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Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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Ermordung des Herzogs von Enghien. Der Vicomte bemerkte, der Herzog von Enghien habe seinen Tod seiner eigenen Großmut zu verdanken und der Ingrimm Bonapartes gegen ihn habe seine besonderen Gründe gehabt.

      »Ach, bitte, erzählen Sie uns dieses, Vicomte!« sagte Anna Pawlowna erfreut; sie hatte dabei das Gefühl, daß der Ausdruck: »Erzählen Sie uns dieses, Vicomte!« wie eine Reminiszenz an Ludwig XV. klang.

      Der Vicomte verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams und lächelte höflich. Anna Pawlowna wirkte darauf hin, daß sich ein Kreis um den Vicomte bildete, und forderte alle auf, seine Erzählung anzuhören.

      »Der Vicomte ist mit dem Herzog persönlich bekannt gewesen«, flüsterte Anna Pawlowna dem einen zu. »Der Vicomte besitzt ein bewundernswürdiges Talent zum Erzählen«, sagte sie zu einem andern. »Wie man doch sofort einen Mann aus der guten Gesellschaft erkennt!« äußerte sie zu einem Dritten, und so wurde der Vicomte in der besten und für ihn vorteilhaftesten Beleuchtung der Gesellschaft präsentiert wie ein mit allerlei Gemüse garniertes Roastbeef auf einer heißen Schüssel.

      Der Vicomte wollte nun seine Erzählung beginnen und lächelte fein.

      »Kommen Sie doch hierher zu uns, liebe Helene«, sagte Anna Pawlowna zu der schönen Prinzessin, welche etwas entfernt saß und den Mittelpunkt einer anderen Gruppe bildete.

      Die Prinzessin Helene lächelte; sie erhob sich mit ebendemselben unveränderlichen Lächeln des vollkommen schönen Weibes, mit welchem sie in den Salon eingetreten war. Mit ihrem weißen Ballkleid, das mit Efeu und Moos garniert war, leise raschelnd und von dem weißen Schimmer ihrer Schultern und dem Glanz ihres Haares und ihrer Brillanten umleuchtet, ging sie zwischen den auseinandertretenden Herren hindurch. Sie blickte dabei keinen einzelnen an, lächelte aber allen zu und schien in liebenswürdiger Weise einem jeden das Recht zuzuerkennen, die Schönheit ihrer Gestalt, der vollen Schultern, des nach damaliger Mode sehr tief entblößten Busens und Rückens zu bewundern; es war, als ob sie in ihrer Person den vollen Glanz eines Balles in diesen Salon hineingetragen hätte. So schritt sie geradewegs zu Anna Pawlowna hin. Helene war so schön, daß an ihr auch nicht die leiseste Spur von Koketterie wahrzunehmen war; ja im Gegenteil, sie schien sich vielmehr gewissermaßen ihrer unbestreitbaren und allzu stark und siegreich wirkenden Schönheit zu schämen. Es war, als ob sie den Eindruck ihrer Schönheit abzuschwächen wünschte, es aber nicht vermöchte.

      »Welch ein schönes Weib!« sagte jeder, der sie sah. Gleichsam überrascht von etwas Ungewöhnlichem, zuckte der Vicomte zusammen und schlug die Augen nieder, als sie sich ihm gegenüber niederließ und auch ihn mit ebendemselben unveränderlichen Lächeln anstrahlte.

      »Ich fürchte wirklich, daß einer solchen Zuhörerschaft gegenüber mich meine Fähigkeit im Stich läßt«, sagte er und neigte lächelnd den Kopf.

      Die Prinzessin legte ihren entblößten vollen Arm auf ein Tischchen und fand es nicht nötig, etwas zu erwidern. Sie wartete lächelnd. Während der ganzen Erzählung saß sie aufrecht da und blickte ab und zu bald auf ihren vollen, runden Arm, der von dem Druck auf den Tisch seine Form veränderte, bald auf den noch schöneren Busen, an dem sie den Brillantschmuck zurechtschob; einige Male ordnete sie die Falten ihres Kleides, und sooft die Erzählung eindrucksvoll wurde, schaute sie zu Anna Pawlowna hinüber und nahm sofort denselben Ausdruck an, den das Gesicht des Hoffräuleins aufwies, um gleich darauf wieder zu ihrem ruhigen, strahlenden Lächeln überzugehen. Nach Helene kam auch die kleine Fürstin vom Teetisch herüber.

      »Warten Sie noch einen Augenblick, ich möchte meine Handarbeit vornehmen«, sagte sie. »Nun? Wo haben Sie denn Ihre Gedanken?« wandte sie sich an den Fürsten Ippolit. »Bringen Sie mir meinen Ridikül.«

      So führte die Fürstin, lächelnd und zu allen redend, auf einmal einen Aufenthalt herbei und ordnete, als sie nun zum Sitzen gekommen war, vergnügt ihren Anzug.

      »Jetzt habe ich alles nach Wunsch«, sagte sie, bat, mit der Erzählung zu beginnen, und griff nach ihrer Arbeit. Fürst Ippolit hatte ihr ihren Ridikül geholt, war hinter sie getreten, hatte sich einen Sessel dicht neben sie gerückt und sich zu ihr gesetzt.

      Der »charmante« Ippolit überraschte einen jeden durch die auffällige Ähnlichkeit mit seiner schönen Schwester und noch mehr dadurch, daß er trotz dieser Ähnlichkeit in hohem Grad häßlich war. Die Gesichtszüge waren bei ihm die gleichen wie bei seiner Schwester; aber bei dieser glänzte das ganze Gesicht von einem lebensfrohen, glücklichen, jugendlichen, unveränderlichen Lächeln, und die außerordentliche, wahrhaft antike Schönheit des Körpers steigerte diese Wirkung noch; bei dem Bruder dagegen war dasselbe Gesicht von einem trüben Stumpfsinn wie von einem Nebel umschleiert und zeigte unveränderlich einen Ausdruck selbstgefälliger Verdrossenheit, dazu kam ein dürftiger, schwächlicher Körper. Augen, Nase und Mund, alles war gleichsam zu einer einzigen verschwommenen, mürrischen Grimasse zusammengedrückt, und seine Hände und Füße nahmen stets eine absonderliche Haltung ein.

      »Es wird doch keine Gespenstergeschichte sein?« sagte er, während er sich neben die Fürstin setzte und eilig seine Lorgnette vor die Augen hielt, als ob er ohne dieses Instrument nicht reden könnte.

      »Ganz und gar nicht«, erwiderte erstaunt der Erzähler mit einem Achselzucken.

      »Ich frage nämlich deswegen, weil ich Gespenstergeschichten nicht leiden mag«, sagte Fürst Ippolit in einem Ton, aus dem man merken konnte, daß er erst nachträglich, nachdem er jene Worte gesprochen hatte, sich über ihren Sinn klargeworden war.

      Aber infolge der Selbstgefälligkeit, mit welcher er sprach, kam es niemandem recht zum Bewußtsein, ob das, was er gesagt hatte, etwas sehr Kluges oder etwas sehr Dummes war. Er trug einen dunkelgrünen Frack, Beinkleider, deren Farbe er selbst als »Lende einer erschreckten Nymphe« bezeichnete, sowie Strümpfe und Schnallenschuhe.

      Der Vicomte erzählte in allerliebster Weise eine damals kursierende Anekdote: Der Herzog von Enghien sei heimlich nach Paris gereist, um dort ein Rendezvous mit der Schauspielerin Georges zu haben, und sei dort mit Bonaparte zusammengetroffen, der sich gleichfalls der Gunst der berühmten Schauspielerin erfreut habe. Bei dieser Begegnung mit dem Herzog habe Napoleon einen Ohnmachtsanfall gehabt, ein bei ihm nicht selten auftretendes Leiden, und sich auf diese Art in der Gewalt des Herzogs befunden. Der Herzog habe diesen günstigen Umstand nicht benutzt; Bonaparte aber habe sich später für diese Großmut durch die Ermordung des Herzogs gerächt.

      Die Erzählung war sehr hübsch und interessant; besonders bei der Stelle, wo die beiden Rivalen einander plötzlich erkannten, schienen auch die Damen in Aufregung zu sein.

      »Reizend!« sagte Anna Pawlowna und blickte dabei die kleine Fürstin fragend an.

      »Reizend!« flüsterte die kleine Fürstin und steckte ihre Nadel in ihre Handarbeit hinein, wie um damit anzudeuten, daß ihr lebhaftes Interesse für die reizende Erzählung sie daran hindere weiterzuarbeiten.

      Der Vicomte wußte dieses stillschweigende Lob zu schätzen, lächelte dankbar und sprach dann weiter. Aber in diesem Augenblick bemerkte Anna Pawlowna, die die ganze Zeit über ab und zu einen Blick nach dem ihr so unangenehmen jungen Menschen hingeworfen hatte, daß er zu laut und hitzig mit dem Abbé sprach, und eilte, um Hilfe zu bringen, nach dem gefährdeten Punkt. Pierre hatte es wirklich zustande gebracht, mit dem Abbé ein Gespräch über das politische Gleichgewicht anzuknüpfen, und der Abbé, dessen Interesse der junge Mann durch seinen treuherzigen Eifer erregt zu haben schien, entwickelte ihm seine Lieblingsidee. Beide benahmen sich beim Reden und Hören gar zu lebhaft und ungezwungen, und eben dies hatte nicht Anna Pawlownas Beifall.

      »Das Mittel dazu ist das europäische Gleichgewicht und das Völkerrecht«, sagte der Abbé. »Es braucht nur ein mächtiges Reich, zum Beispiel das als barbarisch verschriene Rußland, in uneigennütziger Weise an die Spitze eines Staatenbundes zu treten, der sich das Gleichgewicht Europas zum Ziel gesetzt hat, und dieses Reich wird der Retter der Welt sein.«

      »Aber wie wollen Sie denn ein solches Gleichgewicht zustande bringen?« begann Pierre; jedoch in diesem Augenblick trat Anna Pawlowna heran, und mit einem strengen Blick auf Pierre fragte sie den Italiener, wie ihm das hiesige Klima bekomme. Das Gesicht des Italieners


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