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Joseph Fouché. Stefan ZweigЧитать онлайн книгу.

Joseph Fouché - Stefan Zweig


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und niederschmetternden Selbstverständlichkeit geht er geradeswegs zum bisherigen Gegner über und übernimmt all dessen Worte und Argumente. Was die einstigen Parteifreunde von ihm meinen und reden, was die Menge, die Öffentlichkeit denkt, läßt ihn vollständig kalt. Wichtig bleibt ihm nur eins, immer beim Sieger, niemals bei den Besiegten zu sein. In der Blitzartigkeit dieser Umkehr, im maßlosen Zynismus seiner Charakterumstellung bewährt er ein Maß Frechheit, das unwillkürlich betäubt und zur Bewunderung zwingt. Ihm genügen vierundzwanzig Stunden, oft nur eine Stunde, oft nur eine Minute, um blank die Fahne seiner Überzeugung wegzuwerfen und eine andere rauschend zu entrollen. Er geht nicht mit einer Idee, sondern geht mit der Zeit, und je rascher sie rennt, desto geschwinder wird er ihr nachlaufen. Er weiß, seine Wähler zu Nantes werden empört sein, wenn sie morgen im »Moniteur« sein Votum lesen. So gilt es, sie zu überrennen, statt zu überzeugen. Und mit jener blitzhaften Kühnheit, mit jener Frechstirnigkeit, die in solchen Sekunden ihm beinahe einen Schein von Größe gibt, wartet er diese Empörung gar nicht ab, sondern kommt dem Angriff durch eine Attacke zuvor. Einen Tag schon nach der Abstimmung läßt Fouché ein Manifest drucken, in dem er donnernd als innerste Überzeugung proklamiert, was in Wahrheit ihm die Furcht vor parlamentarischer Mißgunst eingegeben: er will seinen Wählern nicht Zeit lassen, zu denken und nachzurechnen, sondern mit rasch zustoßender Brutalität sie terrorisieren und einschüchtern.

      Marat und die hitzigsten Jakobiner können nicht blutrünstiger schreiben, als dieser gestern noch Gemäßigte an seine bravbürgerlichen Wähler: »Die Verbrechen des Tyrannen sind sichtbar geworden und haben alle Herzen mit Empörung erfüllt. Wenn sein Kopf nicht sofort unter dem Schwerte fällt, dürfen alle Räuber und Mörder erhobenen Hauptes dahingehen, und das furchtbarste Chaos würde uns bedrohen. Die Zeit ist für uns und gegen alle Könige der Erde.« So proklamiert derselbe die Hinrichtung als unumgängliche Notwendigkeit, der am Tag zuvor noch ein wahrscheinlich ebenso überzeugtes Manifest gegen die Hinrichtung in der Rocktasche bereit hielt.

      Und tatsächlich, der kluge Rechner hat richtig kalkuliert. Selber Opportunist, kennt er die unwiderstehliche Fallkraft der Feigheit; er weiß, daß in allen politischen Massenaugenblicken Kühnheit der entscheidende Nenner aller Berechnung ist. Er behält recht: die braven konservativen Bürger ducken sich ängstlich vor diesem frechen, unvermuteten Manifest; verwirrt und verlegen beeilen sie sich, ihre Zustimmung zu einer Entscheidung zu geben, der sie innerlich auch nicht im entferntesten zustimmen. Keiner wagt zu widersprechen. Und seit jenem Tage hat Joseph Fouché den harten und kalten Hebel in der Hand, mit dem er die schwersten Krisen bewältigt: die Verachtung der Menschen.

      Von diesem Tage an, vom 16. Januar, wählt (bis auf weiteres) das Charakterchamäleon Joseph Fouché die rote Farbe, der Gemäßigte wird über Nacht Erzradikaler und Ultraterrorist. Mit einem Sprung ist er hinüber zu seinen Gegnern, und innerhalb der einstigen Gegner reiht er sich sofort auf den äußersten, den linksten, den radikalsten Flügel. Mit einer unheimlichen Geschwindigkeit redet sich dieser kalte Geist, dieser nüchterne Schreibstubenmensch, um nur ja hinter den andern nicht zurückzubleiben, in den blutrünstigen Jargon der Terroristen hinein. Er stellt scharfe Anträge gegen die Emigrierten, gegen die Priester; er hetzt, er donnert, er tobt, er massakriert mit Worten und Gesten. Eigentlich könnte er jetzt wieder Freundschaft schließen mit Robespierre und sich an dessen Seite setzen. Aber dieser unbestechliche, dieser protestantisch harte Gewissensmensch liebt die Renegaten nicht; doppelt mißtrauisch wendet er sich von dem Überläufer ab, dessen lärmender Radikalismus ihm noch verdächtiger erscheint als seine frühere Lauheit.

      Fouché spürt mit seinem geschärften atmosphärischen Sinn die Gefahr solcher Überwachung, er sieht kritische Tage heranziehen. Noch hängt ein Gewitter über der Versammlung, schon zeichnen sich die tragischen Kämpfe zwischen den Führern der Revolution, zwischen Danton und Robespierre, zwischen Hébert und Desmoulins am politischen Horizonte ab; man müßte sich innerhalb des Radikalismus abermals entscheiden, und Fouché liebt nicht, sich festzulegen, ehe das Bekenntnis gefahrlos und einträglich wird. Er weiß, daß es Situationen in schicksalshaften Zeiten gibt, die ein Diplomat am klügsten bemeistert, indem er ihnen ausweicht. So zieht er es vor, die politische Arena des Konvents während des Kampfes zu verlassen und sie erst wieder zu betreten, wenn das Ringen entschieden ist. Für solchen Rückzug gibt es jetzt glücklicherweise einen ehrenvollen Vorwand, denn der Konvent wählt zweihundert Delegierte aus seiner Mitte, damit sie in den Landbezirken die Ordnung aufrecht erhalten. Fouché, der sich in der vulkanischen Atmosphäre des Sitzungssaales nicht wohl fühlt, bemüht sich sofort darum, weggeschickt zu werden, und er wird gewählt. Eine Atempause ist ihm gegönnt. Mögen sie inzwischen miteinander kämpfen und einer den anderen erledigen, mögen sie Raum schaffen, die Leidenschaftlichen, für den Ehrgeizigen! Nur jetzt nicht dabei sein, nicht Partei ergreifen zwischen den Parteien! Ein paar Monate, ein paar Wochen sind viel für jene Zeit, da die Weltuhr rasend rennt. Wird er wiederkehren, so ist die Entscheidung schon gefallen, und er kann dann geruhig und gefahrlos an die Seite des Siegers treten, zu seiner ewigen Partei: zur Majorität.

      Die Geschichte der Provinz wird im allgemeinen wenig beachtet in der Französischen Revolution. Alle Darstellungen starren gleichsam auf das Zifferblatt von Paris, wo einzig der Gang der Stunde sichtbar wird. Aber das Pendelgewicht, das ihren Gang regelt, ruht im Lande und bei den Armeen. Paris ist nur das Wort, die Initiative, der Antrieb, – das riesige Land aber die Tat und die entscheidend fortwirkende Kraft. Rechtzeitig hat der Konvent erkannt, daß das Tempo der Revolution in der Stadt und jenes auf dem Lande nicht recht zusammenstimmen: die Menschen im Dorfe, in den Weilern und Gebirgen denken nicht so schnell wie die der Hauptstadt, sie saugen viel langsamer und vorsichtiger die Ideen in sich auf und verarbeiten sie in ihrem eigenen Sinn. Was im Konvent in einer Stunde Gesetz wird, sickert nur langsam und tropfenweise hinein in das flache Land, meist schon verfälscht und verwässert von den royalistischen Provinzbeamten und der Geistlichkeit, den Menschen der alten Ordnung. Immer sind darum die Landbezirke um eine Weltstunde hinter Paris zurück. Herrschen im Konvent die Girondisten, so wählt das Land noch königstreu; triumphieren die Jakobiner, so nähert sich das Land erst geistig der Gironde. Vergebens dagegen alle pathetischen Dekrete, denn nur langsam und zaghaft bricht damals das gedruckte Wort sich Bahn bis in die Auvergne und die Vendee.

      So beschließt der Konvent, das lebende Wort in tätiger Gestalt in die Provinz zu schicken, um den Rhythmus der Revolution in ganz Frankreich zu beleben, dem zögernden und beinahe gegenrevolutionären Tempo der Landbezirke Schach zu bieten. Er wählt aus seiner eigenen Mitte zweihundert Abgeordnete, die seinen Willen vertreten sollen, und gibt ihnen fast unbeschränkte Gewalt. Wer die dreifarbige Schärpe und den roten Federhut trägt, hat diktatorische Rechte. Er kann Steuern einheben, Urteile fällen, Rekruten fordern, Generale absetzen: keine Behörde darf sich ihm widersetzen, der in seiner geheiligten Person symbolisch den Willen des ganzen Nationalkonvents darstellt. Seine Macht ist unbegrenzt wie einst die der Prokonsuln Roms, die in alle unterjochten Länder den Willen des Senats brachten; jeder ein Diktator, ein selbstherrlicher Gebieter, gegen dessen Entscheidung kein Appell gilt und keine Beschwerde.

      Ungeheuer ist die Macht dieser erlesenen Gesandten, aber ungeheuer auch ihre Verantwortung. Innerhalb ihres zugeteilten Reiches scheinen sie jeder ein König, ein Kaiser, ein unbeschränkter Autokrat. Aber hinter eines jeden Nacken glitzert die Guillotine, denn der Wohlfahrtsausschuß überwacht jede Beschwerde und fordert von jedem über seine Geldgebarung unbarmherzig genaue Rechenschaft. Wer nicht hart genug sich gezeigt, gegen den wird man hart sein; wer wiederum zu tollwütig sich gebärdet, hat gleichfalls Rache zu erwarten. Geht die Richtung dem Terror zu, so waren terroristische Maßnahmen die richtigen; neigt sich die Wage zur Milde, so sind sie ein Fehler gewesen. Scheinbar Herren eines ganzen Landes, sind sie doch alle Knechte des Wohlfahrtsausschusses, Untertan der Strömung der Stunde: darum schielen und horchen sie auch so unablässig zurück nach Paris, um, während sie über Tod und Leben schalten, ihres eigenen gewiß zu sein. Es ist kein leichtes Amt, das sie übernehmen. Genau wie die Generale der Revolution vor dem Feind, weiß ein jeder von ihnen, daß nur eins sie vor der blanken Klinge rettet und entschuldigt: der Erfolg.

      Die Stunde, da Fouché als Prokonsul abgesandt wird, gehört den Radikalen. So gebärdet sich Fouché in seinem Departement der Loire inférieure, in Nantes und Nevers und Moulins, wütend radikal. Er wettert gegen die Gemäßigten, er überschüttet das Land mit einem Schnellfeuer von Kundmachungen,


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