Orangen und Datteln. Karl MayЧитать онлайн книгу.
und schnellend, sondern langsam, mit sicheren, majestätischen Schritten. Die reiche, dunkle Mähne hing ihm wirr um Kopf und Vorderleib; den stark bequasteten Schwanz zog er lang gestreckt hinter sich her; es war wirklich ein prachtvoller Anblick, das edle, gewaltige Tier so selbstbewußt und ruhig inmitten der schnell auf seinen Leib gerichteten Gewehre stehen zu sehen und es wollte mir wirklich scheinen, als bemerke ich ein verächtliches Funkeln der großen rollenden Augen. Ich hatte viel von dem Fürsten der Tiere gehört und noch mehr von ihm gelesen, gesehen aber hatte ich nur einige Exemplare in Menagerien und zoologischen Gärten. Sie alle hielten keinen Vergleich aus mit diesem prächtigen, machtvollen Sihdi-el-salssali, dessen Anblick meine Erwartungen weit übertraf. Dieser charaktervolle, hoch- und breitstirnige Kopf, dessen langsames Schütteln ein Zeichen der Verwunderung über das verwegene Beginnen der Araber zu sein schien; dieser ungebeugte Nacken, dieser kurze, breite Rücken, diese mächtigen Flanken, diese Pranken, denen man es ansah, daß ein einziger Schlag von ihnen genügend sei, ein Rind niederzustrecken; dieses drohende Oeffnen der Lefzen – die Natur hatte hier alles vereinigt, um die wilde, physische Kraft in all ihrer Majestät zur Darstellung zu bringen. Und jetzt hob er den Kopf und ließ jene furchtbaren Töne erschallen, derentwegen ihn der Sohn der Wüste den ›Herrn des Erdbebens‹ nennt, und von welchen der Dichter schreibt:
Da liegt der Maure unter Palmen,
Vom Sonnenbrand herbeigeführt,
Das Dromedar nascht von den Halmen,
Die noch der Samum nicht berührt;
Da trinkt das Gnu sich an der Quelle,
Der frischen, lebensvollen, satt,
Da naht verschmachtend die Gazelle,
Vom wilden Jagen todesmatt;
Da geht der Löwe nach der Beute,
Der König, kampfesmutig aus,
Und in die unbegrenzte Weite
Brüllt er den Herrscherruf hinaus.
Und Mensch und Tier, Gnu und Gazelle,
Sie zittern vor dem wilden Ton
Und jagen mit Gedankenschnelle,
Entsetzt, von Furcht gepackt, davon.
Es war mir wirklich, als zittere der Boden unter mir bei dem leise beginnenden, dann zu unbeschreiblicher Stärke anwachsenden und sich endlich in einem grimmigen Rollen verlierenden Gebrüll, welches der Araber so treffend mit dem Worte ›Rad‹, Donner, bezeichnet.
Da blitzte es aus allen Läufen auf; der Löwe wurde von mehreren Kugeln, aber nur leicht, getroffen. Er duckte sich nieder und fuhr dann mit einem einzigen, weiten Satze mitten unter die Angreifer hinein. Zwei von ihnen lagen unter seinen Tatzen. Länger durfte ich nicht zögern. Mehr gleitend als steigend warf ich mich, gefolgt von Korndörfer, den steilen Abhang des Wadi hinunter. Die Araber, welche ein beinahe betäubendes Geschrei erhoben, bemerkten mein Kommen nicht. Einer von ihnen hatte seine Flinte noch nicht abgeschossen. Mutiger als die anderen, deren größter Teil sich nach der Salve zur Flucht gewandt hatte, blieb er stehen, zielte und drückte los. Die Kugel traf, doch nicht zum Tode. Das Tier zuckte zusammen, schnellte im nächsten Augenblick durch die Luft und riß den Schützen nieder. Ihm die beiden Vordertatzen auf die Brust setzend, stieß es ein zweites, wo möglich noch erschreckenderes Brüllen aus als vorher. Im folgenden Momente mußte der Mann zerrissen sein.
In eiligen Sprüngen lief ich hinzu und kniete nur wenige Schritte von dem Löwen nieder. Dieser bemerkte mich und trat von seinem Opfer zurück, ein Umstand, welcher nur außerordentlich selten vorzukommen pflegt. Ich legte an. Es war nicht Furcht und nicht Angst, was ich in diesem Augenblick empfand; es giebt keine Bezeichnung für das Gefühl, welches jede Faser in mir anspannte. Die rollenden Augen glühten mir vernichtend entgegen, der Schwanz krümmte sich verräterisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprunge zusammen, ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib – ich drückte los und sprang sofort zurück, das Messer aus der Scheide ziehend.
Der Löwe hatte sich im Augenblick des Schusses emporgeschnellt; er stürzte mitten im Sprunge zur Erde, wälzte sich einige Male hin und her und blieb dann unbeweglich liegen. Meine Kugel war ihm in das Auge gedrungen – er war verendet.
»Hamdulillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!« erscholl es aus allen Kehlen. »Hasa nessieb, das hat Gott geschickt; der Kelb, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohne ist tot; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben wie ein Ungläubiger, ohne Ruhm und Ehre. EI Thibb, der Schakal, und el Tabäa, die Hyäne, werden ihn fressen; el Büdj, der gewaltige Bartgeier, mag ihm das feige Herz zerhacken, und el Rhassahl, die Gazelle, mag ihn und seine Väter beschimpfen, ihn, der ohne Kampf und Gegenwehr aus dem Lande der Lebendigen gegangen ist. Er, der sich el Jawuhs, den Grausamen, nennen ließ, muß aus seinem Felle steigen. Holt die Hariri, die Musikanten, herbei; sie mögen auf der Nogara seine Schande trommeln und ihm mit der Rababa seine Schmach vorpfeifen!«
So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man trat den toten Körper mit den Füßen; man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spie ihn verächtlich an. Die Spannung hatte mich verlassen; es war mir, als sei ich einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen, und tief atmend sah ich dem Treiben der heißblütigen Söhne einer glutüberfluteten Länderstrecke zu, die mich in ihrem Eifer um das gefallene Tier vollständig übersahen.
»Maschallah, tausend Schwerebrett,« meinte der Staffelsteiner, »is dos aan Gejauchz' und Gelärm'! Ich werd' nur schaun, ob sie sich halt auch bedanken werd'n!«
»Ama di bacht, welch ein Glück, daß du noch zur rechten Zeit gekommen bist!« klang es da neben mir.
Es war der, der zuletzt unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer, aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches die Sonne beinahe schwarz gebrannt hatte. Seine großen, scharfen, dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte wohl auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewichte bringen, das war ihnen leicht anzumerken.
»Gieb nicht mir, sondern dem Herrn die Ehre, der dich errettet hat!« antwortete ich, vielleicht etwas unfreundlicher als ich selbst beabsichtigte. Ich hätte diesem Manne nie mein Vertrauen schenken mögen.
»Ja, Allah die Ehre und dir den Dank!« stimmte er bei, indem sein Auge scharf und forschend über mich glitt. »Du bist fremd unter den Kindern der Wüste?«
»Ich komme aus Frankhistan, um Assad-Bei, den Herdenwürger, zu töten.«
»Du hast ihn getötet; Allah gab dir Heil und Gnade.«
Er wandte sich jetzt zu den noch immer schreienden und jubilierenden Arabern.
»Laßt ihn gehen, den Herrn mit dem dicken Kopfe! Er hat seine Schande genugsam vernommen, und seine Seele wird in die Haut eines Flohes fahren. Auf, ihr Männer, laßt uns Allah danken, der uns errettet hat. Knieet nieder und betet mit mir die heilige Fathha!«
EI Fathha (die Eröffnung) ist das erste Kapitel des Kuran, welches bei allen religiösen Handlungen der Moslemin eine Hauptrolle spielt. Die Männer knieten, das Angesicht gegen Morgen gewandt, nieder und beteten eintönig:
»Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichts. Dir allein wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, denen du zürnest, und nicht den der Irrenden!«
Nach Beendigung des Gebetes wandten sie nun auch mir ihre volle Aufmerksamkeit zu. Die Fragen und Lobpreisungen wollten kein Ende nehmen, bis endlich einer von ihnen meine Hand ergriff und mich ihnen entzog.
»Du hast nur ruhen wollen unter dem Dache des Arabers, aber du mußt bei uns bleiben viele Tage! Ich bin der Bei-el-Urdi, der Vorsteher des Lagers, und du sollst mein Zelt haben, so lange es dir bei uns gefällt.«
»Ich danke dir, du Freund des Wanderers, doch ist mein Weg lang und mein Ziel noch weit. Ich werde das Fell des Löwen nehmen und dann weiter ziehen.«
»Wie heißt dein Ziel?« fragte der, welcher zuerst mit mir