Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.
Seite gar keine Anstrengung stattfand, ja überhaupt keine Absicht vorhanden war, er sah, daß bei diesem Kampfe das Ergebnis lediglich war, daß die Wirtschaft nichts abwarf und die prächtigen landwirtschaftlichen Geräte, das prächtige Vieh und Land völlig ohne Nutzen verdorben wurden. Und was die Hauptsache war: es ging nicht nur die von ihm auf dieses Werk verwandte Tatkraft ganz nutzlos verloren, sondern er konnte sich jetzt, wo er über seine Wirtschaft zu einem richtigen Urteile gelangt war, auch nicht der Einsicht verschließen, daß das Ziel seiner Tatkraft ganz unwürdig war. Denn in der Tat, worum drehte sich der Kampf? Er kämpfte um jeden Groschen, der ihm gehörte oder zukam (und das mußte er; denn hätte er in seiner Tatkraft nachgelassen, so hätte es ihm sofort an Geld gemangelt, um den Arbeitern den Lohn zu zahlen); die Arbeiter aber hatten bei diesem Kampfe nur das Ziel, ruhig und angenehm arbeiten zu dürfen, das heißt so, wie sie es gewohnt waren. In seinem Interesse lag es, daß jeder Arbeiter soviel wie möglich arbeitete, ferner, daß er es dabei nicht an Achtsamkeit fehlen ließ, daß er sich bemühte, die Worfelmaschine, den Pferderechen, die Dreschmaschine nicht zu zerbrechen, daß er seine Arbeit mit Überlegung verrichtete; der Arbeiter aber wollte gern möglichst angenehm arbeiten, mit Ruhepausen, und vor allen Dingen sorglos, achtlos, gedankenlos. Das hatte Ljewin in diesem Sommer auf Schritt und Tritt beobachten können. Er hatte Leute hingeschickt, um Klee zu mähen, der zu Heu gemacht werden sollte, und hatte dazu einige schlechte Deßjatinen ausgesucht, die mit Gras und Wermut durchwachsen und zu Saatklee nicht zu gebrauchen waren – und sie mähten ihm der Reihe nach die besten Deßjatinen mit Saatklee ab, rechtfertigten sich damit, der Verwalter habe es so befohlen, und sagten, um ihn zu trösten, dieses Kleeheu würde aber auch ganz vorzüglich werden; aber er wußte, daß sie es nur getan hatten, weil diese Deßjatinen sich leichter mähen ließen. Er schickte eine Heuwendemaschine auf die Wiese, um das Heu umzuschütteln; sie zerbrachen sie ihm gleich bei den ersten Schwaden, weil es dem Bauer unbehaglich war, auf dem Bock zu sitzen, wenn sich die Flügel über ihm herumschwenkten. Ihm aber sagten sie: »Seien Sie nur ganz ohne Sorge; die Weiber werden das Heu schon flink umschütteln.« Die modernen Pflüge erwiesen sich als unbenutzbar, weil es dem Arbeiter nicht einfiel, das in die Höhe gehobene Pflugmesser wieder herunterzulassen, und er durch gewaltsames Umwenden des Bodens die Pferde quälte und den Acker verdarb. Und wieder bat man Ljewin, ganz unbesorgt zu sein. Sie ließen die Pferde in die Weizenfelder gehen, weil kein Arbeiter die ganze Nachtwache übernehmen wollte und sie sich trotz des Verbotes, dies zu tun, in die Nachtwache teilten; da war nun Iwan, der den ganzen Tag über gearbeitet hatte, eingeschlafen und gestand seine Sünde, indem er hinzufügte: »Ganz wie Sie befehlen.« Die drei besten Kälber wurden von den Leuten durch falsche Fütterung zugrunde gerichtet, indem sie sie, ohne sie zu tränken, in das Kleegrummet hineinließen, und sie wollten ganz und gar nicht glauben, daß das der Klee war, der die Tiere so auf trieb, sondern erzählten ihm zum Troste, beim Nachbar seien in drei Tagen hundertzwölf Stück Vieh gefallen. All das geschah nicht etwa, weil jemand Ljewin oder seiner Wirtschaft Böses gewünscht hätte; im Gegenteil, er wußte, daß ihn die Leute gern hatten und ihn für einen einfachen Herrn hielten (was das höchste Lob ist); sondern es geschah nur deshalb, weil sie vergnügt und sorglos arbeiten wollten und seine Interessen ihnen nicht nur fremd und unverständlich waren, sondern auch zu ihren wohlberechtigten Interessen in einem verhängnisvollen Gegensatze standen. Schon seit längerer Zeit hatte sich Ljewin von seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nicht recht befriedigt gefühlt. Er hatte gemerkt, daß sein Kahn leck war; aber er hatte das Leck nicht gefunden, auch vielleicht in absichtlicher Selbsttäuschung gar nicht danach gesucht (es wäre ihm gar nichts mehr an Lebensfreude übriggeblieben, wenn er nun auch mit seiner Wirtschaft eine Täuschung erlebt hätte). Aber jetzt konnte er sich nicht länger täuschen. Seine jetzige Art des Wirtschaftsbetriebes war ihm nicht nur uninteressant, sondern geradezu widerwärtig geworden, und er konnte es nicht über sich gewinnen, sich noch länger damit zu beschäftigen.
Dazu kam noch der Umstand, daß Kitty Schtscherbazkaja, die er so gern gesehen hätte und doch, nach seiner Empfindung, nicht sehen durfte, sich nur dreißig Werst von ihm entfernt befand. Darja Alexandrowna Oblonskaja hatte ihn, als er bei ihr war, eingeladen wiederzukommen: wiederzukommen, um ihrer Schwester noch einmal einen Antrag zu machen, den diese, wie Darja merken ließ, jetzt annehmen werde; und Ljewin selbst hatte, als er Kitty Schtscherbazkaja erblickte, gefühlt, daß er sie noch immer liebte. Aber er konnte nicht zu Oblonskis hinfahren, nun er wußte, daß sie da war. Er hatte ihr einen Antrag gemacht und sie hatte ihn abgelehnt; dadurch war zwischen ihm und ihr eine unübersteigliche Mauer errichtet. ›Ich kann sie nicht bitten, mein Weib lediglich deshalb zu werden, weil sie nicht hat das Weib dessen werden können, den sie haben wollte‹, sagte er zu sich selbst. Der Gedanke daran versetzte ihn in eine kalte, feindselige Stimmung gegen sie. ›Ich werde nicht imstande sein, mit ihr zu reden, ohne ihr im stillen einen Vorwurf zu machen, werde sie nicht ansehen können, ohne ihr zu grollen, und sie wird mich nur um so mehr hassen, wie das ja auch ganz natürlich ist. Und ferner, wie kann ich jetzt, nach dem, was mir Darja Alexandrowna gesagt hat, zu ihnen hinfahren? Kann ich denn tun, als wüßte ich das, was sie mir gesagt hat, gar nicht? Und ich soll zu einem Großmutsakte hinkommen – um ihr zu verzeihen, sie zu Gnaden anzunehmen. Ich soll vor sie hintreten in der Rolle des Verzeihenden, der sie seiner Liebe würdigt! Warum hat Darja Alexandrowna das überhaupt zu mir gesagt? Ich hätte sie ja zufällig sehen können, und dann hätte sich alles von selbst gemacht; aber jetzt ist es unmöglich, ganz unmöglich!‹
Darja Alexandrowna schickte ihm ein paar Zeilen, in denen sie ihn um einen Damensattel für Kitty bat. »Es ist mir gesagt worden, Sie hätten einen solchen Sattel«, schrieb sie ihm. »Ich hoffe, Sie werden ihn persönlich herbringen.«
Das war ihm zuviel, das konnte er nicht mehr ertragen! Wie konnte nur eine kluge, zartfühlende Frau ihre Schwester in solcher Weise erniedrigen! Er schrieb zehn Antworten, zerriß sie sämtlich und schickte ihr den Sattel ohne jedes Begleitschreiben hin. Zu schreiben, er werde hinkommen, das ging nicht, weil er ja doch nicht hinkommen konnte; und zu schreiben, er könne nicht kommen, da er irgendwelche Behinderung habe oder verreise, das war noch schlimmer. So übersandte er denn den Sattel ohne Zuschrift, und in dem Bewußtsein, etwas getan zu haben, dessen er sich schämen müsse, übergab er gleich am nächsten Tage die ganze ihm so widerwärtig gewordene Wirtschaft dem Verwalter und fuhr nach einem ziemlich weit entfernten Kreise zu seinem Freunde Swijaschski, bei dessen Wohnorte es prächtige, an Schnepfen reiche Sümpfe gab und der ihn erst kürzlich in einem Briefe gebeten hatte, ein schon längst gegebenes Versprechen auszuführen und ihn zu besuchen. Diese Schnepfensümpfe im Kreise Surow hatten für Ljewin schon lange etwas Verführerisches gehabt; aber wegen seiner Wirtschaftsangelegenheiten hatte er diese Fahrt immer aufgeschoben. Jetzt war er froh, auf diese Art aus Kittys Nähe und besonders von seiner Wirtschaft wegzukommen, namentlich auch, da es zur Jagd ging, die ihm in allen Kümmernissen von jeher der beste Trost gewesen war.
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Nach dem Kreise Surow gab es weder eine Eisenbahn noch eine Poststraße, und Ljewin fuhr daher in seinem Reisewagen mit eigenen Pferden.
Auf halbem Wege machte er bei einem reichen Bauern halt, um die Pferde zu füttern. Der kahlköpfige, frische Alte, mit breitem, rötlichem, an den Backen ergrauendem Barte, öffnete das Tor und drückte sich an den Pfosten, um das Dreigespann hereinzulassen. Er wies auf dem großen, neu angelegten, sauberen und sorgfältig aufgeräumten Hofe, auf dem eine Anzahl angekohlter Hakenpflüge standen, dem Kutscher einen Platz unter einem Schutzdache an und lud dann Ljewin ein, in die gute Stube zu kommen. Eine reinlich gekleidete junge Frau mit Gummischuhen an den bloßen Füßen scheuerte gebückt den Fußboden in dem neuen Hausflur. Sie bekam einen Schreck über den Hund, der hinter Ljewin hereingelaufen kam, und schrie auf, lachte aber sofort über ihren Schreck, da sie sah, daß der Hund sie nicht anrührte. Sie zeigte dem Gaste mit dem ausgestreckten Arme, an dem der Ärmel aufgestreift war, die Tür zur guten Stube; dann bückte sie sich wieder, so daß ihr hübsches Gesicht nicht mehr zu sehen war, und scheuerte weiter.
»Befehlen Sie den Samowar?« fragte sie.
»Ja, bitte.«
Die gute Stube war geräumig; darin befand sich ein holländischer Ofen und eine Scheidewand. Unter den Heiligenbildern standen ein mit einem bunten Muster bemalter Tisch, eine Bank und zwei Stühle, neben der Eingangstür