Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard KiplingЧитать онлайн книгу.
vier bis fast aufs Hemd entkleideten Männer spielten mißgelaunt ihren Whist und stritten sich dabei. Es machte ihnen kein sonderliches Vergnügen, trotzdem die Partie nicht leicht zustande gekommen war. Mottram, z.B., vom indischen Vermessungsamt, hatte in der Nacht vorher von seinem einsamen Posten in der Wüste nicht weniger als dreißig Meilen zu Pferd und hundert mit der Bahn zurücklegen müssen, um hierherzugelangen. Und Lowndes von der Zivilverwaltung hatte die lange Reise gemacht, um für ein paar Stunden den Intrigen eines verarmten einheimischen Staatskörpers fern zu sein, dessen König unentwegt, im Guten oder Bösen, Geld erpreßte von den armen Bauern oder den händeringenden Kamelzüchtern. Spurstow, der Regimentsarzt, hatte einen von Cholera heimgesuchten Lagerplatz von Kulis für achtundvierzig Stunden sich selbst überlassen, um wieder einmal mit Landsleuten beisammen zu sein; Hummil, der Unteringenieur, war der Gastgeber der drei. Er befand sich dauernd auf seinem Posten und empfing seine Freunde jeden Sonntag, wenn sie abkommen konnten. War einer von ihnen verhindert oder kam nicht, so erhielt er noch am selben Tage eine Depesche von Hummil mit der Anfrage, ob er tot oder noch am Leben sei. Es gibt Orte genug im Osten, wo es sehr angezeigt ist, seine Bekannten auch nicht eine Woche lang aus dem Auge zu verlieren.
Dennoch benahmen sich die vier Spieler keineswegs rücksichtsvoll zu einander. Sie zankten sich immer, wenn sie beisammen waren, aber trotzdem sehnten sie sich stets nach solchen Gesellschaften, wie Leute bei Wassermangel nach einem Trunk. Es waren Menschen, die die Qual der Einsamkeit nur zu gut kannten; keiner von ihnen zählte mehr als dreißig Jahre, und das ist wenig in einem solchen Fall.
»Pilsener?« fragte Spurstow nach dem zweiten Robber und trocknete sich die Stirn.
»Tut mir leid: Bier ist nicht mehr da, kaum Sodawasser genug für heute abend«, erwiderte Hummil.
»Eine schäbige Wirtschaft!« brummte Spurstow.
»Kann nichts dafür. Hab geschrieben und telegraphiert; aber die Züge gehen nicht mehr regelmäßig. In der letzten Woche ist sogar das Eis ausgeflossen! Lowndes weiß es.«
»Gut, daß ich damals nicht hier war. Hab's nicht gewußt, sonst hätte ich dir etwas schicken können. Pfui Teufel, die Hitze! Man kann das dumme Zeug gar nicht mehr weiter spielen!« Spurstow warf einen gereizten Blick auf Lowndes; aber der lachte nur, er war abgehärtet gegen Beleidigungen.
Mottram stand auf, lugte durch eine Spalte der Fensterläden:
»Welch ein entzückender Tag heute!«
Dann gähnte die ganze Gesellschaft und begann nach einer Weile eine planlose Durchstöberung der Schätze ihres Gastgebers: Flinten, zerrissene Novellenbände, Sattelzeug, Sporen und dergleichen. Sie hatten alles schon unzählige Male in Händen gehabt, aber was hätten sie sonst anfangen sollen?
»Gibt's was Neues?« fragte Lowndes.
»Die letzte Wochennummer der Indian Gazette und ein Zeitungsausschnitt aus der Heimat. Mein Vater hat ihn mir geschickt. Ziemlich unterhaltsam.«
»Wahrscheinlich wieder aus der Feder eines der gewissen Verwaltungsräte, die sich selbst Parlamentsmitglied nennen?« fragte Spurstow, der gern Zeitungen las, wenn er solche erwischen konnte.
»Ja, hört mal zu! Es ist Wasser auf deine Mühle, Lowndes. Also: der Bursche hielt vor seinen Wählern eine Rede und ließ sie dann veröffentlichen. Hier eine Probe: ›Ich zögere nicht, festzustellen, daß der Zivildienst in Indien geradezu eine Sinecure der englischen Aristokratie ist: Was gewinnen die Demokraten - was die große Masse - von dem Lande, das wir unter dem Deckmantel der Uneigennützigkeit Schritt für Schritt annektiert haben? Ich sage: nichts! Indien ist, wie jeder auf den ersten Blick sehen kann, nur eine Einnahmequelle für die Brut des Adels. Sie sind darauf bedacht, die überreichlichen Einkünfte, die sie so schon haben, noch zu vermehren; jeder Frage weichen sie aus, die ein Licht auf ihre Verwaltung werfen könnte. Sie zwingen die armen Bauern, im Schweiße des Angesichts für den Luxus aufzukommen, mit dem sie sich selbst umgeben.‹« Hummil schwenkte das Blatt über dem Kopf. »Hört! Hört!« riefen seine Gäste.
»Ich würde drei Monate Gehalt dafür geben«, sagte Lowndes nachdenklich, »wenn ich diesen Ehrenmann einen Monat hier haben könnte, um ihn zu überzeugen, wie die freien, unabhängigen, eingeborenen Fürsten des Landes über diese Frage denken. Der ›Alte Schöps‹ (so nannte man allgemein einen hochgeehrten, dekorierten Feudalfürsten) hat mich diese Woche wegen Geld fast zu Tode behelligt. Was soll ich sagen? Schließlich hat er mir sogar, um mich zu bestechen, eins seiner Weiber geschickt.«
»Du Glücklicher! Hast du sie angenommen?« fragte Mottram.
»Nein. Hätte es eigentlich tun sollen. Sie war eine nette kleine Person und schwätzte mir uferlos vor von den Entbehrungen der Weibsbilder im königlichen Harem. Diese Herzensschätze hätten im verflossenen Monat nicht einmal neue Kleider bekommen, weil der alte Herr, in Kalkutta, eine Wagenladung silberner Gitter, silberner Lampen und ähnliche Kleinigkeiten kaufen muß. Ich hab ihm vergebens vorgehalten, daß er die Einkünfte von zwanzig Jahren ganz zwecklos vergeudet hat und endlich einmal anfangen müsse, zu sparen. Aber er will es nicht einsehen.«
»Warum greift er sein Ahnen-Schatzgewölbe nicht an? Es müssen doch mindestens drei Millionen unter seinem Palast liegen in Münzen und Juwelen?« fragte Hummil.
»Nenn mir den eingeborenen König, der seinen Familienschatz angreift! Die Priester erlauben es nur im äußersten Notfall. Der ›Alte Schöps‹ hat sogar noch eine Viertelmillion dazugefügt, seit er regiert.«
»Woher kommen denn nur alle diese Übelstände?« fragte Mottram.
»Das Land! Wenn man die Zustände sieht, die im Volke herrschen, wird man krank! Ich war Zeuge, wie die Steuereintreiber bei einem kreißenden Kamel warteten, bis das Füllen geboren wurde, und dann die Mutter forttrieben als Ersatz für rückständige Abgaben. Die Gerichtsschreiber verweigern mir die Abrechnungen, und der Höchstkommandierende lächelt nur fett, wenn ich ihm sage, daß die Truppen seit drei Monaten keinen Gehalt bekommen haben. Und der ›Alte Schöps‹ flennt, wenn ich ihn nur anrede. Aber er säuft Liköre statt Whisky und Heidsieck statt Sodawasser.«
»Genau wie der Rao von Jubela«, rief Spurstow. »Nicht einmal ein Eingeborener hält sowas lange aus. Er wird ins Gras beißen.«
»Das wäre zu wünschen. Dann könnten wir einen Regentschaftsrat einsetzen, dem jungen Prinzen einen Erzieher stellen und ihm selbst später ein zehnmal reicheres Königreich übergeben.«
»Worauf dann der junge Prinz, nachdem er alle Laster der Engländer kennengelernt haben wird«, fiel Spurstow ein, »das ganze Geld und die Ersparnisse von zehn Jahren in achtzehn Monaten vor den Kopp haut. Ich kenne das. An deiner Stelle, Lowndes, würde ich den König einmal in aller Höflichkeit beim Ohr nehmen. Verhaßt bist du ja sowieso.«
»Du hast gut reden! Fern vom Schuß läßt sich's leicht sagen: höflich beim Ohr nehmen! Einen Saustall kann man nicht mit einem Pinsel und Rosenwasser reine machen. Ich weiß schon, was ich riskiere; bisher ist mir nichts passiert. Mein Diener ist ein alter Afghane und kocht für mich; so leicht ist der nicht zu bestechen, und von meinen ›treuen Freunden‹, wie sie sich selber nennen, nehme ich grundsätzlich keine Speisen an. Aber es ist eine zermürbende Arbeit. Ich wäre, weiß Gott, lieber bei dir, Spurstow. In der Nähe deines Lagers wird wenigstens geschossen.«
»So? Bei mir möchtest du sein?! Glaub doch das nicht! Fünfzehn Todesfälle im Tag, da vergeht einem das Schießen. Höchstens schießt man auf sich selber. Das schlimmste ist, wenn mich die armen Teufel immer so angucken, als könnte ich ihnen in Wirklichkeit helfen. Gott weiß: ich habe schon alles mögliche versucht. Mein letztes Experiment war ein Wagestück, aber es ist mir geglückt: ich hab einen alten Mann dem Tod entrissen - er war so gut wie erledigt, da hab ich ihm Branntwein mit Worcestershire-Sauce und Cayennepfeffer eingegeben, und er ist durchgekommen. Natürlich empfehle ich niemand dieses Mittel.«
»Wie verlaufen die Fälle gewöhnlich?« fragte Hummil.
»Sehr einfach, Chlorodin, Opiumpillen, Chlorodin, Kräfteverfall, Nitrate, heiße Steine auf die Fußsohlen, und dann - das Leichenverbrennungs-Ghaut Ghauts sind die Ufertreppen