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Tarabas. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Tarabas - Йозеф Рот


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blieben stehen, wie erzene Pferde auf Monumenten. Das war immer schon Tarabas' Art gewesen. Alle kleinen Bauern grüßten ihn, die Fenster öffneten sich, eine große, sonnendurchglänzte Staubwolke ließ er hinter sich. Seine Fahrt befriedigte ihn, auch gefiel ihm der Respekt, den man ihm überall unterwegs zollte. Dennoch glaubte er eine große, unbekannte Angst in den Gesichtern zu sehen. Der Krieg hatte noch nicht begonnen, und schon wohnte sein Schrecken in den Menschen. Und wenn sie Tarabas etwas Angenehmes sagen wollten, quälten sie sich, und sie sagten ihm nicht alles, was sie im Herzen trugen. Fremd war Tarabas in seinem Lande – der Krieg war hier heimisch geworden.

      Der Abend kam. Tarabas zögerte, nach Hause zu fahren. Locker ließ er die Zügel und die Rosse im träumerischen Schritt. Als er den Anfang der Birkenallee erreichte, die geradeaus zum Hause führte, stieg er ab. Die Pferde kannten den Weg. Vor den großen Ställen, linker Hand vom Hause, blieben sie stehen und wieherten klug und gaben ihre Ankunft zu erkennen, und der Hofhund bellte, wenn der Knecht nicht sofort kam. Die Pferde allein hatten Tarabas erkannt. Zärtlichkeit erfüllte ihn, er streichelte die heißen, rostbraunen, glänzenden Leiber, legte seine Stirn an die Stirn jedes Tieres, atmete den Dunst ihrer Nüstern und fühlte die wohlige Kühle der ledernen Haut. In den großen, glänzenden Augen der Pferde glaubte er alle Liebe der Welt zu sehen.

      Er schlug zum zweitenmal den Seitenweg ein, zwischen den Weiden, wie am Morgen. Die Frösche lärmten zu beiden Seiten, es roch nach Regen, obwohl der Himmel wolkenrein war und die herbstliche Sonne in glänzender Reinheit unterging. Sie blendete ihn. Er mußte den Blick senken, um auf den Weg zu achten, den Pfad nicht zu verlieren. Also sah er nicht, daß ihm jemand entgegenkam. Überrascht nahm er einen Schatten dicht vor seinen Füßen wahr, ahnte im Nu, wem er gehörte, blieb stehen. Maria kam ihm entgegen. Sie hatte ihn also vermißt. Die hochgeschnürten Stiefel setzte sie zierlich und achtsam auf den schmalen Pfad. Es gelüstete Tarabas plötzlich, die vielfältig geflochtenen Schnüre aufzuschneiden. Wut und Wollust erfüllten ihn. Es gab kein Ausweichen. Er ließ Maria herankommen. Er legte einen Arm um sie und so, sorgfältig und hart aneinandergedrückt aus Angst vor dem Sumpf zu beiden Seiten (und auch aus Heimweh), berührten sich manchmal ihre Füße auf dem schmalen Pfad. Sie kehrten zurück in den Wald. Späte Vögel riefen. Sie sprachen kein Wort. Sie umarmten sich plötzlich. Sie wandten sich, beide gleichzeitig, einander zu, umschlangen sich, taumelten und sanken auf die Erde.

      Als sie aufstanden, blinkten die Sterne durch die Baumkronen. Es fröstelte sie. Sie klammerten sich aneinander und kehrten auf dem Hauptweg ins Haus zurück. Vor dem Eingang blieben sie stehen, küßten sich lange, als nähmen sie Abschied für immer. »Du gehst zuerst hinein«, sagte Tarabas. Es war der einzige Satz, der die ganze Zeit über zwischen beiden gefallen war.

      Tarabas folgte langsam.

      Man sammelte sich zum Abendessen. Wann er weg müsse, fragte der Alte den Sohn. Um vier Uhr morgens, sagte Nikolaus, damit er ja nicht den Zug versäume. Das hätte er also richtig vorausbedacht, sagte der Alte. Man trug das besondere Mahl auf, das er am Nachmittag angeordnet hatte: Grütze in dampfender Milch, gekochtes Schweinefleisch mit Kartoffeln, Wodka und hellen Burgunder dazwischen und weißen Schafkäse zum Beschluß. Man wurde laut. Der Alte fragte. Nikolaus erzählte von Amerika. Er erfand für den Augenblick eine Fabrik, in der er soeben zu arbeiten angefangen hatte, eine Fabrik. Dort stellte man Filme her. Eine recht amerikanische Fabrik. Als er, wie schon seit Wochen, jeden Morgen um fünf Uhr früh im Begriffe war, sich an seine Arbeitsstelle zu begeben, riefen die Zeitungsjungen die Nachricht vom Kriege aus – und also fuhr er dann geradewegs in die russische Botschaft. Einen Abend vorher hatte es noch zwischen ihm, Tarabas, und einem ekelhaften Barwirt eine Schlägerei gegeben. Der Wirt hatte ein unschuldiges Mädchen, wahrscheinlich seine Kellnerin, beschimpft und sogar angegriffen. Solche Menschen gab es in New York.

      Selbst die gleichgültige Schwester horchte auf, als Nikolaus diese Geschichte erzählte, und immer wieder sagte die Mutter: »Gott segne dich, mein Junge!« Tarabas selbst war überzeugt, daß er die pure Wahrheit erzählte.

      Und man erhob sich. Man feierte im Stehen Abschied. Und der alte Tarabas sagte, daß man den Sohn in vier Wochen wiedersehen werde. Und alle küßten ihn. Er wollte morgen früh niemanden mehr sehn. Maria küßte ihn flüchtig. Die Mutter hielt ihn eine Weile in den Armen und wiegte ihn so im Stehen. Vielleicht erinnerte sie sich an die Zeit, in der sie ihn noch im Schoß gewiegt hatte.

      Das Gesinde kam. Mit jedem, Knecht und Magd, tauschte Nikolaus den Abschiedskuß.

      Er ging in sein Zimmer. Er legte sich, so wie er war, Schlamm an den Stiefeln, aufs Bett. Er schlief wohl eine Stunde, erwachte dann infolge eines unbekannten Geräusches, sah, daß seine Tür offen war, ging hin, um sie zu schließen. Ein Windstoß hatte sie geöffnet. Auch das Fenster gegenüber war offen.

      Er konnte nicht mehr einschlafen. Es kam ihm in den Sinn, daß es nicht just der Wind gewesen sein mußte. Hatte Maria versucht, ihn wiederzutreffen? – Warum schlief sie nicht mit ihm, in der letzten Nacht, die er in diesem Hause verbrachte? Ihr Zimmer kannte er. Im Hemd lag sie nun, das Kreuz über dem Bett. (Es schreckte ihn ein wenig.)

      Er öffnete die Tür. Er ließ sich mit beiden Händen das Geländer der Treppe hinuntergleiten, um nicht mit den schweren Stiefeln die Stufen zu betreten. Jetzt öffnete er Marias Tür. Er riegelte sie ab. Er blieb eine Weile reglos. Dort war das Bett, er kannte es, als Knabe hatte er mit Maria und der Schwester die Laken abgezogen, um Leichenzug zu spielen. Eines nach dem anderen hatten sie sich totgestellt. Durch das große Rechteck des Fensters leuchtete die hellblaue Nacht. Tarabas trat ans Bett. Die Diele knarrte, und Maria fuhr auf. Halb noch im Schlaf und ganz vom Schrecken gefangen, breitete sie die Arme aus. Sie empfing Tarabas, so wie er war, gerüstet und gestiefelt, fühlte mit Wonne seine harten Bartstoppeln auf dem Angesicht und haschte mit ungelenken Händen nach seinem Nacken.

      Satt, herrisch und lärmend erhob er sich. Sanft und schon ein wenig ungeduldig legte er Marias Hände, die sie ihm entgegenstreckte, auf das Bett zurück. »Du gehörst mir!«, sagte Tarabas; »wir heiraten, bis ich zurückkomme. Du bist treu. Du siehst keinen Mann an. Leb wohl!« – Und er verließ das Zimmer, ging, ohne auf den Lärm zu achten, den er verursachen mochte, die Treppe hinauf, um seine Sachen zu holen.

      Oben, in der Stube, saß der alte Tarabas. Man spioniert also, dachte Nikolaus im Nu. Man spioniert mich aus. Der alte Grimm gegen den Vater erwachte wieder, der Grimm gegen den Alten, der einen grausam vertrieben hatte, in das grausame New York. Der Vater erhob sich, sein Schlafrock klaffte auseinander, man sah das Bauernhemd und die langen Schläuche der Unterhosen aus Sackleinewand, zusammengebunden über den mächtigen Knöcheln. Mit beiden Händen ergriff der Vater Nikolaus an den Epauletten. »Ich degradiere dich!«, sagte der Alte. Oh, man kannte diese Stimme sehr gut, sie war nicht lauter als gewöhnlich. Nur der Adamsapfel bewegte sich auf und nieder, heftiger als sonst und in den Augen stand der kalte Zorn, Zorn aus blankem Eis. Jetzt geschieht was, dachte Nikolaus, die Angst um seine Epauletten verwirrte ihn. »Laß los!«, schrie er. Im nächsten Augenblick sauste die väterliche Hand gegen seine Wange. Nikolaus wich zurück, indes der Alte den Schlafrock wieder zusammenraffte.

      »Wenn du gesund heimkehrst, heiratest du!«, sagte der Alte. »Und nun geh! Sofort! Verschwinde!«

      Tarabas griff nach Säbel und Mantel und wandte sich zur Tür. Er öffnete sie, zögerte einen Augenblick, kehrte noch einmal um und spuckte aus. Dann schlug er die Tür zu und hastete hinaus. Pferde, Knecht und Wagen erwarteten ihn schon, um ihn zur Bahn zu führen.

      6

      Der Krieg wurde seine Heimat. Der Krieg wurde seine große, blutige Heimat. Von einem Teil der Front zum andern kam er. Er kam in friedliches Gebiet, setzte Dörfer in Brand, ließ die Trümmer kleiner und größerer Städte zurück, klagende Frauen, verwaiste Kinder, geschlagene, aufgehängte und ermordete Männer. Er kehrte um, erlebte die Unrast auf der Flucht vor dem Feind, nahm Rache im letzten Augenblick an vermeintlichen Verrätern, zerstörte Brücken, Straßen, Eisenbahnen, gehorchte und befahl, und alles mit gleicher Lust. Er war der mutigste Offizier in seinem Regiment. Patrouillen führte er mit der Vorsicht und Schlauheit, mit der die nächtlichen Raubtiere auf Beute ausgehn, und mit der zuversichtlichen Kühnheit eines törichten


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