Die Namenlosen. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
mit leiser, brüchiger Stimme – „nicht viel jünger als deine Mutter und ich damals.“ Er schob sie von sich weg, erhob sich von seinem Sitz und wandte den Kopf schnell zur Seite. „Warte hier und beruhige dich. Ich werde hineingehen und mit deiner Mutter sprechen.“ Seine Stimme bebte bei diesen Abschiedsworten; er verließ sie, ohne sich noch einmal umzusehen.
Sie wartete – wartete ermüdend lange; er kam nicht zurück. Die wachsende Angst drängte sie schließlich, ihm ins Haus zu folgen. Als sie sich voller Zweifel der Tür näherte, pulsierte eine neue Furchtsamkeit in ihrem Herzen. Nie hatte sie gesehen, dass ihr Vater in den Tiefen seiner einfachen Natur so aufgewühlt war, wie sie ihn mit ihrem Geständnis aufgewühlt hatte. Fast fürchtete sie sich vor dem nächsten Zusammentreffen mit ihm. Leise und mit einer Schüchternheit, die für sie selbst unerklärlich war, wanderte sie in der Diele auf und ab. Die Furcht, von ihrer Schwester oder Miss Garth entdeckt und angesprochen zu werden, machte sie nervös und empfänglich für die leisesten Geräusche im Haus. Die Tür des Frühstückszimmers öffnete sich, während sie ihr den Rücken zuwandte. Sie erschrak heftig, blickte sich um und sah ihren Vater in der Diele. Ihr Herz schlug immer schneller, und sie spürte, wie sie blass wurde. Ein zweiter Blick auf ihn, während er näher kam, beruhigte sie. Er hatte seine Fassung wiedergewonnen, war aber nicht so fröhlich wie gewöhnlich. Ihr fiel auf, dass er mit einer nachsichtigen Sanftheit auf sie zukam und sie ansprach, wie es eigentlich mehr seine Art gegenüber ihrer Mutter als sein gewöhnliches Verhalten ihr gegenüber war.
„Geh hinein, mein Liebes“, sagte er und öffnete die Tür, die er gerade geschlossen hatte. „Erzähl’ deiner Mutter alles, was du mir erzählt hast – und noch mehr, wenn du mehr zu sagen hast. Sie ist besser auf dich vorbereitet als ich es war. Wir werden heute darüber nachdenken, Magdalen; morgen wirst du wissen, und Frank wird wissen, wie wir entschieden haben.“
Ihre Augen leuchteten auf, als sie ihm ins Gesicht blickte und dort mit der doppelten Durchdringungskraft ihres Frauseins und ihrer Liebe die Entscheidung bereits erkannte. Glücklich und schön in ihrem Glück legte sie seine Hand an ihre Lippen und ging ohne Zögern ins Frühstückszimmer. Dort hatten die Worte ihres Vaters ihr bereits den Weg geebnet; dort war der erste Schreck der Überraschung vorüber, und nur die Freude blieb. Ihre Mutter war auch einmal in ihrem Alter gewesen, und ihre Mutter wusste, wie zugetan sie Frank war. Sie sah das bevorstehende Gespräch in ihren Gedanken voraus; und abgesehen von einem unerklärlichen Anschein der Zurückhaltung in Mrs. Vanstones erstem Empfang sah sie es richtig voraus. Nach kurzer Zeit kamen die Fragen immer rückhaltloser aus der süßen, unvergessenen Erfahrung im Herz ihrer Mutter. In Magdalens Antworten durchlebte sie noch einmal ihre eigenen jugendlichen Tage der Hoffnung und der Liebe.
Am nächsten Morgen wurde die hochwichtige Entscheidung in Worten verkündet. Mr. Vanstone nahm seine Tochter mit nach oben in das Zimmer ihrer Mutter und legte ihr dort das Ergebnis der gestrigen Beratung und des darauf folgenden nächtlichen Nachdenkens vor. Er sprach mit vollkommener Freundlichkeit und Selbstbeherrschung, aber mit weniger und ernsteren Worten als gewöhnlich; und während des ganzen Gesprächs hielt er die Hand seiner Frau zärtlich in der seinen.
Er setzte Magdalen in Kenntnis, dass weder er noch seine Mutter es für gerechtfertigt hielten, ihr ihre Zuneigung zu Frank vorzuwerfen. Sie sei vielleicht zum Teil die natürliche Folge ihrer kindlichen Vertrautheit mit ihm, zum Teil aber auch das Ergebnis der engeren Innigkeit, die durch die Theaterunterhaltung zwangsläufig entstanden sei. Gleichzeitig sei es aber jetzt die Pflicht ihrer Eltern, diese Zuneigung auf beiden Seiten einer angemessenen Prüfung zu unterziehen – um ihretwillen, weil ihr zukünftiges Glück das größte Anliegen ihrer Eltern sei; und um Franks willen, weil sie entschlossen seien, ihm die Gelegenheit zu geben, sich des in ihn gesetzten Vertrauens als würdig zu erweisen. Sie seien sich beide bewusst, dass sie stark zu Franks Gunsten voreingenommen seien. Das exzentrische Verhalten seines Vaters hatte den jungen Mann von seiner frühesten Jugend an zum Gegenstand ihres Mitgefühls und ihrer Fürsorge gemacht. Er (und seine jüngeren Brüder) hatten für sie fast den Platz der eigenen Kinder eingenommen, die sie verloren hatten. Aber auch wenn sie fest daran glaubten, dass ihre gute Meinung über Frank stichhaltig begründet war, sei es dennoch im Interesse ihrer Tochter notwendig, diese Meinung streng auf den Prüfstand zu stellen, indem sie gewisse Bedingungen stellten und eine Wartezeit von einem Jahr zwischen dem heutigen Tag und der in Betracht gezogenen Heirat festlegten.
Während dieses Jahres sollte Frank in London bleiben; seine Arbeitgeber würde man im Voraus in Kenntnis setzen, dass familiäre Umstände ihn daran hinderten, das Angebot einer Beschäftigung in China anzunehmen. Er solle dieses Zugeständnis als Anerkennung seiner Verbindung zu Magdalen betrachten, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Wenn er während des Probejahres das in ihn gesetzte Vertrauen nicht rechtfertigte – ein Vertrauen, das Mr. Vanstone veranlasst hatte, vorbehaltlos die gesamte Verantwortung für Franks Zukunftsaussichten auf sich zu nehmen – werde man die Heiratspläne von diesem Augenblick an als beendet betrachten. Wenn andererseits das Ergebnis eintrat, auf das Mr. Vanstone sich bereits zuversichtlich freute – wenn also Franks Probejahr bewies, dass er Anspruch auf das Kostbarste hatte, was man in seine Hände geben konnte – sollte Magdalen ihn mit allem belohnen, was eine Frau zu geben hat, und die Zukunft, die seine Arbeitgeber ihm als Ergebnis des fünfjährigen Aufenthaltes in China in Aussicht gestellt hatten, werde dann nach nur einem Jahr in Form der Mitgift für seine junge Frau verwirklicht werden.
Als ihr Vater dieses Bild von der Zukunft zeichnete, konnte Magdalen den Ausbruch ihrer Dankbarkeit nicht mehr im Zaum halten. Sie war zutiefst gerührt und sprach aus dem Innersten ihres Herzens. Mr. Vanstone wartete, bis seine Tochter und seine Frau ihre Fassung wiedergewonnen hatten; dann fügte er die letzten erklärenden Worte hinzu, die auszusprechen ihm jetzt noch blieben.
„Du verstehst, mein Liebes“, sagte er, „dass ich nicht erwarte, dass Frank als Müßiggänger von den Mitteln seiner Frau lebt? Es ist mein Plan für ihn, dass er weiterhin von dem Interesse profitieren soll, das seine derzeitigen Arbeitgeber an ihm haben. Mit ihren Kenntnissen über die Angelegenheiten in der Stadt werden sie bald eine gute Teilhaberschaft für ihn verfügbar machen, und du wirst ihm das Geld geben, um sie kurzerhand zu kaufen. Die Summe, mein Liebes, werde ich auf die Hälfte deines Vermögens begrenzen. Die andere Hälfte werde ich auf dich selbst festlegen. Ich hoffe, wir werden gesund und munter...“ – als er diese Worte sagte, blickte er zärtlich seine Frau an – …gesund und munter das Ende des Jahres erleben. Aber auch wenn ich nicht mehr bin, Magdalen, wird es nicht anders sein. Mein Testament – das ich gemacht habe, lange bevor ich an einen Schwiegersohn dachte – teilt mein Vermögen in zwei gleiche Teile. Ein Teil geht an deine Mutter; der andere wird gleichmäßig zwischen meinen Kindern geteilt. Du wirst deinen Anteil an deinem Hochzeitstag (und Norah den ihren, wenn sie heiratet) aus meiner Hand erhalten, wenn ich noch lebe, und entsprechend meinem Testament, wenn ich tot bin. He! He! Keine düsteren Gesichter“, sagte er, wobei seine alltägliche gute Laune von einem Augenblick zum anderen wiederkehrte. „Deine Mutter und ich wollen noch lange leben und zusehen, wie Frank ein großartiger Kaufmann wird. Ich werde dich jetzt verlassen, mein Liebes, und den Sohn über unsere neuen Vorhaben aufklären, während ich hinüber zum Cottage gehe…“
Er hielt inne. Seine Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen, und er blickte zögernd zu Mrs. Vanstone.
„Was musst du denn im Cottage machen, Papa?“, fragte Magdalen, nachdem sie eine Zeit lang abgewartet hatte, ob er den Satz von sich aus vollenden würde.
„Ich muss mich mit Franks Vater beraten“, erwiderte er. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Mr. Clares Einwilligung zur Beilegung der Angelegenheit noch fehlt. Und da die Zeit drängt und da wir nicht wissen, welche Schwierigkeiten er vielleicht noch bereiten wird, gehe ich lieber früher als später zu ihm.“
Die Antwort gab er in leisem, verändertem Ton; er stand halb widerwillig, halb resigniert aus seinem Sessel auf, was Magdalen mit heimlicher Beunruhigung beobachtete.
Sie sah ihre Mutter fragend an. Allem Anschein nach war auch Mrs. Vanstone durch seine Veränderung beunruhigt. Sie blickte ängstlich und unbehaglich drein. Zuerst wandte sie ihr Gesicht zum Sofakissen, dann drehte sie es plötzlich, als ob sie Schmerzen hätte.
„Fühlst du dich nicht wohl, Mama?“,