Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard KiplingЧитать онлайн книгу.
befriedigt, wie man zu sagen pflegt.«
»Wunderbar! Höchst seltsam und wahrhaft wunderbar!« staunte der Schakal. »Von soviel gutem Essen nur erzählen zu hören, hat mich schon fett gemacht. Ist es wohl erlaubt zu fragen, was tat der Wohltäter der Armen danach?«
»Ich gelobte – und bei der Rechten und Linken der Ganga, ich schloß die Kiefer auf den Schwur –, niemals mehr umherzustreifen und zu wandern. So lebte ich denn Jahr um Jahr; sie aber liebten mich sehr und warfen mir Kränze auf das Haupt, wenn sie es hochsteigen sahen. Ja, sehr gnädig ist mir das Schicksal gewesen, der ganze Strom ist freundlich genug, meine arme gebrechliche Gegenwart zu ehren; nur – –«
»Keiner ist vollkommen glücklich vom Schnabel bis zum Schwanz«, tröstete der Adjutant. »Was kann der Mugger von Muggerghat noch wünschen?«
»Das kleine weiße Kind, das mir entkam«, sagte der Mugger und seufzte tief. »Sehr klein war es noch, aber ich habe es nicht vergessen. Ein Greis bin ich jetzt, aber ehe ich hinscheide, ist mein Wunsch, eins noch zu versuchen. Schon wahr ist es, sie sind ein schwerfüßiges, närrisches und lärmendes Volk, und das Vergnügen bei der Jagd würde nicht groß sein; aber ich denke der Tage von Benares, und wenn das Kind lebt, so wird es sich auch ihrer erinnern. Vielleicht schreitet es jetzt an den Ufern eines Stromes auf und ab und erzählte aller Welt, wie es einst seine Hände zwischen den Zähnen des Muggers von Muggerghat hatte und entkam. Sehr gnädig war mein Schicksal, aber das quält mich oft im Traum – der Gedanke an das kleine weiße Kind im Bug des Bootes.« Er gähnte und schloß den Rachen. »Ruhen will ich nun und sinnen. Haltet euch still, meine Kinder, und ehret den Bejahrten.«
Steif drehte er sich und schob sich auf die Höhe der Sandbank. Schakal und Adjutant zogen sich zurück in den Schutz eines gestrandeten Baumes nahe der Eisenbahnbrücke.
»Ein vergnügliches und einträgliches Leben war das«, grinste der Schakal und schielte zu dem Vogel hoch, der über ihm auftürmte. »Nicht ein einziges Mal, denke nur, fand er es angebracht, mir zu sagen, wo am Ufer vielleicht ein Happen für mich übriggeblieben wäre. Und dabei habe ich ihm wohl hundertmal von leckeren Sachen berichtet, die stromabwärts kamen. Wie wahr ist das Sprichwort: ›Schakal und Barbier sind vergessen, sobald das Neue erzählt ist.‹ Und jetzt will er schlafen! Arrah!«
»Wie kann der Schakal mit dem Mugger jagen!« sagte der Adjutant kühl. »Großer Dieb, kleiner Dieb; da weiß man, wer die Reste schlingt.«
Der Schakal drehte sich um, gereizt winselnd, war eben im Begriff, sich im Schutz des Baumes zusammenzurollen, als er sich plötzlich duckte und durch das zerfetzte Geäst nach der Eisenbahnbrücke äugte, die fast senkrecht über ihm war.
»Was ist?« fragte der Adjutant und lüftete besorgt einen Flügel.
»Warte, bis wir Genaues erkennen. Der Wind bläst von uns zu ihnen hin, aber nach uns schauen sie nicht – die zwei Männer dort oben.«
»Menschen sind es? Mein Amt schützt mich. Ganz Indien weiß, daß ich heilig bin.«
Der Adjutant ist der beste Gassenkehrer, frei kann er gehen, wohin es ihm immer beliebt; und so schrak er nicht hoch.
»Ich bin kaum den Tritt eines alten Schuhs wert«, sagte der Schakal, gespannt horchend. »Lausche den Schritten«, fuhr er fort, »das ist kein einheimisches Leder, das ist der beschuhte Fuß eines Bleichgesichts. Horch! Eisen schlägt auf Eisen dort oben. Eine Flinte ist es! Freund, die schwerfüßigen, närrischen Engländer sind gekommen, um mit dem Mugger zu reden!«
»Warne ihn denn. Eben noch wurde er Wohltäter der Armen genannt von einem, der nicht wenig einem verhungerten Schakal glich.«
»Möge der Vetter seine Haut selbst schützen. Stets erzählt er mir, daß von Bleichgesichtern nichts zu fürchten wäre. Und Bleichgesichter müssen es sein. Kein Dorfbewohner von Muggerghat würde es wagen, ihn anzugehen. Sieh doch, ich sagte, es wäre eine Flinte! Nun, mit etwas Glück werden wir noch vor Tag Fraß bekommen. Außerhalb des Wassers hört er schlecht und, und – diesmal ist es keine Frau!«
Ein Flintenlauf blitzte kurz auf im Mondlicht von den Trägern der Brücke herab. Der Mugger lag auf der Sandbank, reglos wie sein eigener Schatten, die Vorderfüße etwas gespreizt, den Kopf dazwischengelegt und schnarchte – wie ein Mugger.
Eine Stimme auf der Brücke flüsterte: »Ein komischer Schuß ist es – beinahe senkrecht hinunter –, aber sicher wie ein Haus. Halte hart hinter das Genick! Alle Wetter, ein Mordsbiest! Die Dörfler werden rasen, wenn er erschossen wird. Es ist der Deota (Schutzgott) der Gegend.«
»Mir gleich«, antwortete eine zweite Stimme. »An die fünfzehn meiner besten Kulis hat er weggeschnappt beim Bau der Brücke; höchste Zeit, ihm das Handwerk zu legen. Wochenlang habe ich ihm im Boot nachgestellt. Hilf mit dem Martini nach, sobald ich ihm beide Kugeln aufgebrannt habe.«
»Denke aber an den Rückschlag, eine Doppelflinte von dem Kaliber ist kein Spaß.«
»Das wird er dann schon merken. Achtung jetzt – los!«
Ein Donner krachte wie von einem kleinen Geschütz (die schwerste Elefantenbüchse dröhnt fast wie eine Kanone), und dem doppelten Feuerstrahl folgte der peitschende Knall einer Martini, deren langes Stahlmantelgeschoß einen Krokodilpanzer glatt durchschlägt. Aber schon die Explosionsgeschosse taten ihre Arbeit. Der erste Einschlag saß kurz hinter dem Genick des Muggers, eine Handbreit links vom Rückgrat, der zweite weiter unten am Ansatz des Schwanzes. In neunundneunzig von hundert Fällen gelingt es einem tödlich getroffenen Krokodil, noch in tiefes Wasser zu entkommen; aber der Mugger von Muggerghat war buchstäblich in drei Stücke geborsten. Kaum zuckte noch der Kopf, als das Leben entwich, und – platt lag er, wie der Schakal.
»Donner und Blitz! Blitz und Donner!« maunzte das kleine, erbärmliche Tier. »Ist das Ding endlich in den Fluß gestürzt, das die Wagen mit den Dächern über die Brücke zieht?«
»Eine Flinte ist es nur«, sagte der Adjutant, obgleich er bis in die Schwanzfeder zitterte. »Nichts weiter als eine Flinte. Tot ist er bestimmt. Die Bleichgesichter kommen herunter.«
Die beiden Engländer eilten die Brücke herab nach der Sandbank und standen bewundernd vor der Länge des Muggers. Ein Eingeborener trennte mit der Axt den ungeheuren Kopf vom Rumpf, und vier Männer schleppten ihn über die Landzunge fort.
»Als ich das letzte Mal meine Hand in den Rachen eines Muggers steckte«, erzählte einer der Engländer und bückte sich (es war der Erbauer der Brücke), »war ich etwa fünf Jahre alt. Ich fuhr damals in einem Boot den Fluß hinab nach Monghyr, war ein sogenanntes Meuterbaby. Meine arme Mutter war mit im Boot, und oft erzählte sie mir, wie sie Vaters alten Revolver gegen den Kopf der Bestie abgefeuert hatte.«
»Na, jedenfalls hast du Rache genommen an dem Führer der Sippschaft, wenn auch deine Nase etwas blutet von dem Rückschlag. He, Bootsleute! Bringt den Kopf ans Ufer, wir wollen ihn auskochen, um den Schädel zu bekommen. Die Haut ist zu zerfetzt und hat keinen Wert mehr. Komm jetzt schlafen. Die Nachtwache hat sich gelohnt, wie?«
Sonderbarerweise machten Schakal und Adjutant die gleiche Bemerkung, kaum drei Minuten, nachdem die Männer fortgegangen waren.
Lied der Welle
Welle wogte an dem Strand,
Griff nach eines Mädchens Hand,
Das in Abendsonnengluten
Heimwärts wandert durch die Fluten.
Zarte Brust und schlanker Fuß,
Wahrt euch vor des Schmeichlers Gruß:
»Höre, Kind, mein sanft Gebot!
Warte! Bleib! Ich bin der Tod ...«
»Drüben ruft der Liebe Glück,
Schmachvoll wär's, ich blieb zurück.«
Dort im Fluß der helle Klang,
War's ein Fisch, der spielend sprang?
Schlanker Fuß und zartes Herz
Harrt der Fähre heimatwärts!
»Hör'