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Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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war gerade dabei, den Brief an den Rechtsanwalt zuzusiegeln, als er Stepan Arkadjewitschs laut schallende Stimme hörte. Dieser stritt sich mit Alexei Alexandrowitschs Diener herum und bestand darauf, daß er ihn anmelden solle.

      ›Es ist ja doch ganz gleich‹, dachte Alexei Alexandrowitsch, ›oder vielleicht ist es sogar das beste: ich will ihn sofort von meinem Verhältnisse zu seiner Schwester in Kenntnis setzen und ihm auf diese Weise klarmachen, warum ich nicht bei ihm speisen kann.‹

      »Ich lasse bitten!« rief er laut, indem er die Papiere zusammenfaßte und in seine Schreibmappe legte.

      »Na, da siehst du ja, daß du mir etwas vorschwindelst und er doch zu Hause ist!« hörte er nun Stepan Arkadjewitsch zu dem Diener sagen, der ihn nicht hatte hineinlassen wollen, und im Gehen den Überzieher ausziehend, trat Oblonski ins Zimmer. »Na, ich freue mich sehr, daß ich dich zu Hause getroffen habe. Also ich hoffe ...«, begann Stepan Arkadjewitsch in munterem Tone.

      »Es ist mir unmöglich zu kommen«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch, der selbst stand und auch den Besucher nicht zum Sitzen aufforderte.

      Alexei Alexandrowitsch gedachte sofort das kühle Verhältnis in Kraft treten zu lassen, in dem er mit dem Bruder seiner Frau, gegen die er die Scheidungsklage einleitete, künftig werde stehen müssen; aber er hatte nicht mit jenem Meere von Gutmütigkeit gerechnet, das in Stepan Arkadjewitschs Seele über alle Ufer trat.

      Stepan Arkadjewitsch öffnete weit seine klaren, glänzenden Augen.

      »Warum kannst du nicht kommen? Was willst du eigentlich damit sagen?« fragte er in höchstem Erstaunen auf französisch. »Nein, du hast es nun doch einmal schon versprochen. Und wir alle rechnen bestimmt auf dein Kommen.«

      »Ich will damit sagen, daß ich in Ihrem Hause nicht verkehren kann, weil ich die verwandtschaftlichen Beziehungen, die zwischen uns bestanden haben, abbrechen muß.«

      »Aber wie denn? Wie meinst du denn das? Warum?« fragte Stepan Arkadjewitsch lächelnd.

      »Weil ich gegen Ihre Schwester, meine Frau, die Scheidungsklage einleite. Ich habe mich dazu genötigt gesehen ...«

      Aber Alexei Alexandrowitsch hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als Stepan Arkadjewitsch sich in einer Weise benahm, wie es jener ganz und gar nicht erwartet hatte. Er stöhnte auf und ließ sich in einen Lehnsessel sinken.

      »Nein, Alexei Alexandrowitsch, was redest du da nur!« rief er mit einem Ausdrucke schmerzlicher Betrübnis auf dem Gesichte.

      »Es ist so.«

      »Nimm es mir nicht übel, aber ich kann das nicht glauben, kann es schlechterdings nicht glauben ...«

      Alexei Alexandrowitsch setzte sich nun gleichfalls, da er fühlte, daß seine Worte nicht die Wirkung gehabt hatten, die er von ihnen erwartet hatte, und daß er nun eine nähere Erklärung werde geben müssen und daß, welches auch immer der Inhalt der Erklärung sein mochte, sein Verhältnis zu seinem Schwager dasselbe bleiben werde wie bisher.

      »Ja, ich sehe mich in die traurige Notwendigkeit versetzt, die Scheidung zu verlangen«, sagte er.

      »Ich möchte nur eins sagen, Alexei Alexandrowitsch. Ich kenne dich als einen vortrefflichen, gerechtigkeitsliebenden Menschen, und ich kenne Anna (verzeih mir, aber ich kann meine Meinung über sie nicht ändern) als eine prächtige, vortreffliche Frau, und darum, verzeih mir, vermag ich es nicht zu glauben. Hier liegt ein Mißverständnis vor«, sagte er.

      »Ja, wenn es nur ein Mißverständnis wäre ...«

      »Erlaube, ich verstehe«, unterbrach ihn Stepan Arkadjewitsch. »Aber natürlich ... Nur eins; keine Übereilung! Hier darf keine Übereilung stattfinden, um alles in der Welt nicht!«

      »Ich habe mich nicht übereilt«, versetzte Alexei Alexandrowitsch kalt. »Aber in einer solchen Sache kann man niemand um Rat fragen. Ich bin fest entschlossen.«

      »Das ist furchtbar!« erwiderte Stepan Arkadjewitsch mit einem schweren Seufzer. »Aber eins würde ich an deiner Stelle tun, Alexei Alexandrowitsch. Ich bitte dich inständig, tue das!« sagte er. »Die Sache ist noch nicht eingeleitet, wenn ich dich recht verstanden habe. Ehe du einen solchen Schritt tust, komm einmal zu meiner Frau, sprich mit ihr. Sie liebt Anna wie eine Schwester, und sie hat auch dich sehr gern, und sie ist eine bewundernswerte Frau. Um Gottes willen, sprich mit ihr! Tu mir die Liebe, ich bitte dich inständig!«

      Alexei Alexandrowitsch überlegte schweigend, und Stepan Arkadjewitsch blickte ihn teilnahmsvoll an, ohne ihn darin zu stören.

      »Willst du zu ihr kommen?« fragte er endlich.

      »Ich bin mir noch nicht schlüssig. Dies ist auch der Grund, weshalb ich nicht zu Ihnen gekommen bin. Ich bin der Ansicht, daß unser Verhältnis sich jetzt ändern muß.«

      »Aber warum denn? Das sehe ich nicht ein. Gestatte mir zu glauben, daß du, ganz abgesehen von unseren verwandtschaftlichen Beziehungen, mir gegenüber wenigstens bis zu einem gewissen Grade die freundschaftlichen Empfindungen hegst, die ich immer für dich gehegt habe ... Und eine aufrichtige Hochachtung«, fügte Stepan Arkadjewitsch noch hinzu, indem er ihm die Hand drückte. »Und selbst wenn deine schlimmsten Vermutungen zuträfen, so würde ich mich nie für berufen halten, über die eine oder die andere Partei den Stab zu brechen, und ich sehe keinen Grund, weshalb unser gegenseitiges Verhältnis sich ändern sollte. Aber jetzt tu, was ich sagte, und komm zu meiner Frau!«

      »Nun, wir haben über die Sache eine verschiedene Anschauung«, versetzte Alexei Alexandrowitsch kühl. »Übrigens, wir wollen nicht weiter davon reden.«

      »Und warum solltest du denn nicht wenigstens heute zu uns zum Essen kommen? Meine Frau erwartet dich. Bitte, komm! Und vor allen Dingen: Sprich mit ihr darüber. Sie ist eine bewundernswerte Frau. Ich bitte dich herzlich, auf den Knien bitte ich dich!«

      »Wenn Sie es so sehr wünschen, so will ich kommen«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch seufzend.

      Und in dem Wunsche, dem Gespräche eine andere Richtung zu geben, fragte er nach etwas, was sie beide interessierte: nach Stepan Arkadjewitschs neuem Vorgesetzten, einem noch ziemlich jungen Manne, der trotzdem auf einmal einen so hohen Posten erhalten hatte.

      Alexei Alexandrowitsch hatte schon vorher den Grafen Anitschkin nicht leiden können und sich immer in Meinungsverschiedenheiten mit ihm befunden; jetzt nun aber konnte er, wie das bei einem Beamten erklärlich ist, sich nicht erwehren, einen Menschen zu hassen, dem eine Beförderung zuteil geworden war, während er seinerseits im Dienste eine Niederlage erlitten hatte.

      »Nun also, bist du schon mit ihm zusammengekommen?« fragte Alexei Alexandrowitsch mit boshaftem Lächeln.

      »Gewiß; er war gestern bei uns in unserm Amt. Er scheint mir eine vortreffliche Geschäftskenntnis zu besitzen und sehr arbeitseifrig zu sein.«

      »Ja, aber worauf richtet sich sein Arbeitseifer?« versetzte Alexei Alexandrowitsch. »Will er Neues schaffen oder nur an dem, was er fertig vorfindet, herumändern? Das ist das Unglück unseres Staates, diese papierne Verwaltungsmethode, deren würdiger Vertreter er ist.«

      »Wirklich, ich weiß nicht, was an ihm auszusetzen wäre. Seine Richtung kenne ich noch nicht; aber das eine weiß ich: er ist ein sehr netter Kerl«, antwortete Stepan Arkadjewitsch. »Ich war jetzt eben bei ihm, und wirklich, er ist ein sehr netter Kerl. Wir haben zusammen gefrühstückt, und ich habe ihm gezeigt, wie man ein schönes Getränk herstellt, aus Wein und Apfelsinen, du wirst es ja kennen. Es ist sehr erfrischend. Ganz erstaunlich, daß er es noch nicht kannte. Aber es schmeckte ihm sehr gut. Nein, wirklich, er ist ein prächtiger Mensch.«

      Stepan Arkadjewitsch sah nach der Uhr.

      »Ach, Herrgott, es geht schon auf fünf, und ich muß noch zu Dolgowuschin! Also bitte, komm zum Essen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr du mich und meine Frau kränken würdest.«

      Alexei Alexandrowitsch begleitete seinen Schwager hinaus und benahm


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