Die Bluthunde von Paris. Christina GeiselhartЧитать онлайн книгу.
Du musst ihn respektieren. Verstehe mich nicht falsch: Ich bin ein Mann des Fortschritts, du wirst es anhand meiner Geschichte erfahren. Ich hasse den Absolutismus, verabscheue die Arroganz des Hofes, unter der das Land leidet. Gleichzeitig glaube ich an den Unterschied des Blutes. Ich bin von edlem Geblüt und du von gemeinem Blut.“
Erst jetzt senkte Philippine die Lider. Sie wusste, dass sie im Vergleich zu ihm ein Nichts war, aber konnten nicht Empfindungen, große Gefühle das alles wettmachen?
„Sieh mich an!“
Das Mädchen gehorchte.
„Du willst also meine Geschichte hören?“
Es nickte heftig.
„Schwöre mir zum dritten Mal, beim Leben deiner Mutter, deines Vaters, deiner Geschwister und deines Pferdes, niemandem zu verraten, was du nun von mir hörst.“
Zärtlich ruhten die großen Augen des Mädchens auf dem Gesicht des Edelmanns. Leise und fast etwas enttäuscht wiederholte es, was es schon mehrmals beteuert hatte.
An der Art, wie es zu ihm sprach und auch an ihrem zärtlichen Blick, musste der Mann erkennen, dass dem Mädchen viel an seiner Person lag. Dementsprechend war die Aussage zu deuten, mit der er zu erzählen begann:
„Wenn du mich verrätst, erwartet mich der sichere Tod.“
Philippine zuckte zusammen. Deutlich hob sich das kräftige Grün ihrer Augen von der blassen Haut ab.
„Vorläufig bin ich hier sicher. Niemand aus meinem Bekanntenkreis wird sich an dieses alte Landhaus erinnern. Es gehörte einem älteren Freund meines Vaters, der sich hier mit seiner jungen Maitresse traf. Bevor er starb, vermachte er es der Maitresse, die jedoch nach seinem Tod wahnsinnig wurde und auf ihrem Schloss vor sich hinvegetiert. Solange sie lebt, kümmert sich niemand um das Liebesnest und niemand verspürt Lust, in diesen einsamen Ort Geld zu investieren, um ihn wohnlich zu machen. Wir brauchen nichts zu befürchten, wenn du schweigsam bist.“
„Ich schwöre es!“, flüsterte Philippine aufs Höchste gespannt.
„Kennst du Frankreichs Geschichte?“
Das Mädchen nickte zaghaft und erwähnte einige Episoden, die sie bei Pfarrer Roumanet gelernt hatte. Allerdings traue sie seiner Interpretation nicht ganz. Sie sei voller Wut und Hass auf das Königshaus. Dabei müsse man den König ehren. Maxence lachte spöttisch.
„Nein! Diesen König darf man nicht ehren. Er ist so schwach wie sein Vorgänger und so vergnügungssüchtig wie einst der Sonnenkönig.“
„Aber der Sonnenkönig war ein starker Mann. Er hat Versailles gebaut.“
„Und unzählige Kriege geführt. Willst du solche Könige ehren? Der Bau von Versailles hat Unsummen verschlungen und das Volk ausgehungert. Alles Salz ging an den Hof, die Menschen auf dem Land mussten darauf verzichten und wurden bucklig.“
„Es braucht großen Mut, die Könige anzuzweifeln. Sie sind wie Gott. Wir können nicht gegen sie ankämpfen. Wir dürfen es auch nicht, wenn uns unser Leben lieb ist. Sonst müssen wir so schrecklich leiden wie Damien, der unseren Ludwig XV ermorden wollte.“
„Unfug! Unsinn! Dummheit!“, rief Monsieur Maxence und seine Wangen röteten sich. „Der König ist nicht wie Gott. Merke es dir ein für allemal! Unser jetziger König ist ein gutmütiger Mensch mit einem einfachen Verstand. Nicht dafür geschaffen, einem Reich mit all seinen Schwierigkeiten vorzustehen. Er und seine kindische, nichtsnutzige Königin müssen verschwinden.“ Ein wilder Ausdruck verhärtete Maxence’ Gesicht. Wieder zuckte Philippine erschrocken zusammen. Ihre Lippen formten das Wort König und sie wurde blass.
„Nettes, ahnungsloses Mädchen, das du bist, wach auf! Du und deinesgleichen werdet klein und dumm gehalten, damit ihr es ja nicht wagt, euch aufzubäumen. Siehst du denn nicht wie verschwenderisch sie in ihren Schlössern leben? Gold, Silber, schöne Kleider, gutes Essen in Hülle und Fülle, während ihr euer Brot einteilen müsst, wenn ihr überhaupt welches habt.“
„Das ist in der Natur der Dinge, weil wir einfach sind und der König göttlich.“
„Göttlich! Ha!“
Aufgebracht schoss er hoch. Sein Zeigefinger schnellte durch die Luft und leidenschaftlich fuhr er fort: „Was ist in der Natur der Dinge? Dass der Mensch sich nur durch Bildung vom anderen unterscheidet und nicht durch das Blut!“
„Aber Sie sagten zuvor, ich sei von gemeinem und Sie von edlem Blut!“, wagte Philippine hoffnungsvoll einzuwerfen.
„Das war anders gemeint, altkluges Mädchen! Und vermeide es, mich frech zu unterbrechen.“
Streng sah er sie an. „Edles Geblüt bezieht sich auf die edle, jahrhundertealte Erziehung, die meine Familie genossen hat. Deshalb ist unser Blut edel. Deshalb hat sich unser Verstand verfeinert und deshalb sehen wir auch feiner aus als das niedere Volk. Das gilt ebenso für den König. Auch wenn er im Gegensatz zu meinesgleichen ein lahmer, nichtsnutziger Esel ist. Ich habe die großen Denker unseres Jahrhunderts studiert. Louis studiert außer den erlesenen Speisen auf seiner Tafel nur Hirsche. Vor deinem Gott jedoch sind wir alle gleich, und vor dem Gesetz müssen wir alle gleich behandelt werden. Hast du das verstanden?“
Unsicher nickte Philippine.
„Und bevor ich dir meine persönliche Geschichte erzähle – die übrigens sehr kurz ist – werde ich dir die lange Geschichte aller Könige Frankreichs lehren und du wirst erkennen, dass diese Menschen keine Stellvertreter Gottes sind. Eher sind sie Stellvertreter des Teufels, man denke an einige unter ihnen wie François I., der seinem Volk hohe Steuern abpresste, um seine Favoriten und Maitressen mit Schätzen zu überschütten. In seinem Reich blühten Wucher, Korruption und Hass auf Andersdenkende. Dann gab es Henri II, der jeden Calvinisten aufhängen ließ. Was hältst du von Henri de Guise und Catharina de Medici, diesen heimtückischen Kreaturen? Getrieben von der Gier nach Macht, zerfressen vom Hass auf alle, die ihre Pläne durchkreuzten, schlachteten sie in einer Nacht allein in Paris 3000 Hugenotten ab. Und die Glocken der Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois läuteten das Massaker ein. Stell dir das Grauen bildhaft vor: Frauen und Kindern schlitzt man die Kehle auf, Tote füllen die Straßen, schwimmen in der Seine. Admiral Coligny, Anführer der Hugenotten, wird von Säbelstichen durchbohrt, aus dem Fenster geworfen, sein Körper niedergetrampelt, bevor man ihm den Kopf abschneidet und dem Königshaus schickt.“
Totenblass richtete sich nun Philippine auf. Sie bedeckte ihre Ohren mit den Händen.
„Bitte, Monsieur Maxence! Sagen Sie nicht so schreckliche Dinge. Sie machen mir richtig Angst.“
„Das soll es auch! Aber nach der Angst muss Wut, Zorn und geballte Kraft in dir wachsen, um diese Ungeheuer ein für alle Mal vom Thron zu stürzen. Deshalb erzähle ich dir die Schandtaten aller Potentaten. Deshalb, und damit du meine Geschichte besser verstehen kannst.“
Allmählich begriff Philippine, wovor der edle Herr auf der Flucht war. Ein eiskalter Schauder rieselte ihr vom Nacken aus den Rücken hinunter. Trotz der Bitte und ihrer großen Bestürzung fuhr Maxence wild gestikulierend in seiner Rede fort:
„Ja, durch Bildung unterscheiden sich die Menschen. Aus diesem Grunde muss jeder Mensch das Recht auf Bildung haben. Erst dann beginnt die Auslese, wer es zu Höherem bringt und wer nicht. Seit Jahrhunderten aber bestimmt das adlige Blut den Rang. Zwangsläufig wird das Volk von Kretins oder Bestien regiert, denn nicht immer ist adliges Blut auch edel.“
„Aber Monsieur Maxence. Ist der gemeine Mensch nicht schlimmer? Oft ist er wie ein Tier. Ich habe Angst vor ihm und wünsche mir am Hof leben zu dürfen. Unter schönen, gepflegten, ja auch gebildeten Menschen.“
„Der Hof wird täglich unwichtiger, lass es dir gesagt sein! Unter ihm bewegt sich der Boden. In ihm pulsiert wild das Blut des einfachen Mannes. Das Klopfen und Hämmern in den Adern der Erde wird so stark werden, dass der Thron zusammenbricht. Und ich ... ja ich, werde dazu beitragen, dieses morsche, korrupte Reich niederzubrennen. Und auf seiner Asche wird etwas Neues entstehen. Eine neue Form der Regierung, eine Gesetzgebung, die jeden Menschen