Ein Kind unserer Zeit. Ödön von HorváthЧитать онлайн книгу.
keine Teufel –
Halt! durchzuckt es mich. Was denkst du da?
»Keine Teufel?«
Ich muß lächeln.
Denn nun seh ichs wieder vor mir, das verwunschene Schloß. Die Fenster sind vergittert und die Drachen und Teufel, sie schauen heraus –
Ich muß immer lächeln.
Wenn ich auf sein werd – ja, dann geh ich mal wieder hin. Es kann nicht weit sein, denn dieses Krankenhaus liegt auch in der Nähe des Hafens, wo die fremden Schiffe liegen mit den gelben und schwarzen Matrosen. Vielleicht, wenn ich aus dem Fenster schauen könnt, daß ichs sogar erblicken würd, mein verwunschenes Schloß.
Aber das Fenster ist hoch und ich kann nur hinausschauen, wenn mich wer hebt, als wär ich wieder ganz klein.
Jaja, du sitzt noch immer auf dem Boden und bist drei Jahr, nicht älter.
»Es ist kalt«, das bleibt deine erste Erinnerung –
Wenn ich nur meinen Arm wieder hätt! Oh, wenn ich ihn nur wieder hätt! Man merkts erst, was man besessen, wenn mans verloren hat!
Hoffentlich find ich ihn wieder, meinen Arm –
Ich will ihn überall suchen, ich will die Splitter alle zusammenklauben und kunstvoll zusammensetzen, als wärs ein Kinderspiel –
»Er fiebert noch immer«, höre ich die Stimme meiner Schwester.
Ich möcht sie sehen –
Neben ihr steht der Arzt.
Er betrachtet mich nur und sagt: »Hm.«
Dann geht er wieder weiter –
In meinem Saal liegen noch siebzehn andere.
Lauter verwundete Freiwillige.
Ausgerichtet, Mann für Mann.
Manche dürfen schon aufstehen und spielen Karten. Oder Schach.
Einige sind bereits fast wieder ganz gesund.
Nur einem fehlt ein Bein. Der wird nimmer.
Zwei sind schon gestorben.
Der erste vor zehn Tagen, der zweite heut nacht.
Ich wachte plötzlich auf und sah, daß auf seinem Nachtkästchen Kerzen brennen. In der Mitte stand ein Kruzifix. Es war sehr still.
Schlafen denn alle?
Siehts denn keiner, nur ich?
Nein, alle hatten die Augen offen, aber sie rührten sich nicht. Es wurde immer stiller.
Die Schwester stand vor dem Nachtkästchen und betete. Und plötzlich mußt ich denken: jetzt steht dieser Freiwillige vor seinem höchsten Richter.
So hab ichs einst gelernt.
Und die Schwester betet für ihn. Sie bittet für seine unsterbliche Seele –
Was hat er denn angestellt?
Die dicke Schwester sagt zum Richter: »Bitte, sei ihm gnädig« –
Was hat er denn verbrochen?
Warum soll er denn gnädig sein, dein höchster Richter? Dieser brave Mann fiel doch für sein Vaterland, was will man denn noch von ihm?!
Er gab sein Leben, das genügt!
Denn was einer ansonsten privat sündigt, das wird alles ausradiert, wenn er für das ewige Leben seines Volkskörpers stirbt – merk dir das, Schwester!
Du betest noch immer?
He, bet lieber für mich, damit mein Arm wieder richtig wird, das wär gescheiter! Wart nur, du Dicke, ich werds dir schon noch auseinandersetzen bei passender Gelegenheit! –
Und die Gelegenheit kam. Nach wenigen Tagen. Die Dicke brachte Milch und Brot.
Der Arm ist nicht besser geworden.
»Schwester«, sage ich, »betens doch auch mal für mich, damit ich gesund werd.«
Sie horcht auf und sieht mich scharf an, aber nur einen Augenblick lang. Sagte ichs nicht fromm genug? Es war ja auch nicht ernst gemeint, denn ich wollte sie nur in Verlegenheit bringen – warum?
Aus Bosheit.
Ich glaube nicht daran, daß einem die Beterei was nützt, aber ich befleißigte mich, ernst dreinzuschauen.
»Ich bete immer für alle meine Kranken«, sagt sie und jetzt lächelt sie wieder wie immer: »Auch Sie laß ich nicht aus.«
»Und glauben Sie, daß ich gesund werde?«
»Das weiß man nicht.«
Ach so, denke ich und werde immer boshafter.
»Durch das Gebet kann man Gott nur bitten«, redet die Schwester weiter, »aber ob Er einen erhört, dafür kann niemand gutstehen, weil man ja als einfacher Sterblicher die Zusammenhänge nicht kennt.«
»Was für Zusammenhänge?«
»Gott weiß alles, hört alles und läßt keinen einzigen aus den Augen, Tag und Nacht, denn Er hat mit jedem etwas vor.«
»Mit jedem einzelnen?«
Sie sieht mich groß an.
»Natürlich«, sagt sie, »und die Hauptsache ist, daß man Seine Gebote befolgt. Sie haben sie vergessen – nicht?«
Seine Gebote?
Ich starre sie an. Sie fragt mich so mild, als würd sie es gar nicht wundern. Da steht sie dick und sicher vor mir und ihre Zufriedenheit wird mir unangenehm.
Sie verwirrt mich.
»Natürlich kenne ich seine Gebote«, sage ich und muß leicht grinsen, »zum Beispiel: liebe deine Feinde –«
»Ja«, fällt sie mir ins Wort und wird plötzlich sehr ernst, fast streng. »Liebe deine Feinde, aber hasse den Irrtum.«
Den Irrtum?
Ich horche auf.
Jetzt lächelt sie wieder, als hätt sie nichts gesagt.
Sie nickt mir nur zu – freundlich, sehr freundlich –
Der Arzt kommt.
Er tritt an mein Bett.
Und ich frage ihn: »Herr Doktor, wie stehts mit meinem Arm?«
Er schneidet ein saures Gesicht und gibt keine Antwort.
Dann geht er wieder weiter –
Ich sehe ihm nach und bekomme plötzlich Angst, schreckliche Angst.
Die Schwester steht noch neben mir.
Sie beobachtet mich.
Ich möchte weinen, aber ich beiß nur die Zähne zusammen.
Ich schließ die Augen und es flimmert vor mir.
Alles ist durcheinander –
Ich werd immer schwächer.
Es flimmert, es flimmert!
Mir scheint, mein Arm wird nimmer –
Das Durcheinander kreist um mein Bett und aus dem Kreise tritt ein Hügel.
Ein sanfter Hügel.
Auf dem Hügel steht ein Engel.
Er wartet auf mich und hält meinen Arm in der linken Hand.
In der rechten trägt er ein Schwert.
Die Blumen blühen, aber es ist bitter kalt.
Und ich muß denken, ich werde Gott fragen, warum es so kalt ist.
Denn man kann ja auch mit Gott reden, fällt es mir ein.
Ich erinner mich immer deutlicher, daß man ihm etwas