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Der Teufel von Tidal Basin. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.

Der Teufel von Tidal Basin - Edgar Wallace


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ungewaschen, aber beim Spiel restlos glücklich. Ihre heruntergekommenen Väter und Mütter standen in den Türen oder schauten zu den Fenstern der oberen Stockwerke heraus, aber niemand nahm Notiz von dem Arzt. Er gehörte nun einmal zur Gegend und hatte ein Recht, hier zu gehen.

      In Nr. 9, dem letzten Haus, wohnte Gregory Wicks. Dr. Marford gab ein bestimmtes Klopfsignal an der Tür, und bald darauf wurde geöffnet.

      »Kommen Sie herein, Doktor«, sagte Gregory laut und herzlich. »Machen Sie aber keinen Lärm – mein Mieter will schlafen.« Damit schlug er die Türe zu.

      »Er muß aber einen sehr gesunden Schlaf haben, wenn Sie solchen Spektakel machen dürfen«, meinte Marford lächelnd.

      Gregory stieg die Treppe hinauf und führte den Doktor in sein Zimmer.

      »Wie geht es Ihnen denn?«

      »Oh, ich bin vergnügt wie immer. Über die eine Kleinigkeit will ich mich nicht weiter beschweren. Nehmen Sie doch Platz. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Doktor. Wenn die Leute in Tidal Basin wüßten, was Sie für mich getan haben ...«

      »Ja, ja«, erwiderte Marford gutgelaunt. »Nun lassen Sie mich einmal sehen.«

      Er drehte den alten Gregory so, daß das Licht in sein Gesicht fiel, und betrachtete ihn prüfend.

      »Nicht besser und nicht schlechter – vielleicht sogar etwas besser, sollte ich denken. Aber nun wollen wir einmal Ihr Herz untersuchen.«

      »Mein Herz!« rief Gregory entrüstet. »Mein Herz ist so stark wie das Herz eines Löwen! Neulich ist hier eine irische Familie eingezogen, und die Frau wollte eine Pfanne von mir borgen. Als ich ihr sagte, was ich von Leuten halte, die sich alles borgen müssen, kam ihr Mann und mischte sich in den Streit. Dem habe ich tüchtig eins vor den Ballon gegeben.«

      »Das sollten Sie nicht tun, Gregory. Meine Patienten haben mir schon davon erzählt.«

      Der alte Mann lachte vergnügt.

      »Ich hätte es auch gar nicht zu tun brauchen. Einer der jungen Leute hier hätte es ebenso gern für mich getan, wenn ich ihm nur einen Wink gegeben hätte. Und mein Mieter wäre mir sicher auch zu Hilfe gekommen, wenn ich ihn aufgeweckt hätte.«

      »Ist er heute da?«

      »Ich glaube schon. Aber der Himmel mag es wissen. Ich höre ihn weder kommen noch gehen. Ich habe noch nie einen stilleren Menschen kennengelernt. Ich glaube, Sie haben ihn gebessert. Man sollte nicht denken, daß er die Hälfte seines Lebens im Gefängnis zugebracht hat.«

      Gregory war fünfzig Jahre lang Nacht für Nacht schweigend durch die Straßen Londons gefahren, und er unterhielt sich mit Marford gern über die alten, vergessenen Zeiten und die berühmten Leute, die er noch mit der Pferdekutsche befördert hatte.

      Nach einiger Zeit brachte der Chauffeur seinen Gast wieder zur Tür und schaute ihm nach, bis er außer Sicht war. Die lärmenden Kinder spotteten nicht über den Doktor, und keiner der Leute machte Witze über ihn. Wenn ein Polizist hier durchgegangen wäre, hätte es nicht an abfälligen Bemerkungen und Schimpfereien gefehlt. Nur der Doktor und Gregory Wicks blieben davon verschont. Der Chauffeur war gefürchtet wegen seiner Körperkräfte, der Arzt aus anderen Gründen. Man konnte nie wissen, ob man ihn nicht nötig hatte. Wenn er ärgerlich war, konnte er einem etwas in die Medizin mischen. Oder man wurde narkotisiert und war ganz und gar der Gnade dieses Mannes ausgeliefert – es war nicht auszudenken, was da passieren konnte!

      5

      Die Tatsache, daß Dr. Marford keine anderen Freunde hatte, genügte Detektivsergeant Elk, ab und zu bei ihm vorzusprechen und sich in seiner freien Zeit mit ihm über die Kriminalität in diesem Bezirk zu unterhalten.

      Er kam auch an dem Abend, an dem sich Janice Harman verabschiedet hatte, und fand den Arzt in melancholischer Stimmung.

      In der nahen Schiffswerft arbeiteten die Leute in Nachtschicht, und das laute Dröhnen der Dampfhämmer klang deutlich bis zur Klinik herüber. Aber Dr. Marford hörte es nicht mehr, er war schon zu sehr daran gewöhnt. Auch die Streitigkeiten und Schlägereien der Betrunkenen auf der Straße, die hier häufig genug vorkamen, ärgerten ihn nicht, ebensowenig das schrille Geschrei der Kinder, die in dieser Gegend bis Mitternacht im Freien blieben. Schwere Lastautos rollten Tag und Nacht auf ihrem Weg zu den Lagerhäusern der Eastern Trading Company an dem Haus vorbei, doch Dr. Marford wurde nicht nervös.

      Er war erst Ende Dreißig, sah aber bedeutend älter aus. Seine Gestalt war schmächtig, und seine ergrauenden Haare lichteten sich schon. Er trug eine große Hornbrille.

      Lange Zeit stand er neben Elk am Fenster und schaute zwischen den roten Vorhängen auf die traurige Umgebung hinaus.

      »Das ist tatsächlich eine Hölle auf Erden«, meinte der Sergeant.

      Dr. Marford lachte leise.

      »Ja, und den Teufel dazu hat Mike Quigley erfunden. Ich muß immer lachen, wenn ich in der Zeitung lese ›Der Teufel von Tidal Basin‹.«

      »Diese verrückten Zeitungsschreiber! Selbst wenn man den Verbrecher gefaßt hat und alle Welt weiß, daß er nichts mit Tidal Basin zu tun hat, halten die Zeitungen immer noch an der Legende fest. Aber hier lebt nicht nur ein Teufel, hier leben Hunderte und Tausende!«

      Dr. Marford trat vom Fenster zurück.

      »Ich fürchte, ich habe die Legende vom Teufel von Tidal Basin noch unterstützt. Ich habe einmal mit Quigley darüber gesprochen, daß früher häufig ein seltsamer Patient zu mir kam. Jetzt ist er allerdings seit Monaten nicht mehr hiergewesen. Er kam stets mitten in der Nacht und trug eine Maske, weil sein Gesicht durch eine Explosion in einem Stahlwerk verunstaltet worden war.«

      Elk war interessiert.

      »Wo wohnt der Mann?«

      »Das weiß ich nicht. Quigley wollte es auch herausbekommen, aber es gelang ihm nicht. Für jede Konsultation erhielt ich ein Pfund – das ist vierzigmal mehr, als ich sonst bekomme.«

      Auf Elk schien diese Mitteilung keinen Eindruck zu machen. Er schaute immer noch auf die Straße hinaus.

      »Nichts als Unkraut!« sagte er.

      »Diese kleinen, schmutzigen Jungen werden vielleicht einmal politische Führer oder literarische Genies!«

      »Neun Zehntel von ihnen gehen sicher durch meine Hände! Und alle Behandlung mit Höhensonne und anderen Strahlen hilft nichts. Wer nicht in Dartmoor endet, kommt ins Armenhaus. – Kennen Sie eigentlich Mrs. Weston?« fragte Elk plötzlich. »Eine hübsche Frau mit einer großartigen Wohnung. Ganz ungewöhnlich hier in Tidal Basin. Man glaubt fast, man kommt ins Ritz-Carlton – ich war einmal bei ihr, als ein paar Straßenjungen ihr die Fenster eingeworfen hatten. Aber man muß sich vor ihr in acht nehmen, sie hat keinen guten Charakter.«

      Marford lächelte.

      »Dann kenne ich sie wahrscheinlich. Wenn sie zu den Frauen gehört, die ihre Arztrechnungen nicht bezahlen, kenne ich sie sogar ganz bestimmt. Aber warum fragen Sie mich nach ihr?«

      Elk nahm eine Zigarre aus seinem Etui und steckte sie an.

      »Sie sagte, sie kenne Sie«, erwiderte er, nachdem er zwei Minuten lang schweigend geraucht hatte. »Übrigens haben Sie eine hübsche Krankenschwester. Dieser Quigley ist doch sehr hinter ihr her?«

      »Ja«, entgegnete Marford ruhig.

      Er erhob sich, zog die Vorhänge zu, knipste das Licht an und holte aus einem Seitenschrank Whisky, Gläser und einen Siphon.

      »Ich bin nicht im Dienst«, sagte Elk auf den fragenden Blick des Doktors. »Ein Detektiv kann das allerdings kaum behaupten, denn er ist immer im Dienst.« Er zog einen Stuhl an den Schreibtisch. »Haben Sie eigentlich schon einmal Detektivromane gelesen?«

      Marford schüttelte den Kopf.

      Im gleichen Augenblick klingelte das Telefon. Er nahm den Hörer ab, lauschte eine Weile, stellte


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