Das Blei der Bosse: Zwei Kriminalromane. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
von der Westküste? Das schien ja insgesamt gesehen eine halbe Armee zu sein. Und ein neuer Boss, der hier die Initiative ergriffen und als erstes diese Falle für uns geschaffen hatte? Vielleicht ebenfalls von der Westküste?
"Verdammt, was geht hier vor?", murmelte Milo an meiner Seite, was bewies, dass er ähnliche Gedanken hegte.
Waren das so eine Art Söldner?
Wenn ja, war das hier die erste große Niederlage in ihrem Leben. Denn keiner von ihnen war jemals zuvor mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Wenigstens offiziell nicht. Es gab nicht den mindesten Fahndungshinweis, wie wir uns überzeugten. Auch gegen die Blondine lag offiziell nichts vor.
Sie war im übrigen die einzige Frau bei der ganzen Aktion gewesen. Und sie war mehr als nur ein Blickfang oder Lockvogel. Schließlich hatte sie sich ja zur Wortführerin gemacht.
FBI-Pilot John Turner kam mit dem FBI-Hubschrauber, einer sechssitzigen Hughes Cayuse. Mister Jonathan D. McKee, unser Chef, saß darin. Nach dem, was hier gelaufen war, bemühte er sich persönlich. Das war nur logisch.
Milo und ich erstatteten ihm Bericht. Er hörte sich alles mit ernstem Gesicht an.
"Ich habe die Vorführung des Reedereibesitzers bereits veranlasst", berichtete er nun seinerseits. "Schon nach dem ersten Schusswechsel. Es ist schließlich interessant zu erfahren, wieso sich die Gangster auf seinem Schiff so ungestört einrichten konnten. Oder habt ihr irgendwelche überwältigten Wachen gefunden?"
Wir verneinten.
Auch wir hatten uns schon über diese Tatsache gewundert. Der Reedereibesitzer war uns eine Erklärung schuldig. Das war ja wohl das mindeste.
Nicht nur, dass die Gangster hier ungehindert hatten agieren können, sogar mit einem tragbaren Granatwerfer. Sie hätten sogar das ganze Schiff entführen können. Soweit mir bekannt war, ging das nur, wenn man den Code vom Bordcomputer kannte, und der wurde täglich gewechselt.
Ohne den Bordcomputer wäre es nicht möglich gewesen, ein so großes Schiff praktisch mit zwei Leuten zu bedienen. Der Rest der Besatzung wurde lediglich als Reserve und für Wartungsarbeiten gebraucht. So kam es, dass moderne Ozeanriesen nur höchstens dreißig bis vierzig Besatzungsmitglieder hatten. Je nach Fracht, die zu befördern war. Die meisten Besatzungsmitglieder waren sowieso für Wartungs- und Reparaturarbeiten bestimmt. Und auf Passagierschiffen waren echte Seeleute sozusagen die Ausnahme. Das meiste Personal bestand da aus Stewardessen und Stewards...
Wir hatten es nicht versäumt, unserem Chef auch unseren Verdacht mitzuteilen, betreffend die Leute von der Westküste. Er verlangte daraufhin, persönlich die Blondine zu sehen.
Wir hatten uns im unbeschädigten Teil des Restaurants vorläufig eingerichtet, während die Kollegen von der Spurensicherung schon dabei waren, das ganze Schiff ein zweites Mal auf den Kopf zu stellen. Eine reine Routineangelegenheit. Wir glaubten nicht wirklich, dass es großartig Anhaltspunkte bringen würde.
Blondy war nicht abtransportiert worden. Wir teilten die Auffassung vom Chef, dass sie in dieser Sache eine besondere Rolle spielte. Und deshalb war sie für uns auch von besonderer Bedeutung.
Sie erwies sich zunächst als nicht weniger verstockt als ihre Kumpane.
Wir beschäftigten uns trotzdem mit ihr, nicht nur, um die Minuten zu überbrücken, bis der Reedereibesitzer endlich hier eintraf. Man hatte ihn aus dem Bett holen müssen. Deshalb dauerte das anscheinend so lange.
Mister Jonathan D. McKee überließ uns das Verhör von Blondy. Er hielt sich zurück und beobachtete nur.
Und dann taute sie tatsächlich vorübergehend etwas auf: "In wessen Auftrag ist die Aktion gegen uns abgelaufen?", fragte Milo zum wiederholten Mal.
"Finde es heraus, G-man!", riet sie ihm und grinste ihn frech an. Und sie fügte hinzu: "Ihr habt einen großen Fehler gemacht, ihr beiden. Hättet ihr aufgegeben, wäret ihr jetzt einen entscheidenden Schritt weiter: Ihr würdet längst vor dem Boss stehen und könntet ihm die Fragen alle selber stellen. Aber ihr wolltet es ja unbedingt anders. Die Einladung war für euch beide so etwas wie eine besondere Ehre. Ihr habt euch deren nicht als würdig erwiesen. Im Nachhinein muss ich sagen: Es wäre besser gewesen, euch gleich umzulegen, schon als ihr auf das Pier gekommen seid. Die Schützen hatten euch immer wieder kurz im Visier, obwohl ihr so vorsichtig getan habt. Man hat Rücksicht auf euch genommen. Und jetzt das..."
"Ihnen ist es anscheinend egal, was aus Ihnen wird?"
"Das nicht gerade, aber ich sagte bereits, das eigentliche Finale steht euch noch bevor. Bei dir wird es noch ziemlich schnell gehen, Milo Tucker. Du bist dem Boss nicht ganz so wichtig. Aber ich möchte nicht in der Haut von Jesse Trevellian stecken. Dass es euch so vortrefflich gelungen ist, den Spieß umzudrehen und das Ganze zur Falle für meine Leute werden zu lassen, wird ihn nur noch wütender machen."
"Deine Leute?", echote Milo. "Dann warst du so eine Art Leiterin der Aktion? Ich weiß nicht, auf wen dein Boss jetzt wütender ist: auf Jesse oder auf dich...?"
Sie wechselte die Farbe.
Dann sprang sie auf. "Verdammt, G-men, ich sage jetzt überhaupt nichts mehr. Ihr begreift das sowieso nicht. Ihr reißt hier gewaltig das Maul auf, aber ihr seid tot, praktisch schon tot."
"Ich kann ja seinen Zorn gut verstehen", fuhr Milo ungerührt fort. "Ihr habt das ziemlich stümperhaft angestellt, sonst wäre es nicht ganz so gründlich ins Auge gegangen. Dabei wollte er alles besser machen als die anderen, nicht wahr? Dir gab er die Chance zur Durchführung, und du hast diese Chance gründlich versiebt."
Milo wollte nur auf den Busch klopfen, mehr nicht. Die einzigen echten Anhaltspunkte, die wir hatten, waren Gangster mit Slang von der Westküste. Dann die erste Aktion, bei der wir unmittelbar Zielobjekte waren, was vielleicht eine neue Führung vermuten ließ. Schließlich eine Blondine, die sich bis jetzt für sehr clever gehalten hatte und von diesem Glauben nur ungern Abschied nahm. Insgesamt gesehen eigentlich eher dürftig.
Aber die Reaktionen der Blondinen schienen zu beweisen, dass Milo haargenau ins Schwarze getroffen hatte.
Mehr war durch sie allerdings nicht mehr zu erfahren.
Auch Mister Jonathan D. McKee schien zur Auffassung zu kommen, dass eine Fortführung des Verhörs nur noch Zeitverschwendung war. Auf sein Zeichen hin ließen wir die Blondine von Kollegen abführen.
Ein anderer Kollege kam und berichtete uns, dass der Lieferwagen erst kurz vor der Aktion bei der betreffenden Firma gestohlen worden war. Die Leute von der Firma hatten das noch gar nicht bemerkt.
Und dann kam endlich der Reeder.
Bevor er vorgeführt wurde, kam mir eine Idee: "Vielleicht ist es besser, ich halte mich im Hintergrund?"
Der Chef und Milo schauten mich an.
Ich begründete meinen Vorschlag: "Der Reedereibesitzer kennt mich nicht. Es könnte von Vorteil sein, wenn es so bleibt."
Mister Jonathan D. McKee vertraute meiner Intuition. Er nickte nur. Ich zog mich soweit zurück, dass ich die folgende Befragung einigermaßen mitverfolgen konnte, ohne von dem Reedereibesitzer gesehen zu werden.
7
Gil Mandozzi rechnete mit allem, als er zum Boss von der Westküste gerufen wurde. Er hatte inzwischen erfahren, dass die Sache am Pier gehörig misslungen war. Jesse Trevellian war wieder einmal als Sieger hervorgegangen. Und das, obwohl Chester Finish großspurig versprochen hatte, alles besser zu machen.
Genau genommen, war dies sogar die größte Niederlage geworden, seit Jesse Trevellian dem Waffenschmuggel auf die Spur gekommen war. Zwar hielt sich der materielle Verlust in Grenzen, aber dafür hatte es jede Menge personellen Ausfall gegeben.
Er dachte an die Szene zurück, als Finish ihren alten Boss Glenn T. Silver vor aller Augen einfach niedergeknallt hatte. Ein furchtbares Erlebnis, das noch allen in den Knochen steckte. Und als er die Tür zum Büro erreichte, erwartete er schon, dahinter in die Mündung