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Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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Protopopen legen aber in solchen Dingen mit einer besonderen Liebhaberei Wert auf die kleinlichsten Einzelheiten.« Er sagte das mit einem Lächeln, das zeigte, daß er diesen Geschmack der Protopopen teilte. »Briefe können ja ohne Zweifel bis zu einem gewissen Grade als Bestätigung dienen; aber die Beweise müssen auf geradem Wege erbracht werden, das heißt durch Zeugen. Überhaupt aber, wenn Sie mir die Ehre erweisen, mich Ihres Vertrauens zu würdigen, so überlassen Sie, bitte, es mir, die anzuwendenden Mittel auszuwählen. Wer den Erfolg will, muß sich auch die Mittel gefallen lassen.«

      »Wenn es so ist ...«, begann Alexei Alexandrowitsch, der plötzlich ganz blaß geworden war; aber in diesem Augenblicke stand der Rechtsanwalt auf und ging wieder nach der Tür zu dem Schreiber hin, der von neuem das Gespräch unterbrochen hatte.

      »Sagen Sie ihr, daß wir hier keine billige Schundware führen!« sagte er und kehrte wieder zu Alexei Alexandrowitsch zurück.

      Während er sich wieder auf seinen Platz begab, fing er unvermerkt noch eine Motte. ›Mein Rips wird im Sommer gut aussehen!‹ dachte er stirnrunzelnd.

      »Also Sie beliebten zu sagen ...«, wandte er sich fragend an seinen Klienten.

      »Ich werde Ihnen meinen Entschluß brieflich mitteilen«, antwortete Alexei Alexandrowitsch, stand auf und faßte nach dem Tische. Nachdem er eine kleine Weile schweigend dagestanden hatte, sagte er: »Aus Ihren Worten kann ich somit schließen, daß es möglich ist, die Scheidung durchzusetzen. Ich möchte Sie bitten, mir auch noch mitzuteilen, welches Ihre Bedingungen sind.«

      »Es ist durchaus möglich, wenn Sie mir volle Handlungsfreiheit lassen«, erwiderte der Rechtsanwalt, ohne auf die Frage zu antworten. »Wann kann ich darauf rechnen, von Ihnen Nachricht zu erhalten?« fragte er, indem er mit zur Tür kam; seine Augen glänzten nicht minder als seine Lackstiefel.

      »In einer Woche. Und Sie werden dann die Güte haben, mir Ihre Antwort zukommen zu lassen, ob Sie meine Vertretung in dieser Angelegenheit übernehmen wollen und unter welchen Bedingungen.«

      »Sehr wohl.«

      Der Rechtsanwalt verbeugte sich achtungsvoll, ließ seinen Klienten aus der Tür und überließ sich dann, als er allein geblieben war, seiner freudigen Stimmung. Er war so vergnügt, daß er ganz gegen seine sonstigen Grundsätze der Dame, die von der Gebühr etwas abhandeln wollte, wirklich etwas abließ und keine Motten mehr fing, da er fest beschloß, im nächsten Winter seine Möbel mit Samt beziehen zu lassen, so wie es bei seinem Kollegen Sigonin war.

      6

      Alexei Alexandrowitsch hatte am 17. August in der Kommissionssitzung einen glänzenden Sieg davongetragen; aber die Folgen dieses Sieges wurden ihm sehr nachteilig. Die neue Kommission zur allseitigen Untersuchung des Zustandes der Fremdvölker war auf Alexei Alexandrowitschs Betreiben mit außerordentlicher Schnelligkeit und Energie gebildet und an Ort und Stelle abgeschickt worden. Nach drei Monaten ging der Bericht ein. Der Zustand der Fremdvölker war in politischer, administrativer, ökonomischer, ethnographischer, materieller und religiöser Hinsicht untersucht worden. Für alle Fragen lagen Antworten in vortrefflicher Ausarbeitung vor, und zwar Antworten, die keinem Zweifel unterlagen, weil sie eben nicht ein Ergebnis des stets dem Irrtum ausgesetzten menschlichen Denkens, sondern sämtlich ein Ergebnis dienstlicher Tätigkeit waren. Alle diese Antworten waren die Ergebnisse amtlicher Feststellungen, der Berichte der Gouverneure und Bischöfe, die auf den Berichten der Kreisbehörden und Pröpste beruhten, die ihrerseits sich wieder auf die Berichte der Gemeindevorsteher und Pfarrgeistlichen stützten, und daher konnte sich an all diese Antworten kein Zweifel heranwagen. Alle jene Fragen, zum Beispiel, weshalb mitunter Mißernten vorkommen, warum die Einwohner an ihren religiösen Überzeugungen festhalten, Fragen, die ohne die angenehme Beihilfe der amtlichen Maschine jahrhundertelang ungelöst geblieben waren und ohne diese Beihilfe überhaupt nicht gelöst werden konnten, diese Fragen erhielten hier eine klare, über jeden Zweifel erhabene Lösung. Und diese Lösung war zugunsten von Alexei Alexandrowitschs Ansicht ausgefallen. Aber Stremow, der sich in der letzten Sitzung an einem wunden Punkte berührt gefühlt hatte, wandte beim Eintreffen der Kommissionsberichte eine Taktik an, auf die Alexei Alexandrowitsch nicht gefaßt gewesen war. Nachdem er sich nämlich für seinen Plan des Beistandes einiger anderer Mitglieder versichert hatte, ging er plötzlich auf Alexei Alexandrowitschs Seite über und befürwortete nicht nur mit großer Wärme die Einführung der von diesem vorgeschlagenen Maßregeln, sondern schlug auch noch in demselben Geiste weitere, über das Ziel hinausschießende Maßregeln vor. Diese Maßregeln, eine Übertreibung des Grundgedankens Alexei Alexandrowitschs, wurden angenommen, und nun wurde der Zweck, den Stremow mit seiner Taktik verfolgt hatte, verständlich. Diese auf die Spitze getriebenen Maßnahmen erwiesen sich sehr schnell als so töricht, daß gleichzeitig hohe Staatsmänner und die öffentliche Meinung und kluge Damen und die Zeitungen alle zusammen über diese Maßregeln herfielen und ihrer Entrüstung sowohl über diese Maßregeln selbst wie auch über Alexei Alexandrowitsch, der als deren Vater galt, lebhaften Ausdruck gaben. Stremow trat nun sachte zur Seite und stellte sich, als habe er sich nur blindlings Karenins Plänen angeschlossen und sei nun selbst erstaunt und bestürzt über das, was dabei herausgekommen sei. Dadurch wurde Alexei Alexandrowitsch sehr in Nachteil gebracht. Aber trotz seiner angegriffenen Gesundheit, trotz seiner häuslichen Kümmernisse ergab er sich nicht. Innerhalb der Kommission trat eine Spaltung ein. Manche Mitglieder, mit Stremow an der Spitze, entschuldigten ihren Irrtum damit, daß sie sagten, sie hätten der von Alexei Alexandrowitsch ins Leben gerufenen Revisionskommission, die den Bericht erstattet habe, Glauben geschenkt; aber der Bericht dieser Kommission sei lauter dummes Zeug und nur unnütz vollgeschriebenes Papier. Alexei Alexandrowitsch und mit ihm die Partei derer, die das Gefährliche eines derartigen umstürzlerischen Verhaltens amtlichen Schriftstücken gegenüber erkannten, verharrten in ihrer Stellung als Verteidiger der von der Revisionskommission beschafften Unterlagen. Infolgedessen gerieten in den höheren und selbst in den besseren gesellschaftlichen Kreisen die Ansichten vollständig in Verwirrung, und obwohl alle sich auf das lebhafteste dafür interessierten, so konnte doch niemand zu einer klaren Anschauung gelangen, ob nun die Fremdvölker wirklich in Not und Elend versunken seien und dem Untergange entgegengingen oder sich im blühendsten Zustande befänden. Alexei Alexandrowitschs Stellung wurde hierdurch und zum Teil auch durch die Mißachtung, welche die Untreue seiner Frau über ihn gebracht hatte, stark erschüttert. In dieser Lage faßte Alexei Alexandrowitsch einen hochbedeutsamen Entschluß. Zum größten Erstaunen der Kommission erklärte er, er werde um die Genehmigung einkommen, sich zur Untersuchung der Sache selbst an Ort und Stelle begeben zu dürfen. Und nachdem Alexei Alexandrowitsch diese Genehmigung erhalten hatte, machte er sich auf die Reise nach den fernen Gouvernements.

      Seine Abreise erregte viel Aufsehen, um so mehr, da er im Augenblicke der Abfahrt in amtlicher Form mit einem Begleitschreiben die Reisegelder zurückgereicht hatte, die ihm für zwölf Pferde zur Fahrt bis nach dem Bestimmungsorte ausgezahlt worden waren.

      »Ich finde, das ist sehr vornehm von ihm gedacht«, sagte mit Bezug darauf Betsy zur Fürstin Mjachkaja. »Wozu werden denn Gelder für Postpferde gezahlt, während doch jeder Mensch weiß, daß es jetzt überall Eisenbahnen gibt?«

      Aber die Fürstin Mjachkaja war anderer Ansicht und geriet über die Meinung der Fürstin Twerskaja sogar in Entrüstung.

      »Sie haben gut reden«, eiferte sie, »wo Sie, ich weiß nicht wie viele, Millionen besitzen. Aber ich für meine Person habe es sehr gern, wenn mein Mann im Sommer auf Revisionsreisen fährt. So ein bißchen umherzufahren ist ihm gesund und macht ihm Vergnügen; und es ist bei uns schon so herkömmlich, daß ich mir für das Geld, das er dabei spart, einen Wagen und einen Kutscher halte.«

      Auf seiner Reise nach den fernen Gouvernements nahm Alexei Alexandrowitsch in Moskau drei Tage Aufenthalt.

      Am Tage nach seiner Ankunft fuhr er zum Generalgouverneur, um ihm einen Besuch zu machen. An der Kreuzung bei der Gasetnü-Gasse, wo stets ein großes Gedränge von Kutschen und Droschken ist, hörte Alexei Alexandrowitsch auf einmal seinen Namen von einer so lauten, fröhlichen Stimme rufen, daß er nicht umhinkonnte, sich umzusehen. An der Ecke des Fußsteigs stand in einem kurzen, modernen Überzieher, den niedrigen, modernen Hut


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