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Das Geld. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Das Geld - Emile Zola


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um die Rechnung für die Wäscherei niedrig zu halten; ein bißchen verlesenes Gemüse bildete die Abendmahlzeit, das Brot ließ man auf einem Brett altbacken werden, um weniger davon zu essen; da gab es alle möglichen Kniffe der Sparsamkeit, unscheinbar und rührend: der alte Kutscher nähte wieder und wieder die durchlöcherten Stiefelchen des Fräuleins, die Köchin schwärzte die Fingerspitzen der allzu abgetragenen Handschuhe der gnädigen Frau mit Tinte, die Kleider der Mutter gingen nach geschickt ersonnenen Umarbeitungen auf die Tochter über, und die Hüte überdauerten dank den ausgetauschten Blumen und Bändern Jahre. Wenn niemand erwartet wurde, waren die Empfangssalons im Erdgeschoß sowie die großen Räume im ersten Stockwerk sorgfältig verschlossen, denn von der ganzen weitläufigen Wohnung bewohnten die beiden Frauen nur noch ein schmales Zimmer, das sie zu ihrem Eßzimmer und Boudoir gemacht hatten. Wenn das Fenster etwas offenstand, konnte man die Gräfin wie eine arme kleine Bürgersfrau beim Wäscheausbessern sehen, während das junge Mädchen zwischen seinem Klavier und seinem Wasserfarbenkasten Strümpfe und Fäustlinge für die Mutter strickte. Eines Tages, als ein starkes Gewitter tobte, sah man die beiden im Garten, wie sie den Sand zusammenschaufelten, den der heftige Regen weggespült hatte.

      Jetzt kannte Frau Caroline ihre Geschichte. Die Gräfin Beauvilliers hatte unter ihrem Gatten, der ein Wüstling war, viel gelitten, sich aber nie beklagt. In Vendôme hatte man ihn ihr eines Abends röchelnd, mit einer Kugel im Leib, ins Haus gebracht. Man sprach von einem Jagdunfall: irgendein Schuß von einem eifersüchtigen Forstaufseher, dessen Frau oder Tochter er genommen hatte. Und das schlimmste war, daß mit ihm das einst riesige Vermögen der Beauvilliers dahingeschwunden war, unermeßliche Ländereien, wahrhaft königliche Güter, die schon vor der Revolution zusammengeschrumpft waren und die sein Vater und er vollends durchgebracht hatten. Von dem gesamten großen Grundbesitz blieb ein einziger Pachthof, Les Aublets, einige Meilen von Vendôme entfernt, der an die fünfzehntausend Francs Jahreszinsen einbrachte, die einzige Hilfsquelle der Witwe und ihrer beiden Kinder. Das Palais in der Rue de Grenelle war längst verkauft worden, das Haus in der Rue Saint-Lazare verschlang den größten Teil der fünfzehntausend Francs aus dem Pachthof, denn es war mit Hypotheken überlastet und von der Versteigerung bedroht, wenn die Zinsen nicht bezahlt wurden; es blieben kaum noch sechs- oder siebentausend Francs für den Unterhalt von vier Personen, für die Lebenshaltung einer adligen Familie, die nicht abdanken wollte. Schon vor acht Jahren, als die Gräfin Witwe geworden war und mit einem zwanzigjährigen Sohn und einer siebzehnjährigen Tochter den Zusammenbruch ihres Hauses erlebte, hatte sie in ihrem Adelsstolz dem Schicksal Trotz geboten und sich geschworen, lieber von Wasser und Brot zu leben, als von ihrem Rang herabzusteigen. Seitdem hatte sie nur noch den einen Gedanken, ihre gesellschaftliche Stellung zu behaupten, ihre Tochter mit einem Mann von gleichem Adel zu verheiraten, aus ihrem Sohn einen Soldaten zu machen. Ferdinand hatte ihr zunächst durch ein paar Jugendtorheiten, Schulden, die bezahlt werden mußten, übermäßige Sorgen bereitet; aber nachdem er in einer feierlichen Unterredung über ihre Lage unterrichtet worden war, hatte er nicht wieder angefangen. Denn im Grunde besaß er ein zärtliches Gemüt, war einfach nur müßig und unbedeutend, wurde aus jedem Amt abgeschoben und fand keinen annehmbaren Platz in der heutigen Gesellschaft. Jetzt, als Soldat des Papstes, gab er ihr immer noch Anlaß zu heimlicher Angst, denn er war von schwächlicher Gesundheit und trotz seines stolzen Äußeren empfindlich; bei seiner Blutarmut war das römische Klima gefährlich für ihn. Was Alices Heirat betraf, so wollte und wollte sie sich nicht anbahnen, und der traurigen Mutter standen die Augen voller Tränen, wenn sie ihre schon gealterte Tochter anschaute, die im Warten dahinwelkte. Trotz ihres schwermütigen und unscheinbaren Aussehens war sie keineswegs einfältig, sie sehnte sich glühend nach dem Leben, nach einem Mann, der sie lieben würde, nach Glück; doch weil sie die Familie nicht noch mehr betrüben wollte, tat sie so, als hätte sie auf alles verzichtet, machte sich über die Ehe lustig und sagte, daß sie berufen sei, eine alte Jungfer zu werden. Nachts aber schluchzte sie in ihr Kopfkissen und glaubte vor Schmerz über ihr Alleinsein sterben zu müssen. Die Gräfin hatte es durch die Wunder ihres Geizes immerhin geschafft, zwanzigtausend Francs beiseite zu legen, Alices ganze Mitgift; desgleichen hatte sie aus dem Schiffbruch einige Schmuckstücke gerettet, ein Armband, Fingerringe und Ohrringe, die etwa zehntausend Francs wert waren – eine sehr magere Mitgift, ein Brautgeschenk, von dem sie nicht einmal zu sprechen wagte, da es kaum für die ersten Ausgaben langen würde, wenn der erwartete Ehemann vorstellig werden sollte. Und doch wollte sie nicht verzweifeln, sondern kämpfte weiter, gab keines der Vorrechte ihrer Geburt auf, war noch immer vornehm und angemessen reich und hielt es für unter ihrer Würde, zu Fuß auszugehen oder am Empfangsabend ein Zwischengericht weniger zu reichen. Dafür knauserte sie in ihrem verborgenen Leben, verurteilte sich wochenlang dazu, Kartoffeln ohne Butter zu essen, um der doch nie ausreichenden Mitgift der Tochter fünfzig Francs hinzuzufügen. Tagtäglich erlegte sie sich diesen schmerzlichen und kindischen Heldenmut auf, während über ihren Köpfen das Haus von Tag zu Tag immer mehr verfiel.

      Indessen hatte Frau Caroline bis dahin noch keine Gelegenheit gefunden, mit der Gräfin und ihrer Tochter zu sprechen. Mittlerweile kannte sie die intimsten Einzelheiten aus ihrem Leben, Einzelheiten, die die Beauvilliers vor der ganzen Welt verborgen glaubten, doch sie hatten bislang nur Blicke getauscht, Blicke, die sich unbewußt in ein plötzliches Gefühl der Zuneigung verwandeln können. Die Fürstin dʼOrviedo sollte sie einander näherbringen. Sie war auf den Gedanken gekommen, für ihr »Werk der Arbeit« eine Art Aufsichtskommission aus zehn Damen zu bilden, die wöchentlich zweimal zusammenkamen, das »Werk« eingehend in Augenschein nahmen und alle Abteilungen kontrollierten. Da sie sich vorbehielt, diese Damen selbst auszuwählen, hatte sie als eine der ersten Madame de Beauvilliers benannt, die früher eine ihrer besten Freundinnen gewesen und heute, da sie zurückgezogen lebte, einfach ihre Nachbarin geworden war. Und als die Aufsichtskommission plötzlich ohne Sekretärin war, hatte Saccard, der bei der Verwaltung des Hauses das große Wort führte, den Einfall, Frau Caroline als eine Mustersekretärin zu empfehlen, wie man sie nirgendwo anders finden könne. In der Tat war die Arbeit ziemlich mühselig, es gab viel Schreibereien, und man mußte manchmal sogar mit Hand anlegen, was diesen Damen ein wenig zuwider war; aber von Anfang an offenbarte sich Frau Caroline als eine bewundernswerte Hausmutter; ihre unbefriedigte Mutterschaft, ihre übermäßige Kinderliebe entfachten in ihr eine lebhafte Zärtlichkeit für alle diese armen Wesen, die man aus der Pariser Gosse zu retten versuchte. So war sie bei der letzten Kommissionssitzung der Gräfin Beauvilliers begegnet; die Gräfin hatte aber nur einen ziemlich kühlen Gruß an sie gerichtet, um ihre heimliche Verlegenheit zu verbergen, denn zweifellos spürte sie, daß sie in ihr eine Zeugin ihres Elends vor sich hatte. Jetzt grüßten sich beide, sooft ihre Augen sich trafen und es eine zu große Unhöflichkeit gewesen wäre, so zu tun, als kennte man sich nicht.

      Eines Tages beobachtete Frau Caroline wie gewöhnlich vom Fenster des großen Arbeitszimmers aus die Gräfin und deren Tochter bei ihrem Gang durch den Garten, während Hamelin einen Plan nach neuen Berechnungen berichtigte und Saccard daneben stand und ihm bei der Arbeit zusah. An jenem Morgen entdeckte sie an den Füßen der beiden Frauen Schuhe, die so abgetragen waren, daß nicht einmal eine Lumpensammlerin sie von der Straße aufgelesen hätte.

      »Ach, die armen Frauen!« murmelte sie. »Wie schrecklich muß diese Komödie des Luxus sein, die sie meinen spielen zu müssen!«

      Und sie trat zurück, verbarg sich hinter dem Vorhang, aus Furcht, die Mutter könnte sie bemerken und noch mehr darunter leiden, so belauert zu werden. Sie selbst hatte sich in den drei Wochen, die sie allmorgendlich an diesem Fenster verbrachte, beruhigt. Der große Kummer über ihre Verlassenheit schwand; es war, als ließe sie der Anblick des Unglücks anderer ihr eigenes Mißgeschick, diesen Zusammenbruch, von dem sie glaubte, er erfasse ihr ganzes Leben, mutiger ertragen. Erneut ertappte sie sich beim Lachen.

      Einen Augenblick noch folgte sie mit träumerischem Blick den beiden Frauen in dem von grünem Moos überwucherten Garten. Dann drehte sie sich lebhaft zu Saccard um.

      »Sagen Sie mir doch bloß, warum kann ich nicht traurig sein ... Nein, dies Gefühl hält bei mir nicht an, hat nie angehalten, ich kann nicht traurig sein, was mir auch zustößt ... Ob das wohl Egoismus ist? Aber nein, das glaube ich nicht. Das wäre zu häßlich, und wenn ich auch noch so fröhlich bin, so zerreißt es mir trotz allem das Herz beim Anblick des geringsten Schmerzes. Bringen Sie das unter einen Hut, ich bin fröhlich, und ich könnte


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