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Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft. Anton WeißЧитать онлайн книгу.

Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft - Anton Weiß


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      Einführung

      In dem für mich schicksalhaften Jahr 2005 habe ich Erlebnisse gehabt, die mir gezeigt haben, worum es im Leben geht: um die Transzendierung des Ichs. Da ich im christlichen Glauben aufgewachsen bin und Religion für mich immer die entscheidende Komponente im Leben war, bedurfte es für mich keines großen Nachdenkens, um die entscheidenden Parallelen zu urchristlichem Gedankengut zu sehen. In meinen Schriften habe ich an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen. Es erschien mir aber reizvoll, diese Parallelen mehr oder weniger umfassend darzustellen, was hiermit geschieht.

      Die vorliegende Arbeit beansprucht in keiner Weise theologische Korrektheit. Das würde ständig zu Rechtfertigungen führen, die lediglich einen intellektuellen Reiz hätten. Es geht mir in erster Linie darum, meine Erlebnisse im Licht derjenigen christlichen Glaubensinhalte darzustellen, die sich mir schlichtweg aufdrängen. Insofern darf man auch keinesfalls Vollständigkeit erwarten.

      Vorgeschichte

      Vielen heutigen Menschen sagt die christliche Botschaft nichts mehr, da sie als ein mehr oder weniger tradierter Glaube an überliefertes Gedankengut aufgefasst wird. Schon Karl Rahner hat gesagt, dass Glaube in heutiger Zeit nur mehr möglich ist, wenn Erfahrung dahinter steht, „oder er wird nicht mehr sein“ (aus dem Gedächtnis zitiert). Um aber Glaubenserfahrung zu machen, muss ein elementares Interesse daran vorhanden sein, ganz nach dem Jesuswort: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch hinzugegeben werden“ (nach Mt 6,33) (alle Bibelzitate nach „Die Bibel“, Einheitsübersetzung Altes und Neues Testament; Herder 2009, sofern nicht anders angegeben; die Abkürzungen entsprechen dem üblichen Gebrauch: Gen für das erste Buch Moses etc.).

      Dieses elementare Interesse aber kann man heute kaum mehr irgendwo sehen. Das Hauptinteresse der meisten Menschen besteht heute darin, ihren Wohlstand zu mehren. Die Kirchen haben es nicht verstanden, die christliche Botschaft für den modernen Menschen verstehbar zu machen. Sie beschränken sich in der Regel zu sehr auf ein Für-wahr-Halten von Glaubensinhalten. So stehen die Erfahrungen des Lebens moderner Menschen nicht mehr in Verbindung mit der christlichen Botschaft, und das müsste durchaus nicht so sein.

      Die katholische Kirche hat es in den Anfängen der Tiefenpsychologie versäumt, darin eine Chance für eine Neuinterpretation christlichen Gedankenguts zu sehen. Gerade die psychologischen Erkenntnisse hätten für ein tiefgehendes neues Verständnis christlicher Glaubensinhalte erkannt werden müssen, was aber nicht geschah. Kein Wunder, dass heute der Psychotherapeut an die Stelle des Priesters und Beichtvaters getreten ist.

      Sehr wohl hat es aber einzelne Personen im Raum der Kirche gegeben, die schon früh erkannt haben – z. B. Josef Goldbrunner in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts –, dass die Psychologie eines C. G. Jung sehr nahe an christliche Grundwahrheiten heranreicht. Für mich, der ich damals Theologie studierte, waren seine Bücher wegweisend.

      Mein Leben verlief im wahrsten Sinne des Wortes „katholisch“, d. h. allumfassend. Neben Psychologie interessierten mich vor allem andere Religionen, insbesondere die östlichen, ganz besonders aber der Zen-Buddhismus. Hier fand ich, besonders durch das Buch von Eugen Herrigel „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ das, was ich als Kern der religiösen Ausrichtung verstand: Dass es etwas geben muss, das dem Verstand nicht zugänglich ist und das dennoch in das Leben des Menschen einbrechen kann. So verstand ich auch die geheimnisvollen Gleichnisse Jesu vom Reich Gottes. Ich spürte, dass es da etwas gibt, was dem Zugriff des Menschen entzogen ist. C. G. Jung bezeichnet dies als eine „schwer zu erringende Kostbarkeit“, worauf das Gleichnis vom Schatz im Acker oder der kostbaren Perle ebenfalls hinweisen. Mein ganzes Leben war darauf ausgerichtet, diese Kostbarkeit zu erlangen. Was ich aber konkret hatte, war lediglich der Glaube daran, dass es das gibt. Mit zunehmendem Alter stellte ich fest, dass die meisten Menschen diesen Glauben, diese Hoffnung, dass es etwas gibt, was den Verstand übersteigt, längst aufgegeben und sich den Freuden und Genüssen des Lebens zugewandt hatten. Die Wissenschaften lieferten ein Erklärungsmodell für die Entstehung und Entwicklung der Welt und des Lebens, das den Glauben an einen Gott überflüssig machte. Da es mir nie eingeleuchtet hat, dass es eine Welt ohne Verursacher geben kann, merkte ich, dass ich mit meinen Auffassungen ins Abseits geriet und behielt weitgehend meine Überzeugungen in meinen privaten Kontakten für mich. Da ich Religionslehrer war, hatte ich ja in den Klassen, die ich unterrichtete, ein Betätigungsfeld für sie.

      Immer blieb in meinem Leben die Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust) lebendig. Ich spürte ein Verlangen, von dem ich längst begriffen hatte, dass es nicht durch Haben von Gütern und allen Freuden, die das Leben bieten kann, gestillt werden kann. Ganz nach dem Satz des hl Augustinus: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, o Gott“. Wir tragen in uns ein unstillbares Verlangen und mir wurde klar, dass dieses Verlangen nicht auf der horizontalen Ebene - also der Ebene der hab- und erwerbbaren Güter (auch geistiger, z. B. Wissen) -, seine Erfüllung finden kann, sondern nur in der vertikalen Dimension, also im geistig-spirituellen Bereich. Ich sehe heute dieses unstillbare Verlangen in seiner Entartung als Gier und Sucht in unserem gesellschaftlichen Leben. Welche Ausmaße das erreichen kann, hat die Finanzkrise 2008/2009 gezeigt, die letztlich die unstillbare Gier nach Vermehrung seines Reichtums darstellt. Wie unstillbar dieses Verlangen ist, könnte man begreifen, wenn man die sexuellen Perversionen, denen sich Menschen hingeben, ernst nehmen und nicht als extremes oder krankhaftes Verhalten einzelner abtun würde. Auch in allem, was als Sucht bezeichnet werden kann, wird dieses unstillbare Verlangen sichtbar, genau so wie in Selbstmord und Amoklauf, Zerstörungswut sich selbst und anderen gegenüber aus Verzweiflung, weil das nicht gefunden wird, was der Mensch so dringend braucht. Aber wir haben uns angewöhnt, so etwas als Ausdruck von psychischer Störung anzusehen, deren Ursachen in neurologischen oder genetischen Gegebenheiten zu sehen sind. Wir glauben allen Ernstes, dass, wenn ein Mensch alles hat, was zum Leben nötig ist, er zufrieden leben kann. Wir verkennen und ignorieren völlig die Grundforderung, die das Leben uns stellt: das Ich zu transzendieren, den wahren Grund seines Menschseins, seine Quelle zu erkennen bzw. zu erleben und aus ihr zu leben. Darum geht es in diesem Leben.

      Es vergingen die Jahre, es vergingen Jahrzehnte, und immer noch war dieses Verlangen nicht gestillt. Ich wurde nie schwankend in meinem Glauben - aber die ersehnte Erfüllung blieb aus. Und das Wissen um dieses unstillbare Verlangen nützt gar nichts; es bleibt ein unstillbares Verlangen, auch wenn man weiß, dass es durch Güter nicht zufrieden gestellt werden kann. Das Verlangen bleibt, auch wenn man alles hat, was man sich ersehnt, z. B. auf sexuellem Gebiet oder an materiellen Gütern oder an gesellschaftlichen Kontakten. Das Verlangen bleibt ungestillt, auch wenn man genügend von dem hat, was man zu brauchen glaubt, um ein zufriedenes Leben führen zu können. Daraus erklärt sich auch die Verzweiflung, die oft Menschen erfasst, die alles haben, was man zum Leben braucht, weil sie die Hintergründe nicht durchschauen und eine Verzweiflungstat begehen, Selbstmord oder das Auslöschen der eigenen Familie. Für die Außenstehenden regelmäßig ein nicht zu verstehendes Ereignis.

      Als ich fünfzig war, erinnerte ich mich an eine Zen-Geschichte, wo der Zen-Schüler mit vierzig Jahren die Erleuchtung fand. Als ich diese Geschichte mit etwa zwanzig Jahren las, dachte ich: „Nein, so lange möchte ich nicht warten!“ Mit Fünfzig erkannte ich: „Oh, wie früh kam der Mann zur Erleuchtung!“

      Ich war schon mehrere Jahre in Pension, als es mich schicksalhaft ereilte, und es war alles andere, als ich mir Erleuchtung oder Befreiung vorgestellt habe. Es war die totale Katastrophe. Es war über mehrere Jahre hinweg der absolute Albtraum. Ich habe das ausführlich in „Mein Weg aus der Ausweglosigkeit“ beschrieben.

      Aber ich war nicht der erste, dem so etwas widerfahren ist. Ich erinnerte mich an den Titel eines Buches des spanischen christlichen Mystikers Johannes vom Kreuz – die Mystik ist von der Kirche immer misstrauisch beäugt worden; über Meister Eckhart wurde der Bann verhängt! – mit dem Titel „Die dunkle Nacht“. Dieses Buch kaufte ich mir jetzt und fand tatsächlich große Ähnlichkeit mit meinen drangvollen Erlebnissen. Zwar in einem sprachlichen Gewand, das man sich in heutige Denkweise übertragen musste, aber das fiel mir nicht schwer.


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