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Weihnacht von Karl May. Karl MayЧитать онлайн книгу.

Weihnacht von Karl May - Karl May


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aber hatte Sorge um den Freund und

       drang so lange in den unermüdlichen Wirt, bis er, allerdings gegen das Versprechen, morgen

       noch bei ihm zu bleiben, darauf einging, uns unser Zimmer zu zeigen. Ich zog Carpio vom

       Sofa auf und umfaßte ihn, um ihn zu führen; er aber riß sich los und sagte:

       »Ich brauche keine Stütze. Ich bin nur drehend von den starken Cigarren, die – – die – – ich

       habe ja nichts, gar nichts gegessen!«

       »Ich glaube, der Wein ist auch mit schuld.«

       »Möglich! Doch darüber später, wenn wir allein sind. Komm!«

       Er nahm mich bei der Hand und wankte, während Franzl uns leuchtete, an derselben hinaus

       und die Treppe hinauf, wo unsere »gute Stube« lag. Als uns der Wirt in diese geführt hatte,

       sagte er uns Gutenacht und ging, indem er das Licht zurückließ. Wir sahen uns um.

       »Gute Stube!« Jawohl, das war sie allerdings, und zwar eine sehr gute, eine außerordentlich

       gute Stube! Man weiß, was für einen Raum der Bürgersmann mit diesem Ausdrucke zu

       bezeichnen pflegt, nämlich eine Stube, in welcher alle möglichen und unmöglichen

       sogenannten »besseren« Möbeln und sonstige Herrlichkeiten vom Urgroßvater her aufgestellt

       und zusammengeschachtelt werden, wobei natürlich auch der obligate Glasschrank nicht

       fehlen darf. Dieses Raritätenkabinett wird selten betreten, noch seltener gelüftet, gilt als

       Familienheiligtum und darf nur alle Jahrhunderte einmal einem Gaste, den man besonders

       ehren will, als Schlafzimmer dienen.

       Auch die besser situierten Stände haben gute Stuben, allerdings »Salons« genannt. An ihre

       Einrichtung ist mehr Geld verschwendet worden, als die Mittel eigentlich erlauben; diese

       teuren Sachen müssen geschont werden; darum sind sie nicht zum Gebrauche sondern zum

       Prunk, zum Anstaunen da, und selbst wenn der Hausherr es einmal wagen wollte, sich auf

       einen solchen Stuhl zu setzen oder den Teppich mit seinen Stiefeln zu berühren, würde er von

       der Dame des Hauses einfach und ohne Anwendung übermäßiger Höflichkeit zur Thür

       hinauskomplimentiert.

       Das Zimmer, in welchem wir schlafen sollten, war nicht gebrauchsunfähig und dennoch,

       zumal nach unserer persönlichen Ansicht, eine gute Stube im wahrsten Sinne des Wortes. Es

       standen da zwei breite Betten, so breit, daß jedes von ihnen drei Personen genügend Platz

       geboten hätte, der schon erwähnte Glasschrank, ein Tisch, ein Kanapee und zwei Stühle.

       Mehr als diese Möbel aber interessierte uns ein dreibeiniger hölzerner Schragen, welcher

       wohl ein Dutzend Äpfel-, Käse-, Quark- und andere Kuchen trug. Noch entzückender war der

       Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren

       zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle

       möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit

       einem kräftigen Dufte, dessen Wirkung sich nicht nur auf die Geruchs-, sondern auch auf alle

       übrigen Nerven zu erstrecken schien, denn Carpio, der eben noch so hinfällige, richtete sich

       zu seiner vollen Länge empor, sog den Geruch mit Wohlbehagen ein und sagte:

       »Freund Sappho, ein gütiges Geschick hat uns in das Elysium geführt; Franzl ist das

       Geschick, und wo sich das Elysium befindet, das brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Es weht

       ein Odem überirdischen Behagens hier, dem jede Krankheit weichen muß. Ich werde die

       letzten zwei Stunden in meinem ganzen Leben nicht vergessen; es war mir unbeschreiblich

       schauderhaft zu Mute. Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch, sondern ich kam mir wie ein

       großer, dicker Sack voll Jammer und Elend vor. Ich habe alle zehntausend

       Niederträchtigkeiten des Erdenlebens in diesen beiden Stunden durchgemacht und bin davon

       so vollständig befriedigt worden, daß ich satt genug für immer bin. Das Nikotin ist ein

       Drache, der mich niemals wieder in seine Krallen bekommen soll, und das Alkohol eine

       Schlange, die ich zähmen werde, weil man doch nicht für immer von ihr loskommen kann,

       denn sie taucht in hunderterlei Arten auf, die oft gefährlich, zuweilen aber auch nützlich sind.

       In meiner höchsten Qual und Not nahm ich mir vor, dir, meinem Freunde, an Eides statt ein

       heiliges Versprechen abzulegen, nur wußte ich noch nicht in welcher Form. Nun ich aber hier

       in dieser guten Stube die verloren gegangene Lebensfreude wieder finde und auch fast wieder

       logisch denken kann, verspreche ich dir bei diesen Schinken und Würsten, welche die

       erlaubten, die wahren Genüsse des Lebens repräsentieren, daß ich mich niemals wieder von

       einem heuchlerischen, hinterlistigen Genusse verlocken lassen werde, auf meine

       Menschenwürde, wenn auch nur für eine Stunde, zu verzichten. Es ist nicht Scherz, sondern

       mein vollster, wahrster Ernst. Nie wieder soll der Tabak meine Lippen berühren, und jedes

       Getränk, welches Alkohol enthält, sei mir fortan nur als Arznei erlaubt. Ich habe mein

       Versprechen bei diesen ehrlichen Schinken und hochachtbaren Würsten abgelegt; du bist

       dessen Zeuge und sollst mich vor jedermann für einen ehrlosen Menschen erklären, wenn du

       mich jemals rauchend oder gar berauscht zu sehen bekommst. Hier, meine rechte Hand

       darauf!«

       Der sonst so wortkarge Freund pflegte nur gegen mich, zumal während unsrer Wanderungen,

       aus seiner Schweigsamkeit herauszutreten; jetzt hatte er gar eine Rede gehalten, was mir als

       unumstößlicher Beweis dafür diente, daß es ihm völliger Ernst mit seinem Versprechen war.

       Ich will übrigens gleich jetzt und im voraus bemerken, daß, wie meine lieben Leser später

       auch selbst noch sehen werden, er dieses Versprechen stets gehalten hat.

       Ich nahm die mir dargereichte Hand, schüttelte sie ihm herzlich und sagte:

       »Es freut mich, daß du die Lehre, welche du erhalten hast, beherzigen willst. Die Virginias

       wachsen nicht für Knaben, sondern nur für erwachsene Männer auf den Tabaksbäumen

       Österreichs.«

       »Du nennst mich, deinen Busenfreund, einen Knaben?!«

       »Ja.«

       »Und denkst wohl aber, du selbst seist ein Mann?«

       »Ja.«

       »Wohl etwa nur darum, weil die Cigarren dich nicht elend gemacht haben wie mich?«

       »Ja, denn es war eine höchst männliche Selbstbeherrschung von mir, daß ich dieses Kraut des

       Teufels mäßig genossen habe, während du grad wie ein kölner Funke geräuchert und

       gestopfholzt hast.«

       »Dafür hast du aber mehr Wein getrunken als ich!«

       »Weil ich merkte, daß ich ihn vertragen konnte!«

      


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