Unter Barbaren. Ralph ArdnassakЧитать онлайн книгу.
wa’ ‘n Fehlgriff jemacht, wa, Klärchen?“
Corinna braucht tagtäglich die Bestätigung, die Beste zu sein. Sie sieht sich als zukünftige Personalchefin, als Herrin über Einstellung und Entlassung!
„Warte man“, sagt Klara und lächelt: „die entpuppt sich noch, die Neue! Glob’s mir!“
„Meenste?“
„Glob’s mir! Kannst mir’s glob’n!“
So geht es Tag um Tag.
Die Neue, Frau Bunge, kann sich Mühe geben, wie sie will. Die Kolleginnen lassen kein gutes Haar an ihr. Corinna lästert ungeniert über ihre hochtoupierten Haare, ihre dünnen Beine, ihren fehlenden Busen.
Klara fühlt sich als Seniorin mit älteren Rechten gegenüber der Neuen. Sie achtet stets peinlich darauf, dass die gepolsterte Verbindungstür zwischen der Buchhaltung und dem Sekretariat geschlossen bleibt, damit die Neue nichts von dem mitbekommt, was in der Buchhaltung gesprochen wird.
Die große Glastür am Eingang schlägt hörbar zu. Gelächter und Gekicher, wie von Jungen dringt herein. Klara reckt den Hals und versucht durch das Glasfenster in der Tür der Buchhaltung auf den Gang zu spähen.
„Corinna, kommen die Beeden?“
Corinna ist aber mit dem Feilen ihrer Fingernägel und der Lektüre eines Kataloges für Werbegeschenke beschäftigt. Sie redet laut vor sich hin: „Guck mal, Klärchen, so schöne Spritzjußfijuren jibt’s hier!“
Dann werden ihre Augen weit. Träumerisch den Blick zur Decke gerichtet, kommt sie auf ihr Lieblingsthema zu sprechen: „Heini, meen Mann, hat mich jestern och Spritzjuß jeje’m!“
Klara wird ärgerlich: „Corinna! Die Beeden!“
Sicherheitshalber schaltet Klara schon ihren Personalcomputer ein und öffnet irgendwelche Kontenbücher. Sie bewegt hastig die Maus hin und her und blättert scheinbar geschäftig in einem Ordner. Die Angst vor möglicher Entlassung steht ihr im Gesicht geschrieben. Sie weiß, in ihrem Alter findet sie nichts mehr. Und sie muss noch ein paar Jahre aushalten, bis zur Rente.
Schnell setzt sie, wie zur Probe, ein geschäftiges Lächeln auf.
Die gepolsterte Tür vom Sekretariat wird geöffnet. Männerstimmen wehen herein. Eine wiederholt echoartig alle Worte. Ein Vorsprecher und ein Nachsprecher:
„Morgen, die Damen!“
„Morgen, die Damen!“
Die „Beiden“ sind da!
Die „Beiden“, das sind Dr. Baumann, der hiesige Institutsleiter, von den Seminarteilnehmern nur „Doktor Schlaumann“ genannt und sein Stellvertreter, Herr Zeckert. Die Betonung liegt auf „Herr“, das er in Ermangelung eines salonfähigen akademischen Titels ersatzhalber als solchen benutzt. Und richtig betont klingt das „Herr“ beinahe wie ein waschechter Doktor!
Eigentlich gibt es die Stelle des Stellvertretenden Institutsleiters gar nicht. Aber Schlaumann hat sie seinem Freunde, seinem Schatten zuliebe geschaffen. Die „Beiden“ tauchen nur zusammen auf. Es mag so lächerlich aussehen, wie es will. Und hinter ihrer Kumpanei steckte nichts weiter, als eine tiefsitzende Unsicherheit und eine Angst vor dem Leben, die sie kompensierten, indem sie sich aneinander festhielten wie kleine pickelige Schuljungen, die den Schwarzen Mann fürchten.
Schlaumann trägt seinen obligaten schlechtsitzenden grauen Anzug mit den Knitterfalten im Rücken und in den Kniekehlen. Er gibt allen Anwesenden seine fleischige. warme, immer verschwitzte Hand, ohne sie dabei anzusehen. Schlaumanns Körperfülle verströmt den üblichen leicht säuerlichen Geruch, vermengt mit seinem Deo der Marke „Sumatra Rain“ zu einer unangenehmen Mischung. Seine Brille ist leicht beschlagen, sein Haar ist sorgfältig gescheitelt, wenn er sich bei der Begrüßungszeremonie nach vorn beugt, rieseln feine Schuppen auf den Teppich. Am Hinterkopf steht ein Haarbüschel ab und gibt ihm die Aura eines dicklichen Pennälers, der den Lehrer durch Übereifer milde stimmen will.
Unmittelbar nach Schlaumann betritt Herr Zeckert den Raum. Zeckert ist einen ganzen Kopf kleiner als Schlaumann und extrem dünn. Eine Tatsache, die er auf seine hohen Blutzuckerwerte zurückführt. Auf dünnen Säbelbeinen läuft er um den Tisch und gibt, wie sein Vorgesetzter, allen Anwesenden die Hand. Zeckert gibt sich betont leutselig. Er drückt einem die Hand mit festem Griff, so fest, dass seine Fingergelenke dabei knacken. Zeckerts Hand ist immer sehr warm und trocken. Seine Handfläche erinnert an die Berührung warmen Wüstensandes. Zeckerts schmales Gesicht rahmt ein schütterer, stets sorgfältig geschnittener Vollbart. Er ahmt so seinen Vater nach, der im Zweiten Weltkrieg auf einem U-Boot gefahren ist. Zeckert ist immer fahrig und nervös. Sein Zucker macht ihn leicht reizbar. Seine Gesichtsfarbe ist gelblich. Stets erzählt er dieselben Geschichten. Er vergisst, dass alle sie auswendig kennen.
Die Beiden geben allen die Hand. Die Frauen bemühen sich, zu lächeln. Sie wissen, die Beiden haben zu Hause Frauen und Kinder. Irgendwo müssen sie die strahlenden Helden sein. Wenn schon nicht zu Hause, dann hier. Jeder muss sehen, wo er bleibt!
Besonders Corinna versteht es, die Beiden um den Finger zu wickeln. Sie lässt sie in dem Glauben, zwei tolle Kerle zu sein. Man muss seinen Job sichern, heutzutage! So oder so! Wenn hier mal das große Entlassen losgeht, will Corinna nicht die erste sein! Sie muss ein Haus abbezahlen! Sie kann schäkern, dass es einem die Sprache verschlägt.
Klara denkt ähnlich. Zum Schäkern ist sie zu alt. Aber auch sie muss ihren Job sichern. Sie findet keine andere Arbeit mehr in ihrem Alter. Sie geht den Beiden um den Mund und versucht, ihre Arbeit ordentlich zu machen. Hin und wieder richtet sie ein schönes Frühstück aus, für die Beiden: belegte Brötchen, saure Gurken - es ist so einfach, Menschen zu beeinflussen! Nie würde sie klagen! Überschütten die Beiden sie mit Arbeit, verliert sie kein Wort. Sie geht auf die Damentoilette und weint. Danach geht es ihr besser.
Die Beiden ziehen sich in ihr Büro zurück, wo sie einander gegenübersitzen. Klatt weiß, dass Frau Bunge, die neue Sekretärin, ihnen jetzt Kaffee servieren und Komplimente über ihre Krawatten machen wird. Die Beiden haben längst die Fähigkeit verloren, Schmeicheleien zu erkennen.
Klara schließt die gepolsterte Verbindungstür zwischen Buchhaltung und Sekretariat, damit niemand hört, was hier gesprochen wird.
„Haste jeseh’n, Klärchen: widder derselbe Knitteranzug!“, spielt Corinna auf Schlaumann an.
„Und gestunken hat er widder!“, ergänzt Klara: „Wer stinkt, ist hier gut angesehen!“
Beide kichern in sich hinein. Die Frauen nippen an ihren Kaffeetassen und blättern dabei in Katalogen. Sollte die Verbindungstür geöffnet werden, wären sie in Sekundenschnelle mit ihren Computern beschäftigt. Darin haben sie ein erstaunliches Maß an Geschick entwickelt. Sie kichern und lästern über die Beiden, die jetzt ganz hinten, in ihrem Büro sitzen, Kaffee trinken und sich von der Neuen Komplimente machen lassen.
Die Neue ist der wunde Punkt: sie versteht es zu gut, die Beiden um den Finger zu wickeln. Sie versteht das besser, als Corinna. Dabei ist sie mordshässlich: knüppeldürre Beine, Brille, immer gekleidet, wie eine Achtzigjährige! Kein Wunder, ist ja bei ihrer Oma aufgewachsen! Ist mit achtundzwanzig Jahren schon eine richtige Oma!
Die Frauen kichern!
Aber die Neue ist gefährlich! Sie wickelt die Beiden um den Finger! Sie hat schon einen Stein im Brett bei den Beiden! Und sie ist faul! Sitzt nur im Vorzimmer und schäkert mit den Beiden! Wird sie, die langjährigen Mitarbeiterinnen, hier noch wegbeißen!
Klatt sieht auf die Uhr: noch zehn Minuten bis zum Seminar!
Sein Blick fällt auf Klaras Hände. Sie spielt mit einem länglichen Radiergummi. Klatts Augen werden weit. Er kennt den Radiergummi.
„Uli, mein kleines Uli!“, entfährt es Klatt.
Die Frauen hören es und halten inne. Dann sehen sie den Radiergummi und haben verstanden.
„Hör endlich damit auf!“, sagt Klara gereizt. Sie zieht die Augenbrauen hinter ihrer