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Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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Reithose; seine Brauen zogen sich lässig in die Höhe, und sein Mund öffnete sich ein wenig, wie wenn er sagen wollte: »Ja, ja, ich stecke meine Börse in die Tasche; das ist eine ganz natürliche, einfache Sache und geht niemand etwas an.«

      »Nun, junger Mann?« sagte er tief atmend und blickte unter den hinaufgezogenen Brauen hervor dem jungen Rostow in die Augen.

      Eine Art von Lichtschein lief mit der Geschwindigkeit eines elektrischen Funkens aus Teljanins Augen in die Augen Rostows hinüber und wieder zurück, und nochmals hin und zurück, alles in einem Moment.

      »Kommen Sie hierher«, sagte Rostow leise, ergriff Teljanin bei der Hand und führte oder zog ihn vielmehr an ein Fenster. »Dieses Geld gehört Denisow; Sie haben es genommen«, flüsterte er dicht an dessen Ohr.

      »Was ...? Was ...? Wie können Sie es wagen? Was?« erwiderte Teljanin undeutlich.

      Aber diese Worte klangen wie ein kläglicher, verzweifelnder Aufschrei und wie ein Flehen um Verzeihung. Sowie Rostow diese Stimme hörte, schwand ihm jeder Zweifel, und es fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen. Er empfand Freude; aber zu gleicher Zeit ergriff ihn ein tiefes Mitleid mit dem unglücklichen Menschen, der da vor ihm stand. Jedoch mußte er zu Ende führen, was er begonnen hatte.

      »Die Leute hier können sich ja Gott weiß was für Gedanken machen«, murmelte Teljanin, griff nach seiner Mütze und ging voran in ein kleines, leeres Zimmer. »Wir müssen uns miteinander aussprechen ...«

      »Ich weiß es, und ich werde es beweisen«, sagte Rostow.

      »Ich ...«

      In Teljanins blassem, erschrockenem Gesicht begannen alle Muskeln zu zucken; die Augen liefen noch ebenso unstet umher wie vorher, aber jetzt am Boden, und er schlug sie nicht zu Rostows Gesicht auf. Ein schluchzender Ton wurde vernehmbar.

      »Graf ...! Stürzen Sie einen jungen Menschen nicht ins Verderben ... Da ist das unselige Geld; nehmen Sie es hin ...« Er warf die Börse auf den Tisch. »Ich habe einen alten Vater, eine Mutter ...!«

      Rostow nahm das Geld, wobei er Teljanins Blick vermied, und ging, ohne ein Wort zu sagen, zur Tür. Aber an der Tür blieb er stehen und wandte sich wieder um. »Mein Gott«, sagte er mit Tränen in den Augen, »wie konnten Sie das nur tun?«

      »Graf ...«, begann Teljanin und näherte sich dem Junker.

      »Rühren Sie mich nicht an!« sagte Rostow und wich ihm seitwärts aus. »Wenn Sie in Not sind, so nehmen Sie dieses Geld hier.« Er warf ihm seine eigene Börse hin und verließ eilig das Wirtshaus.

      V

      Am Abend desselben Tages führten in Denisows Quartier die zu seiner Eskadron gehörenden Offiziere untereinander ein sehr lebhaftes Gespräch.

      »Und ich sage Ihnen, Rostow, daß Sie den Regimentskommandeur um Entschuldigung bitten müssen«, sagte ein hochgewachsener Vizerittmeister mit schon ergrauendem Haar, gewaltigem Schnurrbart und grobgeschnittenem, runzligem Gesicht zu dem jungen Rostow, der einen dunkelroten Kopf hatte und sich in höchster Aufregung befand.

      Dieser Vizerittmeister Kirsten war zweimal wegen seiner Ehrenhändel zum Gemeinen degradiert worden und hatte sich zweimal wieder heraufgearbeitet.

      »Ich lasse mir von niemand sagen, daß ich löge!« rief Rostow. »Er hat zu mir gesagt, ich löge, und ich habe zu ihm gesagt, daß er lügt. Und dabei bleibt es. Meinetwegen kann er mir alle Tage Strafdienst aufpacken und mich in Arrest setzen; aber um Entschuldigung zu bitten, dazu kann mich niemand zwingen; denn wenn er als Regimentskommandeur es seiner für unwürdig hält, mir Satisfaktion zu geben, so ...«

      »Nun warten Sie mal, lieber Freund, und hören Sie mich an«, unterbrach ihn der Vizerittmeister mit seiner tiefen Baßstimme und strich sich ruhig seinen langen Schnurrbart glatt. »Sie haben in Gegenwart anderer Offiziere zu dem Regimentskommandeur gesagt, ein Offizier hätte gestohlen ...«

      »Ich kann nichts dafür, daß das Gespräch in Gegenwart anderer Offiziere diese Wendung nahm. Es mag sein, daß ich in ihrer Gegenwart nicht hätte davon sprechen sollen; aber ich bin eben kein Diplomat. Gerade darum bin ich Husar geworden, weil ich dachte, daß man in dieser Stellung keine subtilen Rücksichten zu nehmen braucht. Aber er hat zu mir gesagt, ich löge ... und da verlange ich Satisfaktion ...«

      »Alles sehr schön; niemand glaubt, daß Sie feige wären; aber darum handelt es sich gar nicht. Fragen Sie einmal Denisow, ob das jemals dagewesen ist, daß ein Junker vom Regimentskommandeur Satisfaktion verlangt.«

      Denisow hörte, auf den Schnurrbart beißend, mit finsterer Miene das Gespräch mit an und hatte augenscheinlich keine Lust, sich daran zu beteiligen. Auf die Frage des Vizerittmeisters schüttelte er verneinend den Kopf.

      »Sie haben dem Regimentskommandeur in Gegenwart anderer Offiziere gesagt, daß eine solche Gemeinheit vorgekommen wäre«, fuhr der Vizerittmeister fort. »Bogdanowitsch« (so wurde der Regimentskommandeur Karl Bogdanowitsch Schubert genannt) »hat Ihnen deswegen einen Verweis erteilt.«

      »Er hat mir nicht einen Verweis erteilt, sondern gesagt, ich spräche die Unwahrheit.«

      »Nun ja, und da haben Sie ihm sehr ungehörig geantwortet und müssen nun um Entschuldigung bitten.«

      »Um keinen Preis!« rief Rostow.

      »Ein solches Benehmen hätte ich nicht von Ihnen erwartet«, sagte der Vizerittmeister in ernstem, strengem Ton. »Sie wollen nicht um Entschuldigung bitten, und doch haben Sie, lieber Freund, sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen das ganze Regiment, gegen uns alle, arg vergangen. Und das will ich Ihnen klarmachen. Sie hätten die Sache doch ordentlich überlegen und Kameraden um Rat fragen sollen, wie Sie sich in dieser Angelegenheit verhalten müßten; aber statt dessen rufen Sie ohne weiteres in Gegenwart von Offizieren einen solchen Skandal hervor. Was soll der Regimentskommandeur jetzt tun? Soll er den betreffenden Offizier vor Gericht stellen und über das ganze Regiment Unehre bringen? Um eines Nichtswürdigen willen das ganze Regiment an den Pranger stellen? Das ist ja wohl Ihre Meinung, nicht wahr? Aber unsere Meinung ist das nicht. Bogdanowitsch ist ein braver, tüchtiger Mann; er hat Ihnen gesagt, Sie sprächen die Unwahrheit. Das ist ja unangenehm; aber da ist weiter nichts zu machen, lieber Freund: Sie haben sich das durch Ihren Übereifer selbst zugezogen. Jetzt aber, wo man die Geschichte still beilegen will, weigern Sie sich aus eigensinnigem Dünkel, um Entschuldigung zu bitten, und wollen die Sache breittreten. Sie empfinden es als ein Unrecht, daß Sie Strafdienst bekommen und daß Sie einen alten, ehrenhaften Offizier um Entschuldigung bitten sollen! Mag Bogdanowitsch im übrigen sein, wie er will, aber jedenfalls ist er ein ehrenhafter, tapferer, alter Oberst. Also das erscheint Ihnen als ein Unrecht; aber das Regiment an den Pranger zu stellen, daraus machen Sie sich kein Gewissen!« Die Stimme des Vizerittmeisters begann zu zittern. »Sie, lieber Freund, geben ja bei unserm Regiment nur eine Art Gastrolle; heute sind Sie hier, morgen werden Sie irgendwo anders Adjutant; was scheren Sie sich darum, wenn man nachher sagt: ›Unter den Pawlograder Offizieren gibt es Diebe!‹ Uns aber ist das nicht so gleichgültig. Nicht wahr, Denisow, uns ist das nicht gleichgültig?«

      Denisow schwieg noch immer, rührte sich nicht und blickte nur ab und zu mit seinen blitzenden schwarzen Augen Rostow an.

      »Ihnen geht Ihr Dünkel über alles, und darum wollen Sie nicht um Entschuldigung bitten«, fuhr der Vizerittmeister fort; »aber uns alten Offizieren, die wir im Regiment aufgewachsen sind und, so Gott will, auch darin sterben werden, uns liegt die Ehre des Regiments am Herzen, und das weiß Bogdanowitsch. Ja, sehr, sehr liegt sie uns am Herzen, lieber Freund! Aber wie Sie handeln, das ist nicht schön, nicht schön! Ob Sie es mir nun übelnehmen oder nicht: ich sage immer die Wahrheit geradeheraus. Es ist nicht schön!«

      Der Vizerittmeister stand auf und wandte sich von Rostow ab.

      »Hol's der Teufel, er hat recht!« schrie Denisow aufspringend. »Na also, Rostow! Na!«

      Abwechselnd errötend und erbleichend, sah Rostow bald den einen, bald den andern der Offiziere an.

      »Nein, meine Herren, nein ... Glauben Sie das nicht von mir ...


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