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Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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du wirst es nicht wieder tun, nicht wahr? ... Du hast mich doch lieb?«

      Sie fühlte, daß ihr die Tränen in die Augen traten. ›Ist es denn denkbar, daß ich ihn jemals nicht mehr lieben sollte?‹ sagte sie zu sich selbst, während sie in seine erschrockenen und zugleich freudig aufleuchtenden Augen tief hineinschaute. ›Sollte er wirklich je mit seinem Vater eines Sinnes darin werden, über mich den Stab zu brechen? Wird er wirklich mit mir kein Mitleid haben?‹ Die Tränen liefen ihr schon über das Gesicht, und um sie zu verbergen, stand sie plötzlich auf und eilte, fast laufend, auf die Terrasse hinaus.

      Nach dem Gewitterregen der letzten Tage war kühles, klares Wetter eingetreten. Trotz des hellen Sonnenscheins, der durch das vom Regen blank gewaschene Laubwerk der Bäume drang, war es in der Luft kalt.

      Sie schauderte zusammen, sowohl vor Kälte wie auch infolge der inneren Angst, die sie in der reinen Luft mit neuer Kraft überfiel.

      »Geh zu Mariette, geh!« sagte sie zu Sergei, der hinter ihr her herausgekommen war, und begann auf der Strohmatte, die auf der Terrasse lag, auf und ab zu gehen. ›Werden die Menschen mir denn wirklich nicht verzeihen und nicht verstehen, daß das alles so kommen mußte, mußte?‹ fragte sie sich selbst.

      Sie blieb stehen und blickte nach den im Winde schwankenden Wipfeln der Eichen mit den reingewaschenen, im kalten Sonnenschein glänzenden Blättern, und sie war überzeugt, daß die Menschen ihr nicht verzeihen würden, daß alles und alle jetzt gegen sie ebenso erbarmungslos sein würden wie dieser Himmel und wie dieses Grün. Und wieder hatte sie die Empfindung, daß sich in ihrer Seele etwas zu verdoppeln anfange. ›Nur nicht denken, nur nicht denken!‹ sagte sie bei sich. ›Ich muß mich zur Reise fertigmachen. Wohin soll ich reisen? Wann? Wen soll ich mitnehmen? Ja, ich will nach Moskau fahren, mit dem Abendzug. Annuschka und Sergei will ich mitnehmen, und nur die notwendigsten Sachen. Aber vorher muß ich an beide schreiben.‹ Schnell ging sie ins Haus, in ihr Zimmer, setzte sich an den Tisch und schrieb an ihren Mann:

      »Nach dem, was vorgefallen ist, kann ich nicht länger in Ihrem Hause bleiben. Ich reise ab und nehme meinen Sohn mit. Ich kenne die gesetzlichen Bestimmungen nicht und weiß daher nicht, bei wem von den Eltern der Sohn bleiben muß; aber ich nehme ihn mit, weil ich ohne ihn nicht leben kann. Seien Sie großmütig und lassen Sie ihn mir!«

      Bis dahin hatte sie schnell, und wie es ihr in die Feder kam, geschrieben; aber der Appell an seine Großmut, die sie bei ihm gar nicht für ein mögliches Gefühl hielt, und anderseits die Notwendigkeit, dem Briefe irgendeinen rührenden Schluß zu geben, brachten sie zum Stocken.

      »Von meiner Schuld und meiner Reue kann ich nicht reden, weil ...«

      Wieder hielt sie inne, da sie in ihren Gedanken keinen logischen Zusammenhang fand. ›Nein‹, sagte sie bei sich, ›so etwas darf ich nicht schreiben.‹ Sie zerriß den Brief, schrieb ihn noch einmal mit Weglassung der Stelle von der Großmut und siegelte ihn zu.

      Einen zweiten Brief mußte sie an Wronski schreiben. »Ich habe meinem Manne mitgeteilt«, schrieb sie und saß dann lange da, ohne daß sie in sich die Kraft zum Weiterschreiben gefunden hätte. Das war so roh, so unweiblich. ›Und dann, was kann ich ihm denn eigentlich schreiben?‹ dachte sie. Wieder überzog Schamröte ihr Gesicht; sie mußte an sein ruhiges Wesen denken, und ein Gefühl des Ärgers über ihn veranlaßte sie, den Briefbogen mit dem angefangenen Satze in kleine Stücke zu zerreißen. ›Ich brauche ihm gar nichts zu schreiben‹, sagte sie sich; sie legte die Briefmappe zusammen, ging hinauf, teilte der Gouvernante und der Dienerschaft mit, daß sie heute nach Moskau fahren werde, und machte sich sofort daran, die Sachen zu packen.

      16

      In allen Zimmern des Landhauses gingen Hausknechte, Gärtner und Diener umher und trugen Sachen hinaus. Die Schränke und die Kommoden waren geöffnet; zweimal war zum Kaufmann geschickt worden, um Stricke zum Packen zu holen; der Fußboden lag voll Zeitungspapier. Zwei Koffer, mehrere Säcke und zusammengebundene Reisedecken waren schon ins Vorzimmer getragen. Eine Kutsche und zwei Droschken hielten vor der Haustür. Anna, die über der Arbeit des Packens ihre innere Unruhe vergessen hatte, stand in ihrem Zimmer am Tische und packte ihre Reisetasche, als Annuschka sie auf das Geräusch eines herankommenden Wagens aufmerksam machte. Anna warf einen Blick aus dem Fenster und sah an der Haustür Alexei Alexandrowitschs Kurier, der dort die Klingel zog.

      »Geh und sieh zu, was es gibt«, sagte sie; mit ruhiger Ergebung in alles, was da kommen konnte, setzte sie sich auf einen Sessel und legte die Hände über den Knien zusammen. Ein Diener brachte einen dicken Brief, dessen Anschrift Alexei Alexandrowitschs Handschrift aufwies.

      »Der Kurier soll auf Antwort warten«, sagte er.

      »Gut«, erwiderte sie und riß, sobald er hinausgegangen war, den Brief mit zitternden Fingern auf. Ein Päckchen Banknoten, die, ohne zusammengefaltet zu sein, mit einem Papierstreifen umklebt waren, fiel aus ihm heraus. Sie entfaltete den Brief und begann, vom Ende anfangend, ihn zu lesen. »Alle für Ihren Umzug erforderlichen Anordnungen werden getroffen werden«, las sie. »Ich bitte Sie, zu beachten, daß ich auf die Erfüllung dieser meiner Bitte besonderen Wert lege.« Sie überflog mit den Augen den vorhergehenden Abschnitt, las alles und las dann den ganzen Brief noch einmal von vorn. Als sie an das Ende gelangt war, fühlte sie, daß sie fror und daß ein so furchtbares Unglück über sie hereingebrochen war, wie sie es nicht erwartet hatte.

      Sie hatte am Morgen bereut, es ihrem Manne gesagt zu haben, und nur den einen Wunsch gehabt, diese Worte möchten für so gut wie ungesagt angesehen werden. Und nun betrachtete dieser Brief die Worte als ungesagt und gewährte ihr das, was sie gewünscht hatte. Aber jetzt erschien ihr dieser Brief furchtbarer als alles, was sie sich nur hatte vorstellen können.

      ›Er hat recht, er hat recht!‹ sagte sie. ›Selbstverständlich, er hat immer recht, er ist ein Christ, er ist großmütig! Ja, ein niedrig denkender, garstiger Mensch ist er! Und das durchschaut niemand außer mir, und niemand außer mir wird es je durchschauen, und ich kann es niemandem klarmachen. Alle sagen sie: »So ein religiöser, moralischer, ehrenhafter, kluger Mann!« aber sie sehen nicht, was ich gesehen habe. Sie wissen nicht, daß er acht Jahre lang mein Leben erstickt hat, alles erstickt hat, was in meinem Innern lebendig war, daß ihm kein einziges Mal auch nur der Gedanke gekommen ist, daß ich eine lebendige Frau bin, die der Liebe bedarf. Sie wissen nicht, wie er mich auf Schritt und Tritt gekränkt hat und dabei doch der selbstzufriedene Mann geblieben ist, der er war. Habe ich mich nicht bemüht, mit aller Kraft bemüht, meinem Leben einen würdigen Inhalt zu geben? Habe ich nicht versucht, ihn zu lieben und, als ich meinen Mann nicht mehr lieben konnte, meinen Sohn zu lieben? Aber dann kam schließlich der Zeitpunkt, wo ich einsah, daß ich mich nicht mehr selbst betrügen konnte und daß ich ein lebendes Wesen bin und nichts dafür kann, wenn Gott mich so geschaffen hat, daß es mir ein Bedürfnis ist zu lieben und zu leben. Und was tut dieser Mensch jetzt? Wenn er mich tötete, wenn er ihn tötete – ich würde alles ertragen, alles verzeihen; aber nein, er ...

      Wie ist es nur möglich, daß ich nicht gleich erraten habe, was er tun werde? Er tut eben das, was seinem niedrigen Charakter gemäß ist. Er bleibt der recht Handelnde; aber mich, die ich ins Elend geraten bin, stößt er noch schlimmer, noch tiefer ins Verderben hinein ...‹ »Sie werden sich selbst sagen können, was Sie und Ihren Sohn erwartet«, an diese Worte seines Briefes mußte sie denken. ›Das ist eine Drohung, mir den Sohn wegzunehmen, und wahrscheinlich ist das nach ihrem törichten Gesetze möglich. Aber weiß ich denn etwa nicht, warum er das sagt? Er glaubt zwar nicht an meine Liebe zu meinem Sohne, oder er verachtet dieses mein Gefühl, wie er ja auch immer darüber gespottet hat; aber er weiß, daß ich auf meinen Sohn nicht verzichten werde, nicht auf ihn verzichten kann, daß es ohne meinen Sohn für mich kein Leben gibt, selbst nicht mit dem Manne, den ich liebe, daß, wenn ich auf meinen Sohn verzichtete und von ihm selbst wegliefe, ich wie das schändlichste, abscheulichste Weib handeln würde; das weiß er, und er weiß, daß ich nicht imstande bin, das zu tun‹.

      Es fiel ihr ein anderer Satz aus dem Briefe ein: »Unser Leben muß auch in Zukunft denselben Gang nehmen, den es bisher genommen hat.« ›Ja‹, sagte sie sich, ›dieses Leben war schon früher eine


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