Frankreich mit allen Sinnen. Otto W. BringerЧитать онлайн книгу.
schreien. Ihr Gesicht rot vor Zorn. „Pouvez-vous me montrer, dans quelle direction il est allé”? Können Sie mir zeigen, in welche Richtung er gefahren ist. Sie weist mit der Hand in Richtung Ortsausfahrt. „Probablement, au terrain de Camping.“ Wahrscheinlich zum Campingplatz. Rose: „Je vous en prie madame de tout coeur, montrez nous la route.“ Bitte herzlich Madame, zeigen Sie uns den Weg. Schwupps sitzt sie neben mir. Hört nicht auf zu schimpfen. Wenn auch ein paar Dezibel leiser. Ich fahre nicht schnell. Blinzele auf den verbeulten Kotflügel rechts. Streife das linke Knie der kleinen, zarten Frau neben mir.
„Voila!“ Das Campingschild unübersehbar. Rasch finden wir den grünen Wohnwagen. Links hinten eingedrückt. Ein vornehmer Mann nähert sich, beguckt den Jaguar. Entschuldigt sich sofort. Alles schnell geregelt. Der Stadtrat aus den Niederlanden ist gut versichert. Madame schimpft immer noch. Fuchtelt dem Amsterdamer vor der Nase herum. Droht mit der Faust.
Die temperamentvolle Frau kann es nicht lassen. Ist ja auch unerhört. Einen Schaden verursachen und dann einfach abhauen. Vielleicht hat er es nicht bemerkt. Weil seine Kinder im Fond Klamauk machten. Egal. Wir schenkten unserer Helferin eine Riesenschachtel mit Nougatscheiben. Braune, grüne, weiße Schokolade mit viel drin. Original aus Montélimar. Sollte für unsere Frau Geese sein. „Merci, beaucoup“ ruft sie, als wir wir sie absetzen. „Merci aussi.“
Abends gegen acht. Das ‚Ecu’ liegt irgendwo dahinter. Sehen einen Pferdekopf. Fahren zwischen zwei Häusern in einen Hof. Nochmal links herum. Wieder rechts. An jeder Ecke ein Schild mit Pferdekopf. Unverwechselbares Firmenlogo unseres Restaurants. Witzig, witzig.
Das Restaurant ein ehemaliger Stall. Roh verputztes Gestein. Weiss geschlemmt. Neben dem Eingang je eine Palme. Im Topf blühender Mohn. Grob getischlert Tische und Bänke im niederen Raum. Unter der Decke ein großflügeliger Windmacher. Monsieur kommt: „Bonsoire, Monsieur, Dame.“ Reicht den Speisezettel. Schiebt die Blumenvase beiseite. Stellt einen Krug mit Wasser dahin. Die Gläser. Grinst: „Je vous recommande notre plat du jour: Salat de Pissenlit, Daurade grillé et Melon de Cavaillon.“ Löwenzahnsalat, Dorade gegrillt und Melone aus Cavaillon. „Nous acceptons votre offre, merci“. Akzeptiert.
„Was trinken wir?“ Rose fragt. Als ob er uns verstanden hätte, steht er plötzlich wieder am Tisch. Sehen hinter dem Tresen die offene Klappe. Wahrscheinlich Zugang zum Felsenkeller mit hauseigenen Weinen. Was bringt er uns?
„Le Coer“, Château Romanins Mondwein. Vom einzigen biologischen Weinbauern in Saint Rémy. Besondere Eigenschaft: Wird bei Vollmond geerntet. Extra für Liebende. Schmeckt himmlisch. Zum Fisch fast nicht zu toppen. „Den nehmen wir mit.“ Rose Feuer und Flamme. Was bei Weinen nicht oft vorkommt. Kann ich daraus schliessen, dass sie mich liebt? Ich jedenfalls liebe sie, mit und ohne Wein. Mit Wein noch ein klitzekleinbisschen mehr. Wir beschließen, am Tage der Abfahrt zwei Kartons einzuladen. Klemmen sie zwischen Vorder- und Rücksitz. Damit sie nicht hin und her rutschen. Wein hat das nicht gern. Im Gegensatz zu Liebespaaren.
Noch zwei Mal ließen wir uns vom Freund Klingen Kartons mitbringen. Sie reisen in die Provence, wenn wir in Italia die Zeit verschwenden. Auf der Suche nach Weinen, die Liebe fördern. Und anderen lebenswichtigen Sachen.
ARLES – Hummer in Vanille.
Für die Fahrten in die südliche Provence suchen wir in Arles ein Hotel. ‚Jules Cesar’ gewinnt. Das Foto seines Säulenportikus gab den Ausschlag. Die Palmen davor auch. Das Hotel bestätigt zwei Wochen Arles. In der Stadt mit zahlreichen Spuren aus der Zeit römischer Besatzung. Die Arena. Fast erhaltener Rundbau, der vieles gesehen hat. Im Mittelalter zogen sich Adel und Klerus darin zurück. Errichteten Häuser und Paläste, dicht an dicht. Eine Kirche. Warum? Das Volk wurde aufmüpfig. Drohte mit Gewalt und Brand. So blieb das Amphitheater bis zum 19. Jahrhundert praktisch zugebaut. Und bewohnt.
Erst als Prosper Merimé französischer Kulturminister war, änderte sich Vieles. Er forderte, alle römischen Bauten in Frankreich als Objekte französischer Geschichte wieder sichtbar zu machen. So, wie sie waren. Vom Schutt nachfolgender Zeiten befreit. Auch in Arles räumte man die Einbauten aus. Was wir sehen, ist römisches Original. Das Amphitheater. Die Thermen. Der Palast Kaiser Constantins. Alyscamps, die Begräbnisstätte. Im Musée Départemental-Arles-Antique zahllose Beispiele von der Frühgeschichte bis zum Ende der Römerzeit. Als erstes da hinein.
Mein Röslein, Röslein Röslein rot liebt das Präsens mehr als das Plusquamperfekt. Die Gegenwart mehr als Antikes. Mich ausgenommen. Nur Schönes fesselt sie: „Guck mal die schöntraurige Venus von Arles. Nachdenklich, weil sie Cäsar nicht half, als Brutus sich mit dem Dolch näherte. Hier der junge Prinz, aus weißem Marmor gemeißelt. Hinreißender Knabe.“ Junge, Junge pass auf. Sage ich mir. „Quatsch, alles toter Stein.“ „Die Bronzestatue des Fauns. Ein richtiger Draufgänger.“ Hört es nicht auf? Froh, dass nicht noch mehr Schönlinge unseren Weg kreuzen. Rose könnte mich falsch einschätzen. Ich beuge vor:
„Rose, liebe Rose, Arlesierinnen waren schöne Frauen. Sagen nicht nur die Dichter. Erinnere Dich, gestern sahen wir sie über das Feuer springen. Engeln gleich, die ihre Unsterblichkeit testen. Prosper Mérimé schrieb das Libretto, Drehbuch, zur Oper Carmen von George Bizet. Begeistert von den schönen, eleganten Frauen aus Arles.
Die Bühnenschöne der Düsseldorfer Oper riss auch mich aus kindchristlicher Ahnungslosigkeit. Befreite den Mann in mir. Ich war vierzehn. Hugo von Hoffmannstal besang die feierliche, römische Schönheit der Arleser Frauen. Ihren königlichen Gang. Die Kameeprofile, Portraitreliefs aus Elfenbein und Edelsteinen. Schmuckstücke der Frauen seit Anno unbekannt. „Wenn ich Dich betrachte, Rose, bleibt mir nichts als Dich zu schmücken, ma Chéri.“
„Heute Abend gehen wir ins ‚Le Vaccares’. Im ersten Stock des ‚Cafe van Gogh’. Man soll dort gut speisen, hörte ich im Hotel.“ Wie immer bei besonderen Anlässen, Rose macht sich fein. Weiße, schmalgrau gestreifte Hose. Feinweiße Baumwollbluse mit aparten Löchlein überallrum. Rasch gekauft bei einer Französin auf der Königsallee in Düsseldorf. Offenherziges, randgekräuseltes Phänomen. Das mehr zeigt als es verdeckt.
Mir bleibt, mich ihr anzupassen. Unauffällig, nicht unterwürfig. Das will Rose nicht. Also auch weiße Hose. Dunkelblaues Hemd unterm weißen Sakko. Sommerlich gestimmt wir beide. Hungrig auf den Abend bei Vincent.
„Bon soir, Monsieur, Madame, bienvenue dans Le Vaccares.” Eine ältliche Jungfer mit Schürze und Speisekarte lächelt uns zu. Wir fragen, ob sie van Gogh kannte. „Non, mon père etait son ami“. Mein Vater war sein Freund. „Vincent hat ihr Haus mit seinem Gemälde bekannt gemacht. Sie können über fehlende Gäste nicht klagen. Pardon, je m´appelle Agnès. Ma soeur Juliette assiste le frère Jean dans la cuisine.” Aha, der Bruder kocht. Schwester hilft. Agnès managet den Rest. „Das finde ich gut“, sagt Rose. Schickt ihr bezauberndstes Lächeln in Agnès Augen. Die ziert sich etwas. Schließlich sind wir Fremde.
Die Karte offeriert Homard en Vanille, Hummer in Vanillesoße. Nie gelesen. Schon gar nicht gegessen. Hummer mit Süß? „Kann interessant sein. Denk an die Spaghetti mit Schokoladensoße in Montagnana.“ Roses Gedächtnis blitzschnell wie immer. Also probieren:
„Nous voudrions manger votre specialité l´homard en Vanille. Et une salat de pissenlit en l´hors d´oeuvre.“
Löwenzahnblätter als Vorspeise kitzelt man hier mit ausgelassenen Speckstückchen zur Delikatesse. In unseren Gärten jätet man ihn wie Unkraut. Keine Ahnung die Germanen.
Jetzt sitzen wir nun auf dem kleinen Balkon. Den der große Vincent van Gogh gemalt hat. Bei Nacht. Von unten aus gesehen. Mit gelb ins Bild ragender Markise. „Wenn ich die Augen ein bisschen zukneife, sehe ich alles um uns herum blaugelb gepinselt. Dich Liebster inklusive.“ Rose öffnet ihre Augen wieder und lacht. „Du hast Recht Rose, Künstler interpretieren die Welt. Wie sie sie sehen. Damit anderen die Augen aufgehn. Bin ich immer noch blaugelb?“
Schon ein seltsames Gefühl, in einem Restaurant zu sitzen, das ein Künstler mit nervösen Pinselstrichen blaugelb interpretierte. Der Kunstmarkt heute katapultiert seine Bilder in die Millionen. Hätte van Gogh nur ein halbes Prozent vom heutigen Wert für sich