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Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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singender Stimme, »und das unzerreißbare Band der Liebe um sie geschlungen hast, der Du Isaak und Rebekka gesegnet und zu Erben Deiner Verheißung gemacht hast: segne Du selbst auch diese Deine Knechte, Konstantin und Jekaterina, und leite sie zu allem Guten. Denn Du bist ein gütiger und gnädiger Gott, und wir lobsingen Dir, dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste, heut und immerdar, und die Ewigkeiten der Ewigkeiten.« – »Amen!« flutete wieder der Gesang des unsichtbaren Chores durch den Raum.

      »Der Du die Entfernten zusammengeführt hast zur Vereinigung und das Band der Liebe um sie geschlungen hast« – ›wie tiefsinnig sind diese Worte, und wie genau entsprechen sie dem, was man in einem solchen Augenblicke fühlt!‹ dachte Ljewin. ›Ob sie wohl dasselbe fühlt wie ich?‹

      Und nach ihr hinschauend, begegnete er ihrem Blicke.

      Aus dem Ausdruck ihres Blickes schloß er, daß sie dieselben Gedanken habe wie er. Aber diese Annahme traf nicht zu: sie hatte überhaupt fast kein Wort von dem Gottesdienste verstanden und während der Verlobung durch den Priester nicht einmal danach hingehört. Sie war nicht imstande, diese Worte zu hören und zu verstehen; so mächtig war bei ihr das eine Gefühl, das ihre Seele erfüllte und sich immer mehr und mehr steigerte. Dieses Gefühl war die Freude über die abschließende Vollendung dessen, was nun schon anderthalb Monate lang sich in ihrer Seele vollzogen hatte und im Laufe dieser ganzen sechs Wochen ihre Wonne und ihre Qual gewesen war. In ihrer Seele hatte sich an jenem Tage, als sie in ihrem braunen Kleide in dem Saal des Hauses in der Arbat-Straße schweigend zu ihm getreten war und sich ihm zu eigen gegeben hatte – in ihrer Seele hatte sich an diesem Tage und in dieser Stunde ein vollständiger Bruch mit ihrem ganzen früheren Leben vollzogen, und es hatte ein völlig anderes, neues, bisher ihr vollständig unbekanntes Leben begonnen, während sie äußerlich das alte Leben fortsetzte. Diese sechs Wochen waren für sie die seligste und die qualvollste Zeit gewesen. Ihr ganzes Leben, all ihre Wünsche und Hoffnungen hatten sich auf diesen einen ihr noch unverständlichen Mann gerichtet, mit dem sie etwas noch Unverständlicheres, als es der Mann selbst war, verknüpfte, nämlich jenes Gefühl, das sie bald zu ihm hinzog, bald von ihm wegstieß; und zugleich hatte sie in den äußeren Verhältnissen ihres bisherigen Lebens weitergelebt. Während sie so ihr altes Leben fortsetzte, war sie über sich selbst erschrocken gewesen, über ihre völlige, unüberwindliche Gleichgültigkeit gegen ihre ganze Vergangenheit: gegen ihre Sachen, gegen ihre Gewohnheiten, gegen die Menschen, die sie bisher geliebt hatten und noch liebten, gegen ihre Mutter, die sich durch diese Gleichgültigkeit gekränkt fühlte, gegen ihren lieben, zärtlichen Vater, den sie vorher über alles in der Welt geliebt hatte. Bald war sie über diese Gleichgültigkeit erschrocken gewesen, bald hatte sie sich über das gefreut, wodurch diese Gleichgültigkeit hervorgebracht worden war. Sie war zu keinem Gedanken, zu keinem Wunsche fähig gewesen, der außerhalb des Zusammenlebens mit diesem Manne gelegen hätte; aber dieses neue Leben war noch nicht Wirklichkeit gewesen, und sie hatte sich nicht einmal eine klare Vorstellung davon machen können. Es war immer nur die Erwartung dagewesen, die bängliche und freudige Erwartung von etwas Neuem und Unbekanntem. Und jetzt, jetzt sollte nun die Erwartung und die Unklarheit und die Selbstanklage wegen der Abkehr von dem früheren Leben, jetzt sollte das alles ein Ende nehmen und das neue Leben beginnen. Dieses neue Leben mußte ihr, weil es ihr noch unbekannt war, notwendigerweise furchtbar erscheinen; aber mochte es furchtbar sein oder nicht, innerlich, in ihrer Seele, hatte sich der Übergang zu ihm schon vor sechs Wochen vollzogen, jetzt erhielt das, was in ihrer Seele schon längst vorgegangen war, lediglich seine Weihe.

      Sich wieder zum Chorpulte umwendend, wurde der Geistliche nur mit Mühe des kleinen Ringes an Kittys Finger habhaft; dann forderte er Ljewins Hand und steckte ihm Kittys Ring auf das erste Glied seines Fingers. »Es wird verlobt der Knecht Gottes Konstantin und die Magd Gottes Jekaterina.« Und nachdem er Ljewins großen Ring an Kittys kleinen, rosigen Finger gesteckt hatte, in dessen Schwäche etwas Rühren des lag, sprach der Geistliche noch einmal dieselben Worte.

      Die Verlobten versuchten mehrmals zu erraten, was sie nun zu tun hätten, irrten sich aber jedesmal, und der Geistliche gab ihnen dann flüsternd das Richtige an. Nachdem er endlich das Erforderliche erreicht und sie mit den Ringen bekreuzt hatte, übergab er wieder Kitty den großen und Ljewin den kleinen Ring; aber wieder richteten die Verlobten Unordnung an; die Ringe wanderten zweimal aus einer Hand in die andere, und es kam trotzdem nicht das heraus, was verlangt wurde.

      Dolly, Tschirikow und Stepan Arkadjewitsch traten vor, um ihnen behilflich zu sein. Es gab nun einige Verlegenheit, ein Flüstern und Lächeln; aber der feierlich gerührte Ausdruck auf den Gesichtern der Verlobten blieb unverändert; im Gegenteil, während sie mit den Händen Verwirrung anrichteten, blickten sie noch ernster und feierlicher drein als vorher, und das Lächeln, mit dem ihnen Stepan Arkadjewitsch zuflüsterte, jetzt möge jeder seinen eigenen Ring anstecken, erstarb ihm unwillkürlich auf den Lippen. Er fühlte, daß jetzt jedes Lächeln für sie etwas Verletzendes habe.

      »Denn Du hast von Anbeginn her erschaffen das männliche Geschlecht und das weibliche«, las der Geistliche nach dem Wechsel der Ringe, »und von Dir wird dem Manne das Weib beigesellt zur Hilfe und zur Erhaltung des Menschengeschlechtes. Herr, unser Gott, der Du die Wahrheit und Deine Verheißung gesandt hast zu Deinem Erbe, zu Deinen Knechten, unseren Vätern, von Geschlecht zu Geschlecht, Deinen Auserwählten, blicke Du selbst auf Deinen Knecht Konstantin und auf Deine Magd Jekaterina und befestige ihren Bund im Glauben, und in der Einmütigkeit, und in der Wahrheit, und in der Liebe ...«

      Ljewin kam immer mehr und mehr zu der Empfindung, daß alle seine Gedanken über die Ehe, seine Träumereien darüber, wie er sein Leben gestalten wolle, daß das alles kindisch gewesen sei und daß die Ehe etwas sei, was er bisher nicht begriffen habe und jetzt noch weniger zu begreifen vermöge, obwohl es sich an ihm selbst vollziehe. Ein Zittern stieg ihm in der Brust immer höher und höher, und Tränen, die sich nicht wollten zurückhalten lassen, traten ihm in die Augen.

      5

      Ganz Moskau war in der Kirche, Verwandte und Bekannte. Während der Verlobungsfeierlichkeiten wurde in der glänzend beleuchteten Kirche in dem großen Schwarm der geputzten verheirateten Damen und jungen Mädchen sowie der Herren in Frack und weißer Binde und in Uniform ununterbrochen in angemessen leisem Tone eine Unterhaltung geführt, vorzugsweise von den Herren, während die Damen vollauf damit zu tun hatten, alle Einzelheiten der heiligen Handlung zu beobachten, die ihnen ja immer so nahegeht.

      In dem Kreise, der die Braut am nächsten umgab, standen ihre beiden Schwestern: Dolly, die älteste, und Frau Lwowa, die sich aus dem Auslande eingefunden hatte, eine ruhige Schönheit.

      »Was soll das nur vorstellen, daß Marja in einem lila Kleid – es sieht schon mehr schwarz aus – zur Hochzeit gekommen ist?« sagte Frau Korsunskaja.

      »Bei ihrer Hautfarbe ist das für sie die einzige Rettung ...«, antwortete Frau Drubezkaja. »Ich wundere mich, warum die Hochzeit am Abend stattfindet. Das ist doch sonst eigentlich nur in Kaufmannskreisen üblich.«

      »Es ist hübscher so. Ich bin auch am Abend getraut worden«, versetzte Frau Korsunskaja mit einem Seufzer, in Erinnerung daran, wie allerliebst sie an jenem Tage ausgesehen hatte, und wie lächerlich verliebt ihr Mann damals in sie gewesen war, und wie alles jetzt so ganz anders war.

      »Es heißt, wer zehnmal Brautführer gewesen ist, heiratet nicht mehr; ich wollte es gern hier zum zehnten Male sein, um mich zu feien; aber die Stelle war bereits besetzt«, sagte Graf Sinjawin zu der hübschen Prinzessin Tscharskaja, die Absichten auf ihn hatte.

      Die junge Dame antwortete ihm nur mit einem Lächeln. Sie sah Kitty an und dachte, wie und wann sie wohl mit dem Grafen Sinjawin ebenso dastehen werde wie Kitty und wie sie ihn dann an seinen jetzigen Scherz erinnern werde.

      Der junge Schtscherbazki sagte zu dem ältlichen Hoffräulein Nikolajewa, er beabsichtige, die Krone auf Kittys Chignon zu setzen, damit sie in der Ehe glücklich werde.

      »Einen Chignon sollte sie eigentlich heute überhaupt nicht tragen«, antwortete Fräulein Nikolajewa, die mit sich selbst schon längst darüber schlüssig war, daß, wenn der alte Witwer, nach dem sie angelte, sie heiraten würde, die Hochzeit in ganz einfacher


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