich mir nach und nach zulege.
Brisbane, 19. Juni 1917
Seinen letzten Fotoapparat hat Vater doch erst vor einem oder zwei Jahren bekommen, jetzt hat Monsieur Chazaud wieder eine Kamera geschickt, natürlich das neuste Modell, wieder eine Brownie Balgenkamera, auf die er Vater wohl spezialisieren will. Natürlich ist alles kostenlos, auch die Filme, die uns ja mehrmals im Jahr kartonweise erreichen. Es ist mittlerweile Vaters vierte Kamera. Der einzige Nachteil, Vater muss immer der Firma Eastman-Kodak treu bleiben.
Brisbane, 30. Juni 1917
Helen hat mich heute zum Einkaufen mitgenommen, ich sollte sie beraten. Sie braucht für eine Familienfeier ein neues Kleid. Nun hat Helen gedacht, dass ich den Pariser Chic kennen würde, was ich erst erfahren habe, als wir schon unterwegs waren. Ich musste sie leider enttäuschen, ich bin ja noch nie in Paris gewesen und dort wo ich herkomme, ist die Mode gegenüber dem Mutterland wohl meist Jahre zurück. Ich habe ja auch erst hier in Brisbane ein schönes Kleid schätzen gelernt. Helen hat sich aber davon nicht irritieren lassen, sie meinte, dass ich als Französin doch den Geschmack für Mode im Blut hätte. Wir haben dann auch gemeinsam etwas Schönes ausgesucht und Helen ist wirklich zufrieden.
Brisbane, 10. Juli 1917
Ich bin Anfang Juni das erste Mal gebeten worden, einen Brief, einen privaten Brief zu übersetzen. Eine Dame kam zu mir. Sie hatte irgendwo gehört, dass ich Portugiesisch übersetze. Das Interessante, sie war selbst gebürtige Portugiesin, lebt aber seit dreißig Jahren hier in Australien. Ihre Eltern sind früh gestorben und sie hatte ihre Muttersprache wieder völlig vergessen. Es war ihr zu peinlich, sich an ihre Landsleute zu wenden und so ist sie zu mir gekommen. Sie wollte an Verwandte in Portugal schreiben. Ich habe es dann gemacht und es war einmal etwas anderes. Auf jeden Fall hat es sich wohl herumgesprochen, dass ich solche Übersetzungen mache und so hatte ich bestimmt in den letzten Wochen zwei Dutzend solcher Aufträge. Ich musste Briefe schreiben und auch welche aus Portugal übersetzen. Ich kann dafür nicht das gleiche Honorar verlangen, wie bei meinen geschäftlichen Kunden, aber dafür fällt mir die Arbeit auch leichter.
Brisbane, 28. Juli 1917
Heute haben Tom und ich vor einem Atlas gesessen und uns die Inseln angeschaut, ihre Lage und ihre unvorstellbare Entfernung von Australien und von Brisbane. Ich hatte mir schon viel früher vorgenommen, Tom von Onoo, von seinem Vater zu erzählen. Tom ist jetzt fünf Jahre alt. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt, über Onoo und mich. Ich habe auch gesagt, dass es meine Schuld sei, denn sein Vater wüsste nichts von ihm und es sei sogar meine große Schuld, es ihm nie gesagt zu haben. Tom hat alles verstanden. Ich habe auch gedacht, dass wir gemeinsam einen Brief an Onoo schreiben, denn ich finde es wichtig. Tom muss seinen Vater kennenlernen. Dann hat Tom aber gesagt, dass sein Vater doch spüren müsse, dass es ihn gibt und wenn er bislang noch nichts gespürt hat, so müssen wir warten, bis er es endlich spürt und von selbst zu uns kommt. Tom will auf seinen Vater warten. Ich habe nichts mehr dazu gesagt. Wir müssen Onoo irgendwann einen Brief schreiben. Ich habe es jetzt wieder aufgeschoben und weiß nicht, ob es richtig ist.
Brisbane, 5. August 1917
Seit einigen Tagen wird bei der Eisenbahn in New South Wales gestreikt. Vater ist in Sydney. Ich weiß noch nicht, ob er dort bleibt, um über die Streiks zu berichten, oder ob er keinen Zug nach Hause bekommt. Die Post soll jetzt sogar mit dem Schiff zwischen Brisbane und Sydney transportiert werden. Vater muss eben auch das Schiff nehmen. Ich werde es ihm schreiben.
Brisbane, 21. August 1917
Die Stahlwerke, die Schuh- und Kleiderfabriken und selbstverständlich auch die Eisenbahn und vieles mehr sind von den Streiks betroffen. Der Courier berichtet fast täglich und es ist nicht nur Vater, der seine Artikel schreibt. Es gibt zwei Lager. Die einen sagen, der Krieg verlange Höchstleistungen von jedem, der in der Heimat geblieben ist. Dies gilt besonders für die Arbeiter in den Fabriken. Das andere Lager sieht nicht den Krieg als Grund für die Erhöhung der Arbeitsstandards und so seien die Streikenden im Recht und keineswegs unpatriotisch. Es ist aber anscheinend unwichtig, wer im Recht oder im Unrecht ist, der Streik schließt das ganze Land ein, von Queensland und den anderen Ostterritorien bis in den Westen, bis nach Perth, vom Norden bis in den Süden und selbst bis auf die tasmanische Insel. Nachdem zunächst nur wenige Eisenbahner gestreikt haben, sollen es jetzt schon an die hunderttausend sein.
Brisbane, 1. September 1917
Ich bin sehr stolz, dass Tom jetzt schon in der Zeitung lesen kann. Es ist noch etwas holprig, wenn er Vater oder mir laut vorliest, aber er bekommt jedes Wort hin. Er fragt dann immer was dies oder jenes bedeutet und vieles weiß ich selbst nicht, oder ich tue mich schwer, die politischen Dinge zu erklären. Dann muss Vater uns beiden helfen. Am liebsten lesen wir aber, was auf dem Lande vorgefallen ist, wenn es irgendwo gebrannt hat und die Feuerwehr konnte es löschen oder wenn bei einer Zuchtausstellung ein Preis für den schwersten Bullen vergeben wurde. Einmal hat Mrs. Lovegrove ihre Brille vergessen und Tom hat ihr vorgelesen. Jetzt tut sie immer so, als hätte sie die Brille nicht dabei und Tom ist dann ganz eifrig mit der Zeitung. Ich überlege mir, Tom auch einmal ein richtiges Buch zum Lesen zu geben.
Brisbane, 12. September 1917
Es kehrt nun doch wohl Ruhe ein. Als Erstes nehmen die Eisenbahnen ihren Betrieb wieder auf. Vater hat bereits einen Zug nach Sydney bestiegen, um die Ereignisse, die in New South Wales ihren Ausgang genommen haben, noch einmal zu recherchieren. Wenn so ein Streik beendet wird, dann kehrt sehr schnell wieder Normalität ein, wie es im Land jetzt festzustellen ist.
Brisbane, 20. September 1917
Ich habe den Ehrgeiz, dass Tom zu seiner Einschulung nicht nur lesen kann, sondern auch schon das Einmaleins beherrscht. Wir sind jetzt bei der Sechs und wir haben erst letzte Woche angefangen. Tom soll es natürlich nicht auswendig lernen, sondern richtig rechnen, was sich aber erst bei den Zahlen