Diamantentropfen. Manfred QuiringЧитать онлайн книгу.
war früher so, heute gab es da noch andere Möglichkeiten. Die tumbe Rotblonde mit den strammen Titten beispielsweise. Edik schnaufte geringschätzig. Sie war in Amerika aufgeflogen, weil sie ihren Facebook-Account zu geschwätzig genutzt hatte. Jetzt moderierte sie eine Talk-Show im russischen Staatsfernsehen. Schlicht, einfältig, populär. Hatte sie wirklich ernsthaft geglaubt, Edward Snowden würde ihren Heiratsantrag annehmen? Edik schüttelte sich. Die Sitten verkommen, der Professionalismus geht vor die Hunde.
Die “Illegalen” waren da schon ein ganz anderes Kaliber. Sie spionierten allein auf sich gestellt fürs Heimatland. Mit falschen Lebensläufen ausgestattet, reisten sie über mehrere Länder ins jeweilige Operationsgebiet und gingen dort unter dem Deckmantel einer bescheidenen bürgerlichen Existenz ihrem Spionagegeschäft nach.
Edik seufzte tief, als er an den berühmten Rudolf Iwanowitsch Abel dachte, den die Sowjetunion noch 1990 mit einer Briefmarke geehrt hatte. Tja, Abel! Eine Legende, auch für nachfolgende Generationen. Gerne wäre er so gewesen wie er.
In den Vierziger- und Fünfzigerjahren hatte Abel Atomgeheimnisse der Amerikaner ausspioniert, ehe er nach neun Jahren tiefster Illegalität verhaftet wurde. Sein späterer Austausch an der Glienicker Brücke bei Berlin gegen den amerikanischen Piloten eines U-2-Spionageflugzeuges, Francis G. Powers, galt Edik als Beleg dafür: Russland lässt die Seinen nicht verkommen.
Wehmütig erinnerte er sich an seine eigene Zeit im Ausland. Er hatte zu den „Legalen“ gehört, hatte als Mitarbeiter der Presseabteilung der russischen Botschaften in Schweden und auf der Insel Malta „gearbeitet”. Allerdings, ohne sich besondere Meriten erworben zu haben.
Trotzdem - Schweden war angenehm gewesen. Mittsommer, Aquavit, die ungeahnte Freizügigkeit in erotischen Dingen, die prallen Busen, die ihm von den Titelseiten schwedischer Zeitungen entgegenblinkten - all das hatte Edik, damals noch jung und in Saft und Kraft, bei seinem ersten Einsatz im Westen sehr genossen.
Unter dem sicheren Schutz diplomatischer Immunität eines Presseattachés sollte er in erster Linie das Gewusel beobachten, das zu seiner Zeit die ominösen U-Boote unbekannter Herkunft in den Schärengebieten Südschwedens verursachten.
Schwedens Geheimdienst, das Militär, die Regierung und natürlich die Medien waren damals in höchster Aufregung. Man vermutete sowjetische Unterwasserschiffe auf Spionagefahrt vor der schwedischen Küste.
Die Zentrale in Moskau wollte alles wissen, was mit den Reaktionen darauf zusammenhing. Edik lernte schnell die Vorzüge einer weitgehend unbehindert agierenden Medienlandschaft zu schätzen: Die meisten Informationen bezog er aus den Zeitungen oder von Journalisten, die sich ihrerseits Informationen von dem sowjetischen Diplomaten erhofften. Nur gut, dass sein Schwedisch so ausgezeichnet war.
Aber, und das schien ihm sonderbar, er sollte auch berichten, woher diese U-Boote kamen. Sind es denn nicht unsere, dachte er damals verblüfft. Zumal dann auch noch das sowjetische Unterwasserschiff U 137 vor der schwedischen Marinebasis Karlskrona auf Grund lief und entdeckt wurde. Damit schien der Beweis für die sowjetische Urheberschaft erbracht.
Edik war schon längst außer Landes, als bekannt wurde, dass die U-Boot-Affäre – von dem peinlichen Vorfall vor Karlskrona abgesehen – eine verdeckte Operation der Amerikaner gewesen war. Sie wollten eine Annäherung der neutralen Schweden an den Osten verhindern.
Sein nächster Einsatz auf der Insel Malta kam ihm danach wie ein Urlaub vor. Viel Sonne, eine kleine, überschaubare Insel, eine aufregende Historie, die vom Kreuzritterorden der Malteser begründet worden war, waren der angenehme Hintergrund für seinen Auftrag. Edik und seine Kollegen sollten die Mannschaften der sowjetischen Kriegsschiffe abschirmen. Die Sowjet-Marine durfte den Tiefwasserhafen von La Valetta zu Reparatur- und Wartungszwecken anlaufen, nachdem Dom Mintoff, der damalige Premier, die ehemalige britische Kolonie Malta für unabhängig erklärt hatte.
Daraufhin schwirrten die Angehörigen anderer Dienste auf die kleine Insel, wie die Motten zum Licht. Schon bald traten sich Spione aus Dutzenden Ländern gegenseitig auf die Füße. Es fehlte nicht viel, und man sprach sich gegenseitig mit dem Vornamen an.
Edik gewöhnte sich schnell ein. Binnen kurzem war er mit dem Linksverkehr vertraut, leider auch mit der Sekretärin seines Chefs, der gleichzeitig ihr Gatte war.
Mit dieser Affäre endete Ediks Einsatz. Man schickte ihn vorzeitig in die Heimat zurück, wo sich nicht nur die Sowjetunion, sondern auch seine erste Ehe auflöste. Der monolithe Block des KGB, bestehend aus neun Hauptabteilungen, wurde von General Wadim Bakatin, dem Verräter, wie Edik ihn nannte, zerlegt und neu organisiert.
Der glücklose Ausslandsspion Edik wurde dem neuen Inlandsgeheimdienst zugeschlagen und dem Bereich zugeordnet, der gegen das organisierte Verbrechen vorgehen sollte. Die Affäre in Malta und ein ebenso nachtragender wie einflussreicher Vorgesetzter hatten für den Karriereknick gesorgt.
Und da saß er nun, dieser Georgier, den es heute zu feiern galt. Sie hatten ihn seinerzeit in die Vereinigten Staaten geschickt, das Traumland für jeden Tschekisten. Dort konnte man auf Augenhöhe mit dem Hauptfeind nach wirklich wichtigen Geheimnissen forschen. Grigori Tamaladse, der Jubilar, hatte das ohne diplomatischen Status getan. Er war einer der Illegalen gewesen. In der Zentrale umgab ihn der Nimbus des Legendären.
Edik bewunderte ihn, nicht ohne eine gehörige Portion Neid. Weißhaarig, vollbärtig, das Gesicht von Lachfalten durchzogen, saß der Veteran in der Tafelrunde. Er war eher klein, sein Leibesumfang zeugte von seiner Liebe zu guten Speisen und Getränken. In den Jahren nach seiner Pensionierung hatte er sich, wie Edik wusste, vorwiegend mit den schönen Künsten, aber auch mit schönen Künstlerinnen befasst. Auch jetzt, an seinem 80. Geburtstag saß eine junge Schöne, nicht älter als Ende zwanzig, neben dem Jubilar, der sie als „meine Muse“ vorgestellt hatte.
Seine ehemaligen Kollegen und Chefs, die neben ihm am Kopf der Tafel Platz genommen hatten, bildeten ein optisch erstaunliches Kontrastprogramm zu dem alten Georgier. Edik fiel das zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit auf. Mit ihren verkniffenen und misstrauischen Mienen gaben sie das typische Klischee von Sowjetspionen ab, wie sie selbst in amerikanischen C-Klasse-Filmen abgelehnt worden wären.
Er selbst hielt sich zugute, dass er mit seinem modernen Outfit, das er sehr sorgfältig auswählte, und seinem verbindlichen Gesichtsausdruck immer als Manager einer großen Firma durchgehen würde.
Inzwischen hatte das Fest Fahrt aufgenommen. Ein Trinkspruch jagte den anderen. Gerade krähte eine sehnige Alte, das Wodkaglas schwenkend: „Grigori, du bist unser Held! Ich bin stolz darauf, dass ich damals deine Informationen in die Heimat übermitteln durfte!“ Huldvoll das Haupt neigend prostete der Held ihr zu, aus alter Gewohnheit mit Whisky, natürlich. Der nächste Gratulant erhob sich, ebenfalls angejahrt und jetzt schon leicht schwankend. Er wurde prinzipiell. „Ich will einen Toast ausbringen auf die, die dafür gesorgt haben, dass wird den Wettlauf mit den Amerikanern um die Bombe nicht verloren haben! Auf unsere ruhmreichen Kundschafter!“
Da war er wieder, der Jahrzehnte alte Streit darüber, wer denn nun den Hauptanteil an der Schaffung der Atombombe gehabt habe – die Sowjetwissenschaft oder die Sowjetspionage, die mit Hilfe des Deutschen Klaus Fuchs die entscheidenden Unterlagen aus Los Alamos gestohlen hatte.
Für die von Rührseligkeit, verklärtem Heldenmut und einer gehörigen Dosis Alkohol trunkenen Raswedtschiki war das längst entschieden. „Was hätten sie denn ohne uns gemacht, die Kurtschatows, Sacharows, Kapitzas? Sie haben vielleicht wichtige Formeln gefunden, aber wie man daraus eine Bombe baut, davon hatten sie doch keine Ahnung“, entrüstete sich einer der Gäste und schlug sich auf die Brust. „Ohne uns wären wir doch alle längst unter der Fuchtel des Westens!“
Die Gläser klangen, allgemeines Gemurmel breitete sich aus. Das plötzlich erstarb. Eine hagere, langhaarige, gebeugte Gestalt betrat den Festsaal. Der Einlassdienst wollte den Mann daran hindern, aber der Jubilar, der ihn sofort erkannte, bedeutete den Zerberussen, sie sollten ihn passieren lassen. Der späte Gast war ebenfalls schon in den Jahren. Ungerührt tappte er durch das eisige Schweigen auf den Kopf der Tafel zu. Es war, als würde etwas höchst Unanständiges geschehen, die Gäste wandten verlegen den Blick ab. Die meisten wussten natürlich, wer