Weihnacht von Karl May. Karl MayЧитать онлайн книгу.
auch nur ein einziges zu essen!«
»Aber ich bin überzeugt, daß Sie doch früher dieser Sorte von Kuchen nicht abgeneigt
gewesen sind!«
»Früher und jetzt, das sind zwei sehr verschiedene Zeiten. Sie kennen doch das lateinische
Sprichwort von den Zeiten und den Menschen, die sich ändern?«
»Gewiß kenne ich es. Es heißt: Saepe luet porci facinus porcellus adulti. Und wenn Sie heut
nichts genießen wollen, so werden Sie mir erlauben, dafür zu sorgen, daß Sie wenigstens
unterwegs nicht Hunger leiden. Jetzt will ich Papier holen, um Ihnen den Weg
aufzuzeichnen.«
Als er das gethan und uns den Weg auch noch sehr eingehend erklärt hatte, gingen wir
schlafen. Oben angekommen bemerkte ich, daß der Schragen mit den Kuchen nicht mehr in
der guten Stube stand. Dieser Umstand fiel mir keineswegs auf, denn Kuchen hebt man doch
nicht in einem Raume auf, in welchem geschlafen wird, und auch der Busenfreund meinte:
»Laß ihn fort sein; ich werde um so besser schlafen, wenn ich diesen Quarkkuchen nicht
riechen muß, der mir so zuwider ist, wie ich gar nicht sagen kann!«
Als wir am andern Morgen zeitig Kaffee getrunken hatten, brachte die Wirtin ein großes,
schweres Paket Lebensmittel, welches wir mitnehmen sollten. Wir wollten es zurückweisen,
weil es uns zuviel schien; sie ging aber nicht darauf ein. Franzl gab uns das Couvert mit den
Schiffskarten und noch ein zweites, kleineres. Er sagte:
»Den Abschied wollen wir uns nicht gar so schwer machen, denn ich bin überzeugt, daß Sie
auf dem Rückweg wieder bei mir einkehren werden. Bis dahin gebe ich Ihnen ein kleines
Andenken an mich mit. Sie haben uns bei Ihrem Kommen so mit Reimen überschüttet, daß
ich mir gegen Sie wie ein Schuljunge vorgekommen bin. Da habe ich denn gestern abend, als
Sie schliefen, mir Mühe gegeben, auch einen Reim zu machen. Es hat wohl an die zwei
Stunden gedauert, bis er fertig war. Sehen Sie, ob er etwas taugt; aber öffnen Sie das Papier
nicht eher, als bis Sie aus der Stadt hinaus sind. Darf ich Ihnen noch ein paar Virginias und
einige Stücke Quarkkuchen mitgeben?«
Da streckte Carpio, der sich heute wieder wohl fühlte, beide Hände abwehrend aus und rief:
»Ich rauche im Leben niemals wieder, und wenn Sie wollen, daß ich Ihnen ein treues und
dankbares Andenken widmen soll, so sprechen Sie das andere Wort, so lange wir noch da
sind, ja nicht wieder aus!«
Der Abschied war zwar kurz, aber um so herzlicher. Wir mußten versprechen, auf dem
Rückwege, wenn nur immer möglich, ja wieder vorzusprechen und noch einen Tag zu
bleiben; dann wanderten wir zur Stadt hinaus. Draußen vor derselben stand ein Einkehrhaus.
Als ich an demselben vorüber wollte, hielt mich Carpio an und sagte:
»Lieber Wanderer, geh nicht weiter! Da drinnen lächelt wieder edle Gastlichkeit!«
»Schon einkehren? Wir machen doch keine Bierreise und haben kaum erst zweihundert
Schritte gethan!«
Aber der Busenfreund wußte mich zu überreden. Er bewies mir mit mathematischer Schärfe,
daß wir unbedingt das mitbekommene Paket untersuchen müßten, was doch unmöglich
unterwegs im Freien geschehen könne. Auch müßten wir das Gedicht lesen; ein Bier koste nur
sechs Kreuzer und reiche für uns beide – ergo!
Die Stube war leer; dann kam eine Frau, schenkte uns das Bier ein und ging dann wieder
hinaus. Wir waren allein. Nun wurde das Paket mit großer Feierlichkeit geöffnet. Es enthielt
ein ganzes Stück Butter, einen Käse, ein Stück Schinken, eine halbe Magenwurst, einige
Stücke Rosinenkuchen und etwas in Flanell gewickelt. Als wir dies öffneten, fielen zehn
blanke Gulden und ein Papier heraus, auf welchem zu lesen stand:
»Für die Visite schulden
Wir Ihnen diese Gulden.
Ihr treuer Franzl.«
Wir ließen unserer frohen Überraschung zehn Minuten lang freien Lauf; als Carpio dann
allerlei Vorschläge machte, wie dieses Geld unterwegs zu verwenden sei, sagte ich:
»Es wird nicht ausgegeben, sondern aufgehoben. Unser Reisegeld muß langen.«
»Was hast du da?« fragte der Busenfreund, als er den Lederbeutel sah, den ich auf meinem
jungen Herzen trug und jetzt unter der Weste hervorzog.
»Das ist mein geheimer Geldschrank, in welchem die zwanzig Thaler stecken, die ich mir von
meinem Honorar für unvorhergesehene Fälle aufbewahrt habe. Hier hinein kommen diese
zehn Gulden.«
»Denkst du nicht, daß ein Einbrecher auf den Gedanken kommen kann, daß du diesen Beutel
bei dir hast?«
»Hier unter meiner Weste bricht mir niemand ein; darauf kannst du dich verlassen! Du, steckt
nicht da zwischen dem Kuchen auch ein beschriebenes Papier?«
»Es scheint so.«
Er zog es heraus und wir lasen:
»Warum es Rosinen- und kein Quarkkuchen ist, wird Ihnen mein Reim sagen.«
»Was dieser Franzl nur immer mit seinen Quarkkuchen hat!« sagte ich.
»Ist auch mir ein Rätsel,« behauptete der Busenfreund in sehr gleichgültigem Tone, wobei
aber eine holde Röte auf den Stellen erschien, wo die Schnurrbartspitzen später auf den
Backenbart zu treffen hatten.
»Gestern,« fuhr ich fort, »erwähnte er ihn mehrmals, und zwar, wie ich mich erinnere, mit
ganz besonderer Betonung. Sollte vielleicht der Umstand damit zusammenhängen, daß
gestern abend der Kuchenschragen verschwunden war?«
»Ich bin ganz ohne alle Ahnung!«
»Wirklich?«
»Ja. Doch, um von etwas anderem zu reden, was sagst du zu dieser halben Magenwurst? Mir
kommt sie außerordentlich bekannt vor.«
»So? Ah – ja – es ist möglich, daß es die Hälfte von der ist, von welcher ich dir
heruntergeholfen habe. Wahrhaftig, der vortreffliche Franzl hat unsertwegen seine schönste
Wurst zerschnitten! Oh Carpio, oh Carpio, wie wären wir nun blamiert, wenn du deinen
Vorsatz ausgeführt hättest!«
»Welches Unglück!« stimmte er tief aufatmend bei. »Denke dir – – die Federn!«
»Ja, die – – – Federn! Mensch, wir wären wahrscheinlich deinetwegen alle beide zur Thür
hinausgeworfen worden! Solche Schande kann man erleben, wenn man einen Spitzbuben zum
Busenfreund hat!«
»Schweig! Es ist ja alles noch gut abgelaufen. Es war nur eine Absicht; die kann dem
ehrlichsten Menschen kommen; aber zur wirklichen Ausführung würde so etwas bei mir