Grossfuss. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
ein Amerikaner. Ich fange jetzt selbst an, Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich vermute auch, daß er ein Sänger ist.«
»Warum?« fragte Jim verwundert.
»Weil ich ihn singen hörte!« antwortete Super. »Haben Sie jemals Karten gespielt, Mr. Ferraby? Wenn Sie es tun, will ich Ihnen einen guten Rat geben. Ein kleiner Blick in die Karten des Nachbarn ist wertvoller als alle Berechnungen. Schlussfolgerungen zu ziehen ist eine feine Sache, aber gut beobachten und hören ist besser. – Wissen Sie, ob etwas gegen Elson vorliegt?«
»Sie meinen bei der Staatsanwaltschaft? Nein, ich entsinne mich nicht, daß ich etwas gehört oder gelesen hätte. Und ich bearbeite ja gerade die Abteilung für Ausländer.«
»Nennen Sie einen Amerikaner niemals einen Ausländer, sonst wird er sehr aufgebracht. Ebenso wie sich die Engländer aufregen, wenn sie die Hafentaxe von New York bezahlen müssen. Als einen Fremden darf man nur einen Peruaner, einen Slowaken, einen Mongolen oder einen Italiener bezeichnen. Ich war während des Krieges in Washington, bis unser Polizeipräsidium entdeckte, daß ich tüchtig war. Dann haben sie mich nach Hause abberufen – sie können nämlich tüchtige Leute nicht leiden.«
Jim überlegte sich, ob er Super ins Vertrauen ziehen sollte. Er wußte allerdings nicht, ob das seinem Gastgeber recht war. Aber er entschied sich dafür.
»Super, glauben Sie, daß der Mann in dem Garten es auf Elson abgesehen hatte? Sollte das nicht ein Irrtum sein?«
»Das scheint mir unwahrscheinlich«, entgegnete Super, »aber ich lasse mich gern überzeugen.«
Ferraby erzählte ihm kurz von dem Brief, den Gordon Cardew ihm gestern gezeigt hatte. Der Oberinspektor hörte ihm ohne Unterbrechung aufmerksam zu.
»›Großfuß‹? Das klingt so wie die verrückten Wildwestnamen der Indianer. Aber was hat denn Hanna gemacht? Das ist allerdings eine sehr wichtige Neuigkeit, Mr. Ferraby, die die Lage ein wenig ändert.«
Cardew rief sie vom Haus aus.
»Kommen Sie doch herein, daß wir zu Ende essen können!«
»Warten Sie noch einen Augenblick«, sagte Super zu Jim und hielt ihn mit seiner sehnigen Hand am Ärmel fest. »Gedulden Sie sich bitte noch so lange, bis ich die logischen und psychologischen Zusammenhänge erkannt habe. Also sie geht zum Wochenende fort, sagen Sie ... Ich kenne das Haus an der Küste von Pawsey. Cardew hat mich einmal dorthin mitgenommen, bevor wir diesen Streit über Kriminalistik hatten. Ein vollkommen einsamer Platz, wo sich die Hasen und Füchse gute Nacht sagen, meilenweit von jeder Ortschaft entfernt, ganz nahe an der Küste. Große Felsenpartien mit Hunderten von Schmugglerhöhlen ... Das Haus steht an der alten Poststraße, die unterhalb der Klippe entlangführt. Aber die Straße wird nicht benützt, seitdem der neue Weg oben über die abfallenden Küstenfelsen angelegt worden ist. Es ist ziemlich gefährlich dort. Ein Teil der Felswand fiel damals ein, als ich dorthin ging, und der alte Cardew hatte einen Prozeß mit dem Gemeinderat von Pawsey, weil die Leute die Schuttmassen nicht von der Straße entfernten. Er ist bewandert in den einschlägigen Bestimmungen.«
»Kommen Sie doch endlich herein.«
Cardew ging zu ihnen hinaus, und sie wandten sich dem Haus zu.
»Lassen Sie sich nicht merken, daß Sie etwas wissen«, murmelte Jim, und Super gab mit einem Kopfnicken seine Zustimmung zu erkennen.
Mr. Cardew hatte sein Gleichgewicht vollständig wiedererlangt und war auffallend lustig, als sie ihre Plätze bei Tisch wieder einnahmen. Er hatte schon eine Erklärung herausgefunden.
»Ich habe in meinem Carillon nachgesehen, und merkwürdigerweise habe ich dort einen Parallelfall entdeckt. Es findet sich ein Kapitel bei ihm, in dem er sagt, daß eine gewisse Art von Verbrechern durch eine finstere Macht unwiderstehlich gezwungen wird, aus dem Dunkel oder dem Verborgenen zu schießen...«
Super ließ sich gerade eine geröstete Wachtel auf Toast gut schmecken und wunderte sich, warum dieser kluge Anwalt nicht den mörderischen Anschlag mit dem Drohbrief an Hanna Shaw in Zusammenhang brachte.
Es war schon halb zwei Uhr nachts, als Jim an die Tür von Mr. Cardews Arbeitszimmer klopfte, um ihm gute Nacht zu wünschen. Bei dem Licht einer Tischlampe las der Anwalt in einem großen umfangreichen Band.
»Kommen Sie bitte herein, Ferraby. Ist der Oberinspektor schon fort?«
»Er hat sich eben verabschiedet.«
Cardew schloß das Buch mit einem Seufzer.
»Ein sehr praktischer Mann, aber ich bezweifle doch, daß er seine Arbeit wirklich ernst nimmt. Die Nachforschungen der Polizeibeamten arten mehr und mehr in mechanische Routine aus. Sie stellen Wachen auf den Straßen aus, benachrichtigen die Posten auf dem Land, und am Ende werden ein paar vollständig unschuldige Bürger verhaftet. Sie tun nichts, sie leisten keine wertvolle Arbeit. Sie stellen alles so dumm an, daß man sie entschieden tadeln muß. Ihre ganze Sorge um die Sicherheit ist doch nur eine große Spielerei. Je mehr ich die alten Methoden studiere, die die Polizei anwendet, desto mehr tut es mir leid, daß das Schicksal mich nicht einen aufregenderen Weg gehen ließ als den Pfad, der sich durch die Prozesse des Kanzleigerichts schlängelt.– Sagen Sie mir offen, was denken Sie von Hanna? Ist Ihnen nichts Verdächtiges in ihrer Haltung aufgefallen?«
»Sie scheint sich die Sache doch weniger zu Herzen zu nehmen, als ich für möglich hielt«, sagte Jim ruhig. Bei diesen Worten machte Mr. Cardew ein betroffenes Gesicht.
»Das ist doch seltsam ... Ich habe niemals daran gedacht, den Brief damit in Verbindung zu bringen – ich muß geschlafen haben!«
Er war blaß geworden.
»Ich habe mich sehr gewundert«, sagte Ferraby.
Auch Super war die Sache merkwürdig vorgekommen, und er hatte seine Verwunderung Ferraby gegenüber ausgesprochen, bevor er gegangen war. Es bedurfte aller Überredungskünste Jims, den Oberinspektor davon abzuhalten, Cardew darüber zu befragen. Jim sagte nichts, obgleich er wußte, daß Super unweigerlich früher oder später diese Angelegenheit mit dem Besitzer von Barley Stack besprechen würde.
»Ich habe nicht einmal im Traum daran gedacht, den Mann im Garten mit Hanna Shaw in Verbindung zu bringen«, sagte der Anwalt nachdenklich. »Es ist doch sehr erstaunlich. Ich wünschte nur, ich hätte es Minter erzählt.«
»Rufen Sie ihn doch an und erzählen Sie es ihm«, riet Jim, der gerne sein Gewissen erleichtern wollte.
Mr. Cardew zögerte, nahm den Hörer vom Telefon und legte ihn dann wieder auf.
»Ich muß mir die Sache erst noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Wenn ich es ihm jetzt mitteilte, würde er zurückkommen und eine fürchterliche Szene mit Hanna aufführen. Gerade herausgesagt – ich habe von Hanna genug ... Es ist einfach schrecklich. Ich komme mir ganz verächtlich vor. Dabei bin ich ein Anwalt, von dem man doch annimmt, daß er keine Gefühle hat. Nein, lassen wir es bis morgen oder später. Ich will den Oberinspektor bitten, zum Abendessen zu kommen, dann wird Hanna fort sein.«
Während Jim sich auskleidete, überlegte er, daß es besser sei, die Sache aufzuschieben, bis Hanna auf ihre seltsame Wochenendfahrt gegangen war. Sicher hatte das allerhand Vorteile. Es tat ihm schon leid, daß er morgen in aller Frühe aufbrechen mußte und bei dieser Aussprache nicht zugegen sein konnte.
Langsam begann er zur Ruhe zu gehen. Eine entfernte Kirchenuhr schlug zwei, als er endlich das Licht ausmachte. Entweder waren die Aufregungen an diesem Abend oder vielleicht auch die paar Minuten Ruhe, die er auf seinem Weg von der Stadt hierher gehabt hatte, daran schuld, daß er nicht schlafen konnte. Er hatte sich eigentlich noch nie so wach in seinem Leben gefühlt. Eine halbe Stunde lang lag er, und seine Gedanken wanderten durch das ganze Haus, von Elfa Leigh zu Cardew, von Cardew zu Hanna und dann wieder zurück zu Elfa. Schließlich erhob er sich mit einem Seufzer und ging zu dem kleinen Tisch, auf dem das Rauchzeug stand. Er steckte seine Pfeife an und trat ans Fenster.
Der Mond war in seiner letzten Phase. Nur noch, eine dünne bleiche Sichel leuchtete am klaren Himmel. Von seinem Sitz am Fenster konnte Jim ein hellerleuchtetes