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Franz Kafka – Das Schloss. Franz KafkaЧитать онлайн книгу.

Franz Kafka – Das Schloss - Franz Kafka


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      K. horchte auf. Das Schloss hatte ihn also zum Landvermesser ernannt. Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, dass man im Schloss alles Nötige über ihn wusste, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies seiner Meinung nach, dass man ihn unterschätzte und dass er mehr Freiheit haben würde, als er hätte von vornherein hoffen dürfen. Und wenn man glaubte, durch diese geistig gewiss überlegene Anerkennung seiner Landvermesserschaft ihn dauernd in Schrecken halten zu können, so täuschte man sich; es überschauerte ihn leicht, das war aber alles.

      Dem sich schüchtern nähernden Schwarzer winkte K. ab; ins Zimmer des Wirtes zu übersiedeln, wozu man ihn drängte, weigerte er sich, nahm nur vom Wirt einen Schlaftrunk an, von der Wirtin ein Waschbecken mit Seife und Handtuch und musste gar nicht erst verlangen, dass der Saal geleert werde, denn alles drängte mit abgewendeten Gesichtern hinaus, um nicht etwa morgen von ihm erkannt zu werden. Die Lampe wurde ausgelöscht und er hatte endlich Ruhe. Er schlief tief, kaum ein-, zweimal von vorüberhuschenden Ratten gestört, bis zum Morgen.

      Nach dem Frühstück, das nach Angabe des Wirts, wie überhaupt K.s ganze Verpflegung, vom Schloss bezahlt werden sollte, wollte er gleich ins Dorf gehn. Aber da der Wirt, mit dem er bisher in Erinnerung an sein gestriges Benehmen nur das Notwendigste gesprochen hatte, mit stummer Bitte sich immerfort um ihn herumdrehte, erbarmte er sich seiner und ließ ihn für ein Weilchen sich niedersetzen.

      „Ich kenne den Grafen noch nicht“, sagte K., „er soll gute Arbeit gut bezahlen, ist das wahr? Wenn man, wie ich, so weit von Frau und Kind reist, dann will man auch etwas heimbringen.“

      „In dieser Hinsicht muss sich der Herr keine Sorge machen, über schlechte Bezahlung hört man keine Klage.“

      „Nun“, sagte K., „ich gehöre ja nicht zu den Schüchternen und kann auch einem Grafen meine Meinung sagen, aber in Frieden mit den Herren fertig zu werden, ist natürlich weit besser.“

      Der Wirt saß K. gegenüber am Rand der Fensterbank, bequemer wagte er sich nicht zu setzen und sah K. die ganze Zeit mit großen braunen, ängstlichen Augen an. Zuerst hatte er sich an K. herangedrängt, und nun schien es, als wolle er am liebsten weglaufen. Fürchtete er, über den Grafen ausgefragt zu werden? Fürchtete er die Unzuverlässigkeit des „Herrn“, für den er K. hielt? K. musste ihn ablenken. Er blickte auf die Uhr und sagte: „Nun werden bald meine Gehilfen kommen, wirst du sie hier unterbringen können?“

      „Gewiss, Herr“, sagte er, „werden sie aber nicht mit dir im Schlosse wohnen?“

      Verzichtete er so leicht und gern auf die Gäste und auf K. besonders, den er unbedingt ins Schloss verwies?

      „Das ist noch nicht sicher“, sagte K., „erst muss ich erfahren, was für eine Arbeit man für mich hat. Sollte ich z. B. hier unten arbeiten, dann wird es auch vernünftiger sein, hier unten zu wohnen. Auch fürchte ich, dass mir das Leben oben im Schlosse nicht zusagen würde. Ich will immer frei sein.“ „Du kennst das Schloss nicht“, sagte der Wirt leise.

      „Freilich“, sagte K., „man soll nicht verfrüht urteilen. Vorläufig weiß ich ja vom Schloss nichts weiter, als dass man es dort versteht, sich den richtigen Landvermesser auszusuchen. Vielleicht gibt es dort noch andere Vorzüge.“ Und er stand auf, um den unruhig seine Lippen beißenden Wirt von sich zu befreien. Leicht war das Vertrauen dieses Mannes nicht zu gewinnen.

      Im Fortgehen fiel K. an der Wand ein dunkles Porträt in einem dunklen Rahmen auf. Schon von seinem Lager aus hatte er es bemerkt, hatte aber in der Entfernung die Einzelheiten nicht unterscheiden können und geglaubt, nur einen schwarzen Rückendeckel zu sehn. Aber es war doch ein Bild, wie sich jetzt zeigte, das Brustbild eines etwa 50jährigen Mannes. Den Kopf hielt er so tief auf die Brust gesenkt, dass man kaum etwas von den Augen sah, entscheidend für die Senkung schien die hohe lastende Stirn und die starke hinabgekrümmte Nase. Der Vollbart, infolge der Kopfhaltung am Kinn eingedrückt, stand weiter unten ab. Die linke Hand lag gespreizt in den vollen Haaren, konnte aber den Kopf nicht mehr heben. „Wer ist das?“ fragte K., „Der Graf?“ K. stand vor dem Bild und blickte sich gar nicht nach dem Wirt um. „Nein“, sagte der Wirt, „der Kastellan.“ „Einen schönen Kastellan haben sie im Schloss, das ist wahr“, sagte K., „schade, dass er einen so missratenen Sohn hat.“ „Nein“, sagte der Wirt, zog K. ein wenig zu sich herunter und flüsterte ihm ins Ohr: „Schwarzer hat gestern übertrieben, sein Vater ist nur ein Unterkastellan und sogar einer der letzten.“ In diesem Augenblick kam der Wirt K. wie ein Kind vor. „Der Lump!“ sagte K. lachend, aber der Wirt lachte nicht, sondern sagte: „Auch sein Vater ist mächtig.“ „Geh“, sagte K. „du hältst jeden für mächtig. Mich etwa auch?“ „Dich“, sagte er schüchtern, aber ernsthaft, „halte ich nicht für mächtig.“ „Du verstehst aber doch recht gut zu beobachten“, sagte K., „mächtig bin ich nämlich im Vertrauen gesagt wirklich nicht. Und habe infolgedessen vor den Mächtigen wahrscheinlich nicht weniger Respekt als du, nur bin ich nicht so aufrichtig wie du und will es nicht immer eingestehen.“ Und K. klopfte dem Wirt, um ihn zu trösten und sich geneigter zu machen, leicht auf die Wange. Nun lächelte er doch ein wenig. Er war wirklich ein Junge mit seinem weichen, fast bartlosem Gesicht. Wie war er zu seiner breiten, ältlichen Frau gekommen, die man nebenan hinter einem Querfenster, weit die Ellbogen vom Leib, in der Küche hantieren sah. K. wollte aber jetzt nicht mehr weiter in ihn drängen, das endlich bewirkte Lächeln nicht verjagen. Er gab ihm also nur noch einen Wink, ihm die Tür zu öffnen, und trat in den schönen Wintermorgen hinaus.

      Nun sah er oben das Schloss deutlich umrissen in der klaren Luft und noch deutlicher durch den alle Formen nachbildenden, in dünner Schicht überall liegenden Schnee. Übrigens schien oben auf dem Berg viel weniger Schnee zu sein als hier im Dorf, wo sich K. nicht weniger mühsam vorwärts brachte als gestern auf der Landstraße. Hier reichte der Schnee bis zu den Fenstern der Hütten und lastete gleich wieder auf dem niedrigen Dach, aber oben auf dem Berge ragte alles frei und leicht empor, wenigstens schien es so von hier aus.

      Im Ganzen entsprach das Schloss, wie es sich hier von der Ferne zeigte, K.s Erwartungen. Es war weder eine alte Ritterburg, noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewusst, dass es ein Schloss ist, hätte man es für ein Städtchen halten können. Nur einen Turm sah K., ob er zu einem Wohngebäude oder einer Kirche gehörte, war nicht zu erkennen. Schwärme von Krähen umkreisten ihn.

      Die Augen auf das Schloss gerichtet, ging K. weiter, nichts sonst kümmerte ihn. Aber im Näherkommen enttäuschte ihn das Schloss, es war doch nur ein recht elendes Städtchen, aus Dorfhäusern zusammengetragen, ausgezeichnet nur dadurch, dass vielleicht alles aus Stein gebaut war, aber der Anstrich war längst abgefallen und der Stein schien abzubröckeln. Flüchtig erinnerte sich K. an sein Heimatstädtchen. Es stand diesem angeblichen Schlosse kaum nach, wäre es K. nur auf die Besichtigung angekommen, dann wäre es schade um die lange Wanderschaft gewesen und er hätte vernünftiger gehandelt, wieder einmal die alte Heimat zu besuchen, wo er schon so lange nicht gewesen war. Und er verglich in Gedanken den Kirchturm der Heimat mit dem Turm dort oben. Jener Turm, bestimmt, ohne Zögern geradewegs nach oben sich verjüngend, breitdachig, abschließend mit roten Ziegeln, ein irdisches Gebäude – was können wir anderes bauen? – aber mit höherem Ziel als das niedrige Hausvergemenge und mit klarerem Ausdruck, als ihn der trübe Werktag hat. Der Turm hier oben – es war der einzige sichtbare – der Turm eines Wohnhauses, wie sich jetzt zeigte, vielleicht des Hauptschlosses, war ein einförmiger Rundbau, zum Teil gnädig von Efeu verdeckt, mit kleinen Fenstern, die jetzt in der Sonne aufstrahlten, etwas Irrsinniges hatte das, und einem söllerartigen Abschluss, dessen Mauerzinnen unsicher, unregelmäßig, brüchig, wie von ängstlicher oder nachlässiger Kinderhand gezeichnet, sich in den blauen Himmel zackten. Es war, wie wenn ein trübseliger Hausbewohner, der gerechterweise im entlegensten Zimmer des Hauses sich hätte eingesperrt halten sollen, das Dach durchbrochen und sich erhoben hätte, um sich der Welt zu zeigen.

      Wieder stand K. still, als hätte er im Stillestehen mehr Kraft des Urteils. Aber er wurde gestört. Hinter der Dorfkirche, bei der er stehengeblieben war – es war eigentlich nur


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