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Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard KiplingЧитать онлайн книгу.

Rudyard Kipling - Gesammelte Werke - Rudyard Kipling


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ist da!

      Eh' der Mond den Fels erklomm,

      eh' den Grat in Licht er taucht,

      Wann des Waldvolks Schwänze

      hangen schwer und feucht,

      Ha! ein Atem heiß dich haucht –

      schnobernd durch die Nacht es faucht –

      Das ist Furcht, o kleiner Jäger –

      Furcht da schleicht!

      Auf die Knie, den Strang gestrafft,

      von der Sehne schnell den Schaft –

      In das höhnend leere Dickicht

      wirf den Speer –

      Bebend sinket dir die Hand,

      aus der Wang' das Blut entschwand –

      Nah ist Furcht, o kleiner Jäger –

      Furcht schlich her!

      Wenn die Wolke saugt den Sturm,

      krachend sich ihm beugt der Wald,

      Wenn im Regensturz

      des Himmels Dach zerbricht,

      Durch des Donners Toben hallt,

      horch – ein Ton, der lauter schallt –

      Furcht, o kleiner Jäger,

      Furcht da spricht!

      Höher schwillt des Stromes Lauf,

      wilder tanzt der Kiesel Hauf',

      Zuckend Blitz auf Blitz

      das Blättermeer durchfurcht,

      Angst vertrocknet Kehl' und Lippen,

      und das Herz tost an die Rippen,

      Hämmert: Furcht – o kleiner Jäger –

      das ist Furcht!

      Das Volk vom östlichen Eise,

      es schmilzt wie der Schnee vom Dach,

      Sie betteln um Kaffee und Zucker,

      sie zieh'n dem weißen Mann nach.

      Das Volk vom westlichen Eise,

      es lernte schon fechten und stehlen,

      Er verkauft seine Felle den Händlern,

      dem weißen Mann seine Seelen.

      Das Volk von dem südlichen Eise

      mit den Walfischfängern es hält,

      Ihr Weibvolk schmückt sich mit Bändern,

      aber nackt und zerfetzt ist das Zelt.

      Doch das Volk vom ältesten Eise

      – der weiße Mann sah es nie –

      Von Narwalhorn sind ihre Speere,

      und die letzten Männer sind sie.

      »Sieh doch, er hat die Augen geöffnet!«

      »Zurück wieder ins Fell mit ihm. Ein starker Hund wird es einmal werden. Im vierten Monat werden wir ihm einen Namen geben.«

      »Welchen?« fragte Amoraq.

      Kadlu schaute in dem fellgefütterten Schneehaus umher, bis sein Blick auf den vierzehnjährigen Kotuko fiel, der auf der Schlafpritsche hockte und einen Knopf aus Walroßzahn schnitzte.

      »Nenne ihn nach mir«, sagte Kotuko grinsend; »ich werde ihn eines Tages brauchen können.«

      Auch Kadlu grinste, bis seine Augen beinahe im Fett der flachen Backen verschwanden, und nickte Amoraq zu. Die scharfe Hundemutter winselte beleidigt, weil sie ihr Junges nicht erreichen konnte, das hoch über dem warmen Hauch der Tranlampe in einem kleinen Sack aus Seehundfell baumelte. Kotuko nahm wieder seine Schnitzarbeit auf; Kadlu warf ein zusammengerolltes Bündel lederner Hundegeschirre in einen kleinen Nebenraum, der an der Seite des Hauses lag, zog sich den schweren Renjagdanzug vom Leib, legte ihn in ein Fischbeinnetz, das über der zweiten Tranlampe hing, ließ sich auf der Pritsche nieder und begann an einem Stück gefrorenen Seehundfleisch zu kauen, bis Amoraq, sein Weib, das übliche Mittagsmahl aus gekochtem Fleisch und Blutsuppe auftrug. Schon seit Morgengrauen war er draußen gewesen bei den Seehundslöchern, acht Meilen entfernt, und hatte drei starke Seehunde mit zurückgebracht. Halbwegs in dem niedrigen Schneegang oder Tunnel, der zur Innentür des Hauses führte, hörte man das Bellen, Schnappen und Winseln eines Schlittengespanns, das sich nach vollbrachtem Tagewerk um die warmen Plätze balgte.

      Als das Gejaule zu laut wurde, rollte sich Kotuko träge von der Schlafpritsche herunter und griff sich eine Peitsche mit achtzehn Zoll langem elastischem Walfischbeinschaft und fünfundzwanzig Fuß langem hartgeflochtenem Riemen. Er verschwand in dem dunklen Schneegang, und von dort erhob sich ein Getobe, als ob die Hunde ihn bei lebendigem Leibe auffressen wollten; aber es war nur ihr tägliches Tischgebet. Am anderen Ende des Ganges kroch Kotuko ins Freie, und ein halb Dutzend zottiger Köpfe folgte ihm mit den Augen, während er einem Gestell aus Walfischkinnladenknochen zuschritt, an dem das Fleisch für die Hunde hing. Mit einem breitblattigen Speer schnitt er große Klumpen des gefrorenen Fleisches ab und stellte sich dann bereit, die Peitsche in der einen, das Fleisch in der anderen Hand. Jedes Tier rief er bei Namen, das schwächste zuerst. Und wehe dem Hunde, der sich vorzudrängen wagte! Sofort fuhr die Peitschenschnur wie ein züngelnder Blitz auf ihn nieder und zwickte ihm etwa einen Zoll Haut und Haar aus dem Fell. Jedes Tier schnappte knurrend nach seiner Portion, würgte sie hastig hinunter und flüchtete dann eilends wieder in die schützende Wärme des Ganges, während der Knabe im Schnee unter dem funkelnden Nordlicht stand und Gerechtigkeit austeilte. Als letzter kam der große schwarze Leithund des Gespanns an die Reihe, der Ordnung hielt, wenn die Hunde im Geschirr liefen, ihm gab Kotuko eine doppelte Ration Fleisch und einen Extraschmitz mit der Peitsche.

      »Ja, ja«, sagte Kotuko, die Peitsche einrollend, »da drinnen habe ich noch ein Kleines über der Lampe hängen, das großmächtiges Gejaule anstellen wird. Marsch, hinein, Sarbok!«

      Über das Gewudel der Hunde hinweg kroch er wieder in das Haus zurück, staubte sich den trockenen Schnee aus dem Pelzwams mit dem Fischbeinklopfer, den Amoraq hinter der Tür aufbewahrte, klopfte dann von dem tierhautüberzogenen Dach des Hauses die Eiszapfen herunter, die von dem Schneedom oben niedergefallen waren, und kroch wieder auf die Schlafbank. Draußen im Schneegang schnarchten die Hunde und winselten im Traum; der jüngste der Familie, eingehüllt in Annoraqs dicke Pelzjacke, strampelte, lutschte und gurgelte; die Mutter des jungen Hundes lag an Kotukos Seite, die Augen fest auf das Bündel aus Seehundsfell gerichtet, das über der breiten gelben Flamme der Lampe warm und sicher hing.

      Das alles ereignete sich weit weg in den weißen Fernen des Nordens, hinter Labrador und noch hinter der Hudsonstraße, wo die gewaltigen Sturmfluten das Packeis knirschend schieben und türmen; nördlich der Halbinsel Melville – weiter nach Norden noch, nördlich sogar von den schmalen Meerengen von Fury und Hecla – an der Nordküste von Baffinland, wo die Insel Beylot über dem Eis des Lancastersunds steht gleich einer umgestülpten Puddingform. Vom Lancastersund nordwärts dehnt sich ein Land, unerforscht, wenig wissen wir davon – außer von Norddevon und Ellesmereland; aber auch dort hausen nur dünn verstreut einige Menschenkinder Tür an Tür gleichsam mit dem Nordpol.

      Kadlu war Innuit-Eskimo – und sein Stamm, dreißig Seelen insgesamt, gehörte zu Tununirmiut, »dem Lande, das hinter irgend etwas liegt«. Auf den Landkarten ist diese öde Küste als Navy-Board-Bucht bezeichnet; aber der Name Innuit paßt besser dafür, weil diese Gegend hinter dem Rücken aller Länder liegt – wirklich am Ende der Welt. Dort ist neun Monate im Jahre Schnee und Eis; Sturmwind auf Sturmwind fährt fauchend daher mit einer Kälte, von der man sich kaum eine Vorstellung machen kann. Sechs von den neun Monaten herrscht tiefe Nacht, und das macht das Land so schauerlich. In den drei Sommermonaten friert es nur einen um den anderen Tag und jede Nacht. Dann beginnt von den südlichen Hängen der Schnee hinwegzutränen, ärmliche Krüppelweiden treiben wollige Knospen,


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