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Gefängnistagebuch 1944. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Gefängnistagebuch 1944 - Ханс Фаллада


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Er hatte drei Brüder, und etwas Gegensätzlicheres als diese drei Brüder gab es nicht so leicht wieder; sie waren so recht ein Bild von der Zerrissenheit des deutschen Volkes. Der eine seiner Brüder war ein braver Bankbeamter, ein guter Bürger, den nur das eigene Vorwärtskommen interessierte. Der zweite war ein engagierter Kommunist, wenn man seinem mir bekannten Bruder Glauben schenken darf (aber man durfte ihm bei weitem nicht alles glauben!), war dieser Bruder von Stalin persönlich mit einem hohen Orden ausgezeichnet. Jedenfalls war dieser Herr von Salomon bald einer der »meistgesuchten« Männer in Deutschland, trotz des Schreckensregimes der Nationalsozialisten fuhr er ständig als Kurier zwischen Paris und Moskau hin und her, unter hundert Verkleidungen, den schlimmsten Gefahren trotzend, und machte regelmäßig auch in Berlin Station, wo sich dann ab und zu die Brüder trafen. Der dritte Salomon war ein hohes Tier im Stabe des später berühmt gewordenen Herrn Röhm, mit dem er aber nicht zu Grunde ging, sondern im Gegenteil: er stieg immer weiter auf. Er hatte den für mich unvergeßlichen Vornamen Pfeffer. Pfeffer von Salomon – das nenne ich noch einmal einen Adel. Mein Salomon schließlich hatte auch, so jung er noch war, eine ziemlich bewegte Vergangenheit hinter sich. Als blutjunger Bursch hatte er mit der Eisernen Division im Baltikum gekämpft, hatte sich dann der Organisation Consul angeschlossen, hatte am Ruhrkampfe teilgenommen und schließlich irgendwie ferner beim Rathenau-Mord Hilfe geleistet. Dafür war er für einige Zeit ins Gefängnis gewandert, wo er aber bei der damaligen streng nationalen Einstellung der Beamten den großen Herrn hat spielen können. Er war sogar regelmäßig mit dem Gefängnisdirektor in die Stadt zum Abendschoppen gegangen und hatte einer bewundernden Stammtischrunde seine Abenteuer zum Besten gegeben, wobei es ihm im Feuer des Erzählens leicht vorkommen konnte, daß er fremde Abenteuer mit seinen eigenen verwechselte, und zum Beispiel Anekdoten aus der Marneschlacht als selbst erlebt berichtete; zu jener Zeit dürfte er etwa zwölf oder dreizehn Jahre gewesen sein. Nach seiner Gefängnishaft hatte er aus seinen Erlebnissen ein paar Bücher gemacht, die gut und flüssig geschrieben waren, so lange es sich um seine eigenen Abenteuer handelte. In dem einen dieser Bücher »Den Geächteten« hat er den Rathenaumord zu glorifizieren versucht; er hat dabei den Spieß ein wenig umgedreht und aus dem ermordeten Rathenau einen Edelmenschen aber teuflischen Einschlages gemacht, während die armen Mörder als unschuldig gehetztes Wild durch Deutschland irren mußten. Ein anderes Buch, »Die Stadt« betitelt, ist ein Kuriosum, der starke Band ist ohne jene Unterteilung immer weiter fort geschrieben und gedruckt, kein Kapitel, nicht einmal ein Absatz unterbrechen die öde Gleichförmigkeit des Satzbildes und geben dem Auge des Lesers einen Rast- und Haltepunkt. Die Buchhändler nannten dies Buch darum auch »das Buch ohne Absatz« – und sie hatten recht damit, auch im anderen Sinne: es blieb ohne jeden Absatz, sehr zum Kummer meines guten Rowohlt. Herr von Salomon aber fand bald heraus, daß Bücherschreiben ein Geschäft ist, das Fleiß erfordert und oft doch wenig einträgt. Wie viele Menschen, die geistreiche Einfälle haben und nicht gerne zuviel arbeiten, aber gern gut leben, wandte er sich dem Film zu. Das ist ihm gut bekommen, als ich ihn das letzte Mal auf dem Kurfürstendamm traf, war er fett geworden, und die Bekanntschaft mit einem kleinen Schriftsteller bedeutete ihm, der ständig mit den Sternen des Filmhimmels umging, entschieden nur wenig. Aber damals, als er mich an jenem Gründonnerstag besuchte, waren jene Tage noch fern. Damals war Herr von Salomon noch mager wie ein junger Jagdhund, dem er mit seinem rassigen, scharfen Gesicht unbedingt ähnelte. Was er eigentlich bei mir gewollt hat, erinnere ich nicht mehr, wahrscheinlich wollte er mir die neuesten Witze über Hitler und seine Partei anbringen: das war damals so eine Art Gesellschaftsspiel: gar nicht schnell genug konnte man sie Verbreiten! Von Salomon war ein witziger und plaudersamer Mann, er kannte jeden Menschen in der Literatur und Kunst, die Stunden verflossen rasch genug in seiner Gesellschaft. Es wäre vielleicht ein wenig klüger gewesen, wenn wir diese Unterhaltung nicht gerade auf unserer Diele, sondern in ein mehr abgeschlossenes Zimmer verlegt hätten, aber wer kann immer klug sein? Wir waren es damals jedenfalls sehr wenig. Und wer kann immer daran denken, daß man im unteren Stockwerk nur eine Tür zu öffnen braucht, um jedes oben gesprochene Wort zu hören? Die Akustik geht sonderbare Wege: mal hört man alles, mal hört man nichts, an diesem Gründonnerstag-Nachmittag hörte man verdammt ein wenig zuviel!

      Folgt Zwischenspiel Nummer 2, wieder nicht ohne tiefere Bedeutung, besonders für die Betrachtung menschlicher Charaktere. Es ist nun Karfreitag geworden, meine Frau und ich gehen im Garten spazieren, zwischen uns der auf seinen dreijährigen Beinen munter einherwackelnde Sohn. Es ist noch nicht spät am Vormittag, oben beginnt die Glocke im Dorf zum Kirchgang zu rufen, es wird also gegen zehn Uhr sein. Wir bewundern die Krokusse und Tulpen und Hyazinthen, die sich durch das welke Laub hervorgedrängt hatten und ihre leuchtenden Farben in der Sonne strahlen ließen. Wir hinderten den Sohn bald mehr, bald weniger erfolgreich daran, diese Blüten abzureißen.

      Da treten aus der Tür des Hauses die Sponars, Gebetsbücher in der Hand, zum Kirchgang bereit, sie jeden Zoll mehr denn je enthronte Königin, er ohne Samtjackett, sondern im schwarzen Bratenrock ewiger Künstler, als Begräbnisteilnehmer. Sie marschieren stracks auf uns zu und machen vor uns Halt. »Wir haben«, sagt Frau Sponar mit ihrer tiefen, immer etwas klagenden Stimme, »wir haben die Gewohnheit am heiligen Karfreitag das Heilige Abendmahl zu nehmen.« (Schon die Häufung des »heiligen« störte mich an diesem Anfang.) »Und wir haben weiter«, fuhr Frau Sponar fort, »die Gewohnheit, bevor wir das Heilige Abendmahl nehmen, unsere Bekannten, Freunde und Verwandten um Verzeihung zu bitten für alles, was wir ihnen wissentlich oder unwissentlich in Gedanken oder Werken Übles getan haben. – Herr Fallada, Frau Fallada, wir bitten Sie um Vergebung – Verzeihen Sie uns!« Wahrhaftig den beiden standen vor Rührung die Tränen in den Augen, wir beiden aber, meine Frau und ich, wären vor zorniger Scham am liebsten in der Erde versunken. »Sie sollen mich zufrieden lassen mit ihrem religiösen Privatquatsch!« dachte ich wütend. »Das ist ja alles heuchlerisches Theater! Die Königin bereut nie, ist fehlerlos und kann gar nicht um Verzeihung bitten, und er ist bloß ein alter Trottel! Eine ekelhafte Belästigung ist das!«

      Aber was soll man machen. Man ist nun eben so erzogen, daß man solche Gefühle nicht laut werden läßt, sondern gute Miene zum bösen Spiel macht. Sehr gut ist freilich meine Miene kaum gewesen, als ich ihnen versicherte, wir hätten ihnen nichts zu vergeben, unseretwegen könnten sie ruhig das Abendmahl nehmen. Sie dankten uns wieder ganz gerührt, indes die blanken Tränen liefen dabei über ihre alten Heuchlergesichter. Hätte ich damals gewußt, was ich gut vierundzwanzig Stunden später ahnte, und etwa zwölf Tage darauf mit absoluter Sicherheit wußte, daß diese beiden Schurken in jener Stunde des Bittens uns bereits den Nazis verkauft hatten, und daß sie um Geld Kummer, Krankheit und Lebensgefahr auf unser Haupt damals herabbeschworen hatten, ich glaube, ich hätte sie in dieser Minute noch mit meinen eigenen Händen erdrosselt! So sah ich nur nach, wie sie im feierlichen Schwarz, ihre Gebetsbücher in den Händen, aus dem Garten wandelten, und fragte meine Frau: »Wie findest Du das?«

      »Einfach ekelhaft!« brach sie aus. »Ich finde, dies Theater hätten sie uns ersparen können. Oder glaubst Du ein Wort von dem Getue?«

      »Kein einziges«, antwortete ich, und dann stiegen wir durch den Garten zur Spree hinunter und vergaßen über der Freude unseres Jungen an Wellen und Zillen bald die beiden alten Heuchler.

      25.IX.44

      Der nächste Morgen kam, es war der Sonnabend vor dem schönen Osterfest, und die Mutter hatte mit Kochen und Backen vielerlei zu tun. So gingen Vater und Sohn selbander aus, wieder an die Spree, und zwischen sich ließen sie den Teddy mitgehen, ein wunderbares unverwüstliches Tier, das ich noch in den »ärmlichen« Zeiten meines Hausstandes für dreiunddreißig Mark erstanden hatte, zum Entsetzen meiner Frau. Der Teddy bleckte so schön seine rote Zunge, und seine Freude am sonnigen Frühjahrshimmel und den schon wieder eifrig fahrenden Schiffen schien eben so lebhaft wie die meines Knaben. Eine Weile vergnügten wir uns nur mit Schauen, dann gingen wir zu aktiveren Spielen über und durchstöberten eine kleine Schilfwildnis, aus der Vögel, unwillig über die Störung tschilpend, aufflatterten. Den Teddy hatten wir so lange abgesetzt auf einem Maulwurfshaufen. Wir waren noch beim Stöbern, da standen plötzlich vor uns zwei Gestalten in jenen braunen Hemden, die ich damals schon nicht gerne sah und an deren Anblick ich mich bis heute noch nicht gewöhnt habe. In der Hand hielt jede der Gestalten eine Pistole, die unmißverständlich auf mich gerichtet war. »Nanu!« dachte ich. »Sind Sie der Fallada?« wurde ich gefragt. Der Sprecher sagte aber nicht Fallada


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