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Die gelbe Schlange. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.

Die gelbe Schlange - Edgar Wallace


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Seine Gräueltaten und sein Gestank waren für ihn normale Lebensäußerungen. Sein Denken war chinesisch geworden, und er hätte auch vollständig als Chinese gelebt, wenn eben nicht sein unerbittlicher Teilhaber gewesen wäre. Er hatte die ganzen Provinzen des Reiches der Mitte zu Fuß durchwandert und hatte sich zu mehr Städten und Plätzen durchgeschlagen, zu denen den Weißen der Zutritt damals noch verboten war, als irgendeiner seiner Zeit. Einmal hatte man ihm die Kleider weggerissen, um ihn in dem Namen jenes schrecklichen Fu-chi-ling hinzurichten, der eine Zeitlang Gouverneur von Sukiang war, und dann hatte man ihn mit den höchsten Ehren in der Sänfte eines Mandarinen zu dem Palasthof der Tochter des Himmels getragen.

      Aber Joe Bray war das alles gleich. Von Geburt war er Engländer. Später, als Amerika in China mehr in Gunst kam, wechselte er gewissenlos seine Nationalität und wurde Amerikaner. Er konnte sich das gestatten, denn er war Millionär und mehr als das. Sein Haus, das sich an der Flussbiegung erhob, war so schön und prachtvoll wie ein Palast. Große Summen hatte er an Kohlenbergwerken, an Kupferminen und anderen Unternehmungen verdient, die sich bis zu den Goldfeldern im Amurgebiet erstreckten. In den letzten zehn Jahren hatten sich die ungeheuren Verdienste mit staunenerregender Schnelligkeit zu fabelhaftem Vermögen angehäuft.

      Joe lag bequem zurückgelegt in einem tiefen Deckstuhl. So konnte er sitzen und träumen. Neben ihm saß Fing-Su. Für einen Chinesen war er groß von Gestalt und hatte auch selbst für europäische Begriffe ein gutes Aussehen. Außer den schräggeschlitzten, dunklen Augen war eigentlich nichts Chinesisches an ihm. Er hatte den kecken Mund und die gerade, scharfgeschnittene Nase seiner französischen Mutter, das pechschwarze Haar und die charakteristische blasse Gesichtsfarbe des alten Schan Hu, jenes verschlagenen Kaufmanns und Abenteurers, der sein Vater war. Er trug einen dickgepolsterten Seidenrock und formlose Beinkleider, die bis zu den Schuhen hinabreichten. Seine Hände verbarg er respektvoll in seinen weiten Rockärmeln, und wenn eine zum Vorschein kam, um die Asche seiner Zigarette abzustreifen, verschwand sie mechanisch und instinktiv wieder in ihrem Versteck.

      Joe Bray seufzte und nippte an seinem Glas.

      »Es ist alles so gekommen, wie ihr es verdient, Fing-Su. Ein Land, das keinen Kopf hat, hat auch keine Füße und kann sich nicht bewegen – überall elender Stillstand, alles geht schief! Das ist China! Früher waren einmal ein paar tüchtige Kerle hier am Ruder, die Ming und der alte Hart und Li Hung.«

      Er seufzte wieder; seine Kenntnis des alten China und der alten Dynastien war gerade nicht weit her.

      »Geld hat nichts zu bedeuten, wenn ihr es nicht richtig gebrauchen könnt. Sieh mich an, Fing-Su! Hab' weder Kind noch Kegel und bin doch Millionär, viele, viele Millionen wert! Wie man sagt, ist meine Linie beinahe ausgestorben.«

      Erregt rieb er seine Nase.

      »Beinahe«, sagte er vorsichtig. »Wenn gewisse Leute täten, was ich wollte, würde das nicht so sein – aber werden sie es tun? Das ist die Frage.«

      Fing-Su sah ihn mit seinen unergründlichen Augen prüfend an.

      »Man sollte meinen, daß Sie nur einen Wunsch auszusprechen brauchten, damit er in Erfüllung ginge.«

      Der junge Chinese sprach mit dem übertriebenen Nasallaut, der so typisch für die Oxforder Studenten ist. Nichts freute Joe Bray mehr, als wenn er die Stimme seines Schützlings hören konnte; ihre Kultur, die fehlerlose Konstruktion jedes Satzes und die unbewußte Überlegenheit in Ton und Sprechweise waren Musik in seinen Ohren.

      Fing-Su hatte tatsächlich sein Examen auf der Universität in Oxford bestanden und war Bachelor of Arts. Joe hatte dieses Wunder bewirkt.

      »Sie sind ein gebildeter Mann, Fing-Su, und ich bin ein alter, ungehobelter Kerl ohne Kenntnis von Geschichte, Geographie und sonst etwas. Bücher interessieren mich den Teufel. Habe mich auch nie um den Krempel gekümmert. Die Bibel – besonders die Offenbarung – ist auch so eine verworrene Sache.«

      Er trank den Rest des farblosen Reisschnapses aus und holte tief Atem.

      »Wir müssen noch eine Sache besprechen, mein Junge – die Aktien, die ich Ihnen gab –«

      Eine lange Verlegenheitspause entstand. Der Stuhl krachte, als sich der große Mann mißmutig herumdrehte.

      »Da ist noch etwas dabei. Er hat nämlich gesagt, daß ich das nicht hätte tun sollen. Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Sie haben gar keinen Wert. Das war so eine von ›seinen‹ Ideen, daß sie nicht an der Börse gehandelt werden sollten. Keinen Cent sind die Dinger wert.«

      »Weiß er denn, daß ich sie habe?« fragte Fing-Su.

      Wie Joe nannte er Clifford Lynne nie beim Namen, sondern nannte ihn immer nur »er«.

      »Nein, er weiß es nicht!« sagte Joe mit Nachdruck. »Das ist es ja gerade. Aber er sprach neulich abends davon. Er sagte, daß ich niemand Aktien abgeben soll, nicht eine einzige!«

      »Mein verehrter und ehrenwerter Vater hatte neun,« sagte Fing-Su mit seidenweicher Stimme, »und ich habe jetzt vierundzwanzig.«

      Joe rieb sein unrasiertes Kinn. Er war ärgerlich, fast argwöhnisch.

      »Ich gebe sie Ihnen – Sie waren ein guter Junge, Fing-Su ... Latein haben Sie gelernt und Philosophie und alles andere. Meine Bildung ist dürftig, und da wollte ich natürlich etwas für Sie tun. Eine große Sache das, die Bildung.« Zögernd unterbrach er sich und nagte an seiner Unterlippe. »Ich gehöre nicht zu den Leuten, die etwas geben und es nachher zurücknehmen. Aber Sie kennen ihn ja, Fing-Su.«

      »Er haßt mich«, sagte der andere gelassen. »Gestern nannte er mich sogar eine ›gelbe Schlange‹.«

      »Hat er das getan?« fragte Joe traurig.

      Aus dem Ton seiner Stimme war deutlich zu hören, daß er diese Differenz gern aus der Welt gebracht hätte, aber er konnte sich nicht helfen.

      »Früher oder später werde ich ihn schon wieder herumkriegen«, sagte er, indem er sich vergeblich bemühte, seine Unsicherheit zu verbergen. »Ich bin ein heller Kopf, Fing-Su – ich habe Ihnen Ideen beigebracht, von denen niemand eine Ahnung hat. Ich habe jetzt einen Plan ...«

      Er kicherte bei dem Gedanken an sein Geheimnis, aber gleich darauf wurde er wieder ernst.

      »... was nun diese Aktien angeht, ich will Ihnen einige tausend Pfund Sterling dafür geben. Ich sagte schon, daß sie keinen Cent wert sind. Trotzdem will ich aber ein paar tausend dafür geben.«

      Der Chinese bewegte sich geräuschlos in seinem Stuhl und sah plötzlich seinen väterlichen Freund mit dunklen Augen an.

      »Mr. Bray, was kann mir Geld nützen?« fragte er beinahe unterwürfig. »Mein verehrter und ehrenwerter Vater hat mir ein großes Vermögen hinterlassen. Ich bin nur ein Chinese mit wenigen Bedürfnissen.«

      Fing-Su warf den Rest seiner Zigarette fort und rollte sich mit außerordentlicher Geschicklichkeit eine andere. Kaum hatte er Papier und Tabak in seiner Hand, so war auch schon die länglich-runde, weiße Zigarette gedreht.

      »In Schanghai und Kanton erzählt man sich, daß die Yunnan-Gesellschaft über mehr Geld verfügt, als die jetzige Regierung jemals gesehen hat«, sagte er langsam. »Die Lolo-Leute sollen im Liao-Lio-Tal Gold gefunden haben –«

      »Wir haben das gefunden«, sagte Joe selbstzufrieden. »Diese Lolo konnten doch gar nichts finden, höchstens haben sie Ausreden erfunden, um die chinesischen Tempel zu brandschatzen.«

      »Aber Sie lassen das Geld nicht arbeiten«, sagte Fing-Su hartnäckig. »Totes Kapital –«

      »Durchaus kein totes Kapital! – bringt viereinhalb Prozent«, brummte Joe vor sich hin.

      Fing-Su lächelte.

      »Viereinhalb Prozent! Hundert Prozent könnte man damit machen! Oben in Schan-Si sind Kohlenlager, die eine Billion Dollars wert – was sage ich, eine Million mal eine Billion! Sie können das nicht machen – aber ich sage Ihnen, wir haben keinen starken Mann in der ›Verbotenen Stadt‹ sitzen, der befehlen könnte: ›Tue dies!‹ und es wird getan. Und wenn er tatsächlich


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