Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard KiplingЧитать онлайн книгу.
waren unser zehn im Thor, wie es zuerst eröffnet wurde. Ich und zwei Babus[6] von irgend einem Amte aus der Gegend von Anarkali, aber sie kamen auf den Hund und konnten nicht mehr bezahlen – keiner, der tagsüber arbeiten muß, kann's auf die Länge mit dem schwarzen Rauche halten. Dann war da ein Chinese, das war Fung-Tschings Neffe, weiter eine Händlerin, die irgendwie zu 'm Haufen Geld gekommen war, ein verbummelter Engländer, irgend ein Mac ..., mein' ich, aber ich weiß es nicht mehr, der mächtig rauchte, aber niemals, glaub' ich, bezahlte. Sie sagen, er hat mal als Anwalt in Calcutta vor Gericht Fung-Tsching das Leben gerettet. Außer mir war auch noch ein andrer Eurasier[7] da, der aus Madras stammte, eine Halbblutinderin und noch ein paar Männer, die, wie sie sagten, von Norden kamen. Ich denke, das müssen Perser, Afghanen oder so was gewesen sein.
Nur fünf von uns sind noch am Leben. Was aus den Babus geworden ist, weiß ich nicht, aber die Händlerin ist nach sechs Monaten im Thor draufgegangen, und Fung-Tsching hat, glaub' ich, ihr Ohrgehänge und ihren Nasenring an sich genommen, aber ich weiß es nicht genau. Der Engländer machte beides, er trank und rauchte, und so war's bald aus mit ihm. Einen von den Persern haben sie vor langer Zeit bei einer nächtlichen Rauferei am Brunnen bei der Moschee umgebracht, und die Polizei hat den Brunnen gesperrt, weil sie sagten, das Wasser wäre verdorben. Sie haben ihn auf dem Grunde des Brunnens gefunden.
Siehst du, so ist weiter niemand übrig wie ich, der Chinese, die Halbblutinderin, die wir memsahib nennen – sie hielt's nämlich mit Fung-Tsching –, der andre Eurasier und einer von den Persern. Die memsahib sieht jetzt sehr alt aus; ich denke, sie war ein junges Weib, wie sie das Thor aufmachten. Was das betrifft, wir sind alle alt, Hunderte und Hunderte von Jahren alt. Es fällt einem verdammt schwer, im Thor die Zeit zu verfolgen, und dann, was kümmert mich die Zeit? Ich ziehe ja jeden Monat meine sechzig Rupien immer wieder von frischem.
Vor langer, langer Zeit, wie ich noch mit meinem großen Holzkontrakt in Calcutta 350 Rupien und drüber verdiente, hatt' ich, versteht sich, auch eine Frau. Die ist aber jetzt tot. Die Leute sagen, es wäre ihr Tod gewesen, wie ich mit dem schwarzen Rauch anfing. Vielleicht war's so, aber 's ist so lange her, daß nichts dran liegt. In der ersten Zeit, wie ich zum Thore ging, war ich manchmal traurig drum, aber das ist nun schon lange, lange vorbei und aus, und alle Monate ziehe ich immer wieder von frischem meine sechzig Rupien und bin dabei ganz selig, nicht rumselig, verstehst du, sondern immer ruhig und sorglos und zufrieden.
Wie ich dazu kam? Es fing an in Calcutta, wo ich es zu Hause probierte, nur um zu sehen, wie's ist. Ich habe niemals sehr viel genommen, aber ich denke, zu der Zeit muß meine Frau gestorben sein. Irgendwie hab' ich mich dann hierher gefunden und Fung-Tsching kennen gelernt. Wie das eigentlich kam, weiß ich nicht mehr; aber er erzählte mir vom Thor, und ich ging immer hin und sitze seitdem so oder so hier fest. Merk dir auch, das Thor war zu Fung-Tschings Zeit ein sehr anständiger Ort, wo man sich behaglich fühlen konnte, und keineswegs wie die tschandu-khanas, wo es von Schwarzen wimmelt. Nein, 's war ordentlich und ruhig und nicht so voll. Natürlich waren außer uns zehn und dem Alten noch mehr Leute da, aber wir hatten doch immer jeder seine Matte mit einem wattierten wollenen Kopfkissen, über und über mit schwarzen und roten Drachen und so was bedruckt, ganz wie der Sarg.
Hatte man seine dritte Pfeife hinter sich, so fingen die Drachen an, sich zu regen, und krochen aufeinander zu und kämpften miteinander. So manche, manche Nacht hindurch hab' ich ihnen zugesehen. Ich richtete mich mit meinem Rauch danach. Jetzt brauch' ich freilich zwölf Pfeifen, bis die Drachen in Bewegung kommen. Auch sind sie alle zerrissen und schmutzig wie die Matten, und der alte Fung-Tsching ist tot. Er ist vor 'n paar Jahren gestorben und hat mir noch die Pfeife gegeben, die ich jetzt immer benütze – eine silberne mit sonderbarem Tierzeug, das an dem Behälter unter dem Becher 'rauf- und 'runterkriecht. Vorher brauchte ich, glaub' ich, ein großes Bambusrohr mit 'nem ganz kleinen Kupferbecher und 'nem Mundstück aus Nephrit. Das Rohr war dicker wie 'n Spazierstock und rauchte sich süß – ach, so süß. Der Bambus, scheint's, sog den Rauch auf. Silber thut's nicht, und so muß ich's hin und wieder rein machen: das ist 'ne schwere Arbeit, aber wegen des Alten rauch' ich doch draus. Er hat seinen Schnitt bei mir gemacht, aber er hat mir auch immer reine Matten und Kissen gegeben und den allerbesten Stoff.
Wie er starb, übernahm sein Neffe das Geschäft und nannte es »Tempel der drei Gaben«, aber bei uns Alten heißt es doch immer noch »Hundert Sorgen«. Der Neffe betreibt das Geschäft sehr schäbig. Und die memsahib mein' ich, hilft ihm dabei. Sie hält's mit ihm wie vorher mit dem Alten. Die beiden lassen gemeines Volk, Schwarze und alles, herein, und auch der schwarze Rauch ist nicht mehr, was er gewesen ist. Immer und immer wieder hab' ich in meiner Pfeife gebrannte Kleie gefunden. Den Alten hätt's umgebracht, wenn so was in seiner Zeit passiert wäre. Auch das Zimmer niemals rein und alle Matten zerrissen und zerfetzt. Der Sarg ist fort – wieder nach China zurück mit dem Alten drin und zwei Unzen Rauch, wenn er unterwegs was brauchen sollte.
Dem Götzen wird nicht mehr so viel Räucherholz unter der Nase verbrannt wie früher, das bedeutet Unheil, so sicher wie der Tod. Auch ist er ganz braun, und niemand sorgt für ihn. Ich weiß schon, daran ist die memsahib schuld, denn wenn Tsin-Iing vergoldetes Papier vor ihm verbrennen wollte, sagte sie, 's wäre Geldverschwendung, und wenn er ganz langsam 'n Stück Holz glimmen ließe, würde der Götze keinen Unterschied merken. So werden nun die Hölzer mit 'nem Haufen Leim bestrichen, da brennen sie 'ne halbe Stunde länger, stinken aber schrecklich. So laßt doch das Zimmer riechen, wie es soll. Auf die Weise kann kein Geschäft gedeih'n. Dem Götzen gefällt das Ding auch nicht. Ich seh's wohl. Spät in der Nacht kriegt er manchmal sonderbare Farben – Blau und Grün und Rot – ganz wie früher, wie der alte Fung-Tsching noch lebte, und dann rollt er seine Augen und stampft mit den Füßen wie 'n Teufel.
Ich weiß nicht, warum ich nicht weg bleibe und in Ruhe an einem eignen kleinen Platz im Bazar rauche. Sehr wahrscheinlich würde mich Tsin-ling umbringen, wenn ich fortginge – er zieht ja jetzt meine sechzig Rupien – und dann macht mir's zu viel Mühe, auch ist mir nun mal das Thor der liebste Platz geworden. Es sieht freilich nicht mehr nach viel aus, nicht mehr so wie in der Zeit des Alten, aber von ihm mich trennen könnt' ich nicht. Ich hab' so viele kommen und gehen sehen. Und ich hab' so viele hier auf den Matten sterben sehen, daß ich mich davor fürchte, nun im Freien zu sterben. Ich habe manches gesehen, was den Leuten wunderbar genug vorkommen würde, aber wenn man beim schwarzen Rauch ist, ist nichts wunderbar wie der schwarze Rauch selbst. Und wär's auch wunderbar, so verschlägt's nichts.
Fung-Tsching war sehr eigen mit seinen Kunden und brachte keinen 'rein, der Skandal machte. Aber sein Neffe fragt wenig danach. Überall schreit er aus, er hielte ein feines Haus. Er kann die Leute nicht anständig 'reinbringen und es ihnen behaglich machen, wie's Fung-Tsching machte. Drum wird auch das Thor was mehr bekannt wie früher. Natürlich unter den Schwarzen. Der Neffe wagt gar nicht, einen Weißen oder dafür wenigstens eine Mischhaut herzubringen. Uns drei, mich und die memsahib und den andern Eurasier, muß er natürlich hier lassen. Wir gehören zum Lokal. Aber er würde uns nicht für 'ne Pfeife Kredit geben – nicht um alles in der Welt.
Nächster Tage, hoff' ich, werd' ich im Thore sterben. Der Perser und der Mann aus Madras sind jetzt furchtbar zittrig. Sie müssen 'nen Jungen haben, der ihnen die Pfeifen anzündet. Ich thue das immer selber. So werd' ich sie wohl vor mir 'naustragen sehen. Ich denke nicht, daß ich die memsahib oder Tsin-ling überleben werde. Frauen halten beim schwarzen Rauch länger aus wie Männer, und Tsin-ling hat 'nen Tropfen vom Blute des Alten in sich, obgleich er schlechten Stoff raucht. Die Händlerin wußte zwei Tage vor ihrem Tode, daß sie dran glauben mußte; sie ist doch auf einer saubern Matte mit einem hübschen Wattekissen gestorben, und der Alte hat ihre Pfeife grade über dem Hausgötzen aufgehängt. Ich denke, er hat sie immer gern gehabt. Aber ihr Ohrgehänge hat er doch genommen.
Ich wünschte, ich könnte sterben wie die Händlerin – auf einer reinen kühlen Matte und mit einer Pfeife voll von gutem Stoff zwischen den Lippen, Wenn ich fühle, 's ist aus mit mir, werd' ich Tsin-ling sagen, er soll mir beides geben, und er kann dann meine sechzig Rupien den Monat immer wieder von frischem ziehen, solange er will. Dann werd' ich daliegen, ruhig und behaglich, und zusehen, wie die schwarzen und roten Drachen ihre letzte große Schlacht schlagen, und dann...
Doch was kümmert's mich. Mich