Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard KiplingЧитать онлайн книгу.
nicht, bis das Schiff den Hafen nach einem Monat wieder verließ. Auch Pambé wartete, hoffte und harrte; aber seine Bombay-Gattin erging sich immer gründlicher in Keiferei, so daß ihm schließlich nichts übrigblieb, als sich für die »Spichern« heuern zu lassen, zumal ihm deutlicher und deutlicher zu Bewußtsein kam, daß Stilliegen für eine Blaujacke Zerlumptwerden heißt. In der tückischen Chinesischen See mußte er häufig Nurkeeds gedenken, und als die »Saarbrücken« einmal zufällig neben der »Spichern« vor Anker lag, da erkundigte er sich auf das angelegentlichste nach seinem Verbleib, wobei er erfuhr, daß Nurkeed auf der »Gravelotte« unterwegs sei über Kapstadt nach England. Da schiffte er sich auf der »Wörth« ein und kam ebenfalls in England an; die »Spichern« hatte das Schiff unterwegs an einem schottischen Leuchtturm getroffen. Aber Nurkeed hatte sich auf die »Spichern« geschmuggelt und dampfte nach der Küste von Kalkutta.
»Wat? n' Freund willste bei die Klöten kriegn, du Mausfallen-Snut?« sagte eines Tages ein Handelsschiff-Gentleman zu Pambé, »nichts leichter! Wart bi die Nyanza-Docks, bis er kommt. Jeder Mensch kommt mal bi die Nyanza-Docks. Warte dort auf ihn, du armer Heide!« Der Gentleman hatte die Wahrheit gesprochen. Es gibt drei große Tore in der Welt, wo man jeden Menschen einmal treffen muß, vorausgesetzt, daß man lange genug wartet. Das Ende des Suezkanals ist das eine, aber da kommt der Tod oft früher, als der, auf den man wartet; die Station Charing Cross in London ist das zweite, wenigstens was den Inland-Wartesport betrifft, und das Nyanza-Dock ist das dritte. Auf allen diesen Orten warten Männer und Frauen in alle Ewigkeit auf die, die bestimmt einmal kommen werden. Pambé wartete ebenfalls dort. Zeit spielte für ihn keine Rolle, und seine Frauen konnten warten, wie er es tat: Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat bei den »Blue Diamond«-Minentrichtern, den »Red Dot«-Schornsteinen und den »Yellow Streaks«, - die unbenannten zigeunernden Kleinboote belauernd, die Ladungen einnahmen oder ausschifften, einander umdrängend, pfeifend und heulend mit ihren Sirenen im beständigen Nebel. Als Pambé das Geld ausging, überredete ihn ein wohlgesinnter Herr, Christ zu werden. Er willigte augenblicklich ein, wechselte den Glauben zwischen Schiff und Schiffes Ankunft und bezog ein Gehalt von sechs bis sieben Schilling in der Woche, wofür er Traktätchen an Seeleute verteilen mußte. Worin sein neuer Glaube bestand, bekümmerte ihn nicht weiter; er wußte, wenn er zu gewissen Herren mit langen schwarzen Röcken sagte: »Ich bin mich eine eingeborene Chlist«, bekam er ein paar Kupfermünzen als Belohnung.
Nach acht Monaten erkrankte er an einer Lungenentzündung, die er sich durch das lange Herumstehen im nassen Straßenschmutz zugezogen hatte, und sah sich zu seinem größten Bedauern genötigt, sich unter Flüchen gegen das widrige Schicksal in seiner Fünfzig-Pfennig-Bude niederzulegen.
Der alte Gentleman, der Glaubensbekehrer, saß neben dem Bett und grämte sich, als er gewahr wurde, daß sein Zögling Pambé, statt auf Erbauung aus frommen Büchern bedacht zu sein, vielmehr in einer fremden Sprache vor sich hinschwätzte und auch sonst auf bestem Wege zu sein schien, in das alte Heidentum wieder zurückzufallen, bis eines Tages die halbe Betäubung des Patienten mit einem Ruck verschwand, - offenbar infolge eines Rufes draußen auf dem Dock. »Meine Freund, - er«, flüsterte Pambé. »Ihm rufen jetzt - rufen: Nurkeed! Schnell! Gott hat ihn mich geschickt!«
»Er sehnt sich nach einem Landsmann«, sagte sich der freundliche Gentleman, eilte hinaus und schrie aus voller Lunge: »Nurkeed! Nur-keed!« Ein erstaunlich dunkelhäutiger Mann in weißer, brettartig gestärkter Wäsche, funkelnagelneuen weiten Matrosenhosen und mit einer faustgroßen Busennadel geschmückt, drehte sich um. Nurkeed war's; oh, er hatte auf seinen vielen Reisen gelernt, wie man den richtigen Gebrauch macht von Geld, und hatte sich als Weltbürger ausstaffiert.
»Hü Jawoll!« sagte er, als der freundliche Gentleman die Situation erklärt hatte. »War in meinige Dienst - schwarze Nigger das - auf der ›Saarbrücken‹ - Oh ja. Alde Pambé, gute alde Pambé. Verdammter Inder. Wo ist er sich, Herr?«. Und er folgte dem Gentleman in das Krankenzimmer. Ein schneller Blick zeigte ihm, daß der alte Herr die Wahrheit gesprochen hatte: Pambé war bettelarm. Nurkeed wühlte mit beiden Händen in den Taschen, näherte sich mit gefüllten Fäusten dem Kranken und schrie: »Heja, Pambé. Heja! Hi-ah! Hulla! Hih! Takilo! Takilo! Faß an! Hoch! Pambé! Weißt noch, Pambé? Du kennen mich. Dekho, jih! Da schau! Verdammter fetter fauler Matros, indisches!«
Pambé winkte schwach mit der linken Hand; die rechte ruhte unter der Bettdecke. Nurkeed nahm seinen riesigen Hut ab und beugte sich über Pambé, um sein Geflüster besser verstehen zu können. - »Es ist wahrhaft erhebend«, sagte der freundliche Gentleman, »diese Orientalen lieben einander wie die Kinder!«
»Los! Spuck aus: Was is?« fragte Nurkeed und lehnte sich noch weiter vor.
»Da hast d' für den Fisch mit Zwiebel!« sagte Pambé und stieß ihm ein Messer von unten nach oben zwischen die Rippen.
Ein ersticktes, trockenes Husten, dann fiel der Afrikaner langsam neben dem Bett zusammen. Seine Hände streckten sich und eine Menge Silbermünzen rollten durch die Stube.
»Jetzt kann ich sterben!« sagte Pambé.
Aber er starb nicht; man päppelte ihn mit größter Sorgfalt und mit Aufgebot der verfügbaren Geldmittel wieder auf, denn das Gesetz hielt das Auge auf ihn gerichtet. Als er dann soweit genesen war, hängte man ihn in aller Form, und wie es sich gehört, auf.
Pambé machte sich nicht viel daraus. Aber für den freundlichen alten Herrn war es ein schwerer Schlag.
Finanzwirtschaft der Götter
Das Abendessen in Dhunni Bhagats Chubara war zu Ende, und die alten Priester rauchten oder beteten ihre Rosenkränze. Ein kleines Kind kam hereingetrappelt, den Mund weit offen, in der einen Hand einen Strauß Butterblumen und in der andern ein Päckchen Tabak. Es versuchte niederzuknien und vor Gobind eine tiefe Verbeugung zu machen, aber fett wie es war, fiel es hin auf seinen glattgeschorenen Kopf und purzelte auf die Seite, strampelnd und nach Atem schnappend, wobei die Butterblumen nach links und der Tabak nach rechts in weitem Bogen flogen. Gobind lachte, stellte es wieder auf die Füße und segnete die Butterblumen, während er den Tabak einsteckte.
»Von Papa«, sagte das Kind. »Er hat das Fieber und kann nicht kommen. Wirst du für ihn beten, Vater?«
»Freilich, Kleinchen; aber der Erdrauch ist aufgestiegen und Nachfrost liegt in der Luft. Es ist nicht gut, nackt im Herbst herumzulaufen!«
»Ich hab keine Kleider«, sagte das Kind, »und den ganzen Tag hab ich Kuhfladen in den Bazar tragen müssen. Es ist so heiß gewesen, und ich bin schrecklich müd.« Es schauderte ein wenig, denn die Dämmerung war kühl.
Gobind steckte den Arm unter seine weite, buntgefleckte Lumpendecke und machte neben sich ein kleines einladendes Nest daraus; das Kind kroch hinein, und Gobind füllte den frischen Tabak in seine messingbeschlagene Wasserpfeife: mit dem langen Lederschlauch. - Als ich in die Chubara trat, lugte der kleine geschorene Kopf mit der Haarquaste oben drauf und den schwarzen Kugelaugen aus seinem Nest heraus, wie ein Eichhörnchen, während Gobind daneben saß und lächelnd duldete, daß das Kind mit seinem Bart spielte.
Ich wollte etwas Freundliches sagen, erinnerte mich aber noch rechtzeitig, daß, wenn das Kind vielleicht später zufällig stürbe, es heißen würde, ich hätte den bösen Blick, was ein furchtbarer Vorwurf ist.
»Bleib nur ruhig sitzen, Däumlingchen«, sagte ich, als der Kleine Miene machte, aufzuspringen und fortzulaufen. »Wo hast du denn deine Schiefertafel? Und wie hat denn der Lehrer einem Bösewicht wie dir erlauben können, auf der Straße herumzulaufen, wo doch gar kein Polizeimann da ist, der auf uns schwache Brummer achtgibt? Und in welchem Stadtviertel gedenkst du dir den Hals zu brechen beim Drachensteigenlassen auf dem Dach?«
»Nein, Sahib, nein!« sagte das Kind, versteckte sein Gesicht im Barte Gobinds und flocht verlegen Strähne hinein. »Heut war doch schulfrei, und ich laß nie Drachen steigen. Ich spiel Ker-li-kit, wie die andern.«
Kerlikit-Cricket ist das Nationalspiel der Schulbuben im Punjab, vom nackten ABC-Schützen angefangen, der zum Cricket-Ballbesteck sich eine alte Weißblechlampe auserkürt, bis hinauf zum Universitätshörer, der für die Meisterschaft trainiert.
»So?