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Auf fremden Pfaden. Karl MayЧитать онлайн книгу.

Auf fremden Pfaden - Karl May


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an, hinabzuspringen, wurde aber immer wieder von der Furcht zurückgehalten.

      »Er ist unten«, sagte ich. »Lassen wir alles Fragen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren. Gebt die Stricke her; es muß einer hinab!«

      »Ich gehe hinab,« antwortete Neete; »ich bin der leichteste. Härra, du bist der größte und stärkste von uns allen; du wirst die Kartsait halten!«

      »Gut! bindet die Halkoit zusammen und legt sie quer über die Spalte, damit sie uns als Stütze dienen. Aber schnell!«

      Nur eine Minute später schwebte der junge Mann in die Öffnung hinein, in welcher eine fürchterliche Kälte herrschen mußte. Er war noch gar nicht weit hinab, so gab er das Zeichen.

      »Mon lep sot ... ich habe ihn,« rief er. »Gebt noch ein Seil herab!«

      Diese Seile waren zwar dünn, aber aus unzerreißbaren Rentierhautriemen geflochten; man konnte ihnen den schwersten Menschen anvertrauen. Während ich den Sohn hielt, wurde ihm ein zweites Seil hinabgelassen, an welches er den Vater binden sollte. Dieses geschah in kurzer Zeit, und dann wurden beide heraufgezogen.

      Vater Pent fiel steif auf den Schnee.

      »Er ist tot!« jammerte Neete. »Die bösen Geister haben ihm das Leben geraubt!«

      Ich untersuchte den alten Lappmann. Sein Herz schlug, und keines seiner Glieder schien verletzt zu sein. Darum tröstete ich die anderen:

      »Sotn ela ... er lebt! Es fehlt ihm nichts als nur die Besinnung. Welche Stellung hatte er in der Spalte, Neete? Sie scheint nicht tief zu sein.«

      »O, Härra, sie ist tief, sehr tief, und ganz mit Eis belegt,« antwortete er. »Aber sie ist schmal, und da hat sich sein Spieß eingeklemmt, der ihn gehalten hat.«

      »Wekkes auto ... welch ein Wunder!«

      »Ja, der heilige Jesots hat ihn bewacht. Aber sage, ob es möglich ist, daß er dennoch sterben kann?«

      »Es ist möglich, daß er mit dem Kopfe an das Eis geschlagen ist. Er ist trotz der dichten Kleidung steif vor Kälte und muß sich also sehr lange in der Kluft befunden haben; das läßt mich wohl vermuten, daß er betäubt worden ist, denn von einer Ohnmacht wäre er längst wieder erwacht. Nehmt die Stangen und macht eine Bahre. Wir wollen ihn zur Hütte tragen! Einer mag voraneilen und den Rentierschlitten holen, damit wir schneller vorwärts kommen.«

      »Ich werde es thun!« erbot sich der wackere Kakke Keira. »Ich werde so eilen, daß es mich nicht friert, und lasse euch meinen Pelz zurück, denn sonst könnt ihr keine richtige Trage machen.«

      Er warf den weiten Pelz ab, ergriff seinen Spieß und sein Gewehr und glitt auf seinen Schneeschuhen denselben Weg zurück, den wir gekommen waren. Mit Hilfe des Pelzes, der Stangen und der Seile wurde eine ganz passable Bahre zusammengesetzt; wir banden den Geretteten darauf fest und traten den Rückweg an. Dieser wurde uns natürlich schwer, denn es war keine Kleinigkeit, die Last wohlbehalten über die Spalten zu bringen. Dies nahm so viel Vorsicht und Zeit in Anspruch, daß der Schlitten bereits unten am Berge hielt, als wir die Ebene erreichten. Kakke Keira hatte sich einstweilen den Pelz Andas geborgt.

      Der Besinnungslose wurde auf den Schlitten befestigt, und dann ging es im sausenden Laufe über die nun bequeme Fläche auf die Hütte zu. Natürlich kam der von dem windesschnellen Rentiere gezogene Schlitten mit Onkel Sätte, der ihn führte, eher an, als wir, und als wir die Schuhe abgelegt hatten und eintraten, fanden wir Vater Pent bereits am Feuer liegen. Er war noch immer besinnungslos; dennoch aber beschäftigte sich Mutter Snjära unter Assistenz ihrer Töchter sehr eifrig damit, ihm jammernd und wehklagend den gewaltsam aufgebrochenen Mund voll großer Stücke gefrorenen Rentierblutes zu stopfen.

      »Wollt ihr ihn töten!« rief ich ihnen zu.

      »Das Blut hilft für alles, Härra!« beteuerte sie mir.

      »Hier schadet es nur! Nehmt es wieder heraus und öffnet ihm die Kleider. Ich habe eine bessere Medizin!«

      Ich hatte in meinem sehr zusammengeschrumpften Reisesacke allerdings von Medikamenten weiter nichts als noch ein halbes Fläschchen Arnikatinktur, doch war dies gegen die Verletzung durch einen Fall ja ein ganz gutes Mittel, wenn nicht auch innere Teile gelitten hatten. Die Kleider wurden ihm geöffnet, um die Respiration zu erleichtern, und da Naphtha und Salmiakgeist oder ähnliches nicht vorhanden war, so bat ich um Schnupftabak. Alle erstaunten sehr weidlich darüber, daß ein Toter schnupfen solle, dennoch aber wurden mir gerade so viele aus Rentierhaut gefertigte Dosen entgegengestreckt, als männliche und weibliche Personen anwesend waren. Der Lappe liebt den Tabak außerordentlich, fast ebenso wie den Branntwein; aber da er den letzteren so viel entbehren muß, so raucht und schnupft er viel, und daher gab es hier Dosen genug in der Hütte.

      Ich applizierte dem Betäubten eine ziemliche Prise in denjenigen Teil seines Gesichtes, welchen die Lappen Njuonne nennen, und hatte auch wirklich gar nicht lange auf die beabsichtigte Wirkung zu warten; seine spitze Stirn legte sich in Falten, die geschlossenen Augenlider begannen zu zittern, der Mund öffnete sich, zwar langsam, aber so weit wie möglich; die gegen Kälte und allerlei kleines Getier mit Pechsalbe beschmierten Wangen dehnten sich aus, und dann erfolgte jene bekannte Explosion, für welche die Sprachen aller Völker nur eine und dieselbe Bezeichnung haben – app ... zieh!

      »Aeitnan ... zur Gesundheit!« ertönte es jubelnd aus aller Munde.

      Der Bann war gebrochen; die Augen öffneten sich, bewegten sich einige Augenblicke staunend im Kreise, und dann erklang auch bereits, und zwar in sehr bestimmtem Tone, das erste hörbare Lebenszeichen:

      »Muaji, wattopte malep ... gebt mir Blut!«

      Mutter Snjära blickte mich fragend an. Ich nickte ihr zu, denn diesem imperativen Verlangen eines augenblicklich erst vom Tode Erwachten vermochte mein fühlendes Herz nicht zu widerstehen. Da der Inhalt des alten vielleicht nicht reichen würde, so wurde augenblicklich ein neuer Rentiermagen geöffnet und das darin aufbewahrte Blut herausgeschlagen. Dann warf sich die Mutter mit ihrem drei Assistentinnen über den Patienten, und er erhielt von vier Seiten den Mund so energisch vollgestopft, daß er fünfmal schlingen mußte, ehe er Zeit fand, einmal Atem zu holen. Die großen Stücke zu Eis gefrorenen Blutes verschwanden so schnell und massenhaft in der Speiseöffnung des armen Kranken, und er verriet eine so ausdauernde Inklination für diese Art, dem Tode zu entgehen, daß es mir angst und bange wurde und ich endlich Einhalt that. Kaum aber waren seine wiedererwachten Lebensgeister nicht mehr in dieser Richtung beschäftigt, so fuhr er sich mit der Hand an den Kopf und klagte:

      »Mon lep luokatest, mon lep hawetetowum ... ich habe Schmerz, ich bin verwundet worden!«

      Ich untersuchte die Stelle, welche seine Hand bezeichnet hatte, und entdeckte unter der dicken Pelzhaube, welche er trug, eine ziemliche Anschwellung. Er war also doch mit dem Kopfe aufgestoßen.

      »Tunji mon kalkap wekketet ... ich werde dir helfen!« tröstete ich ihn und griff zu meiner Tinktur.

      »Toteleppäsker ... du bist ein Doktor?»fragte er erstaunt.

      »Ja,« antwortete ich, um ihm Vertrauen zu machen.

      »Was hast du hier?«

      »Das ist eine Arznei, welche dir die Schmerzen stillen wird.«

      »Schmeckt sie gut?«

      »Du wirst sie nicht trinken, sondern ich werde sie dir auf den Kopf legen.«

      »Laß sie mich einmal riechen!«

      Ich hielt ihm das geöffnete Fläschchen unvorsichtigerweise bereitwillig an die Nase. Er sog den Duft des kräftigen Spiritus mit wachsendem Wohlbehagen ein und bat dann mit verklärtem Gesichte:

      »Gieb mir diese Arznei lieber zu trinken, Härra! Ich werde dann schneller gesund werden, als wenn du sie mir auf den Kopf legst.«

      Ich schlug es ihm ab und ließ mir den Fetzen von einem alten Sommerkleide geben. Diesen befeuchtete ich und band ihn auf die Anschwellung. Da ich das Befeuchten nach einiger Zeit wiederholen wollte, so gab ich das Fläschchen nicht wieder in den Reisesack zurück, sondern schob


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