Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.
alle diese zu den verschiedenen Beinen gehörigen Strümpfchen, Höschen und Schuhchen im Kopf zu behalten und nicht zu verwechseln, alle die Bändchen und Knöpfchen aufzubinden und aufzuknöpfen, so war doch für Darja Alexandrowna, die selbst immer gern gebadet hatte und es für sehr zuträglich für die Kinder hielt, nichts ein so großer Genuß wie dieses Baden mit allen Kindern zusammen. Alle diese dicken Beinchen anzufassen, indem sie ihnen die Strümpfe auszog, diese nackten Körperchen auf die Arme zu nehmen und ins Wasser zu tauchen und ihr bald fröhliches, bald erschrockenes Kreischen zu hören und diese atemlosen Gesichter mit den weit offenen, ängstlichen, lustigen Augen und alle ihre munter umherspritzenden kleinen Engelchen zu sehen, das war für sie der größte Genuß.
Als schon die Hälfte der Kinder wieder angekleidet war, kamen einige Bauernweiber in ihrem Sonntagsstaat, die ausgegangen waren, um Bärenklau und Bibernell zu suchen, zu dem Badehäuschen und blieben schüchtern an der Tür stehen. Matrona Filimonowna hatte eine von ihnen herbeigerufen, um ihr ein Laken und ein Hemdchen, die ins Wasser gefallen waren, zum Trocknen zu geben, und Darja Alexandrowna ließ sich nun mit den Weibern in ein Gespräch ein. Die Weiber, die anfangs die Fragen nicht verstanden und in die vor den Mund gehaltene Hand hineinlachten, wurden bald dreister und fingen an zu reden; von vornherein gewannen sie Darja Alexandrownas Gunst dadurch, daß sie ihr aufrichtiges Entzücken über die Kinder aussprachen.
»Sieh mal, du nettes Mädel, du bist ja weiß wie Zucker«, sagte die eine, indem sie Tanja bewundernd betrachtete und den Kopf hin und her wiegte. »Aber mager, mager ...«
»Ja, sie ist krank gewesen.«
»Na so was, das Würmchen haben sie auch gebadet«, sagte eine andere mit Bezug auf den Säugling.
»Nein, die ist nicht mit gebadet; sie ist erst drei Monate alt«, antwortete Darja Alexandrowna stolz.
»Ei, sieh mal an!«
»Hast du auch Kinder?«
»Ich habe vier gehabt; zwei sind mir davon am Leben geblieben, ein Knabe und ein Mädchen. Vor den Fasten habe ich das Mädchen entwöhnt.«
»Wie alt ist sie denn?«
»Im zweiten Jahr.«
»Warum hast du sie denn so lange genährt?«
»Das ist bei uns so üblich: drei Fastenzeiten ...«
Und nun wurde das Gespräch für Darja Alexandrowna sehr interessant: wie es mit der Entbindung gegangen sei, was für Krankheiten das Kind durchgemacht habe, wo der Mann sei, ob er viel zu Hause sei.
Darja Alexandrowna mochte sich von den Weibern gar nicht trennen, so lebhaft interessierte sie das Gespräch mit ihnen, so völlig stimmten die beiderseitigen Interessen überein. Am meisten Vergnügen machte es ihr, daß sie deutlich sah, wie sie von all diesen Frauen besonders deswegen angestaunt und bewundert wurde, weil sie so viele und so hübsche Kinder hatte. Auch brachten die Weiber Darja Alexandrowna durch ihr Erstaunen über die Engländerin zum Lachen, während diese sich gekränkt fühlte, weil sie sah, daß man über sie lachte, ohne daß sie den Grund begriff. Eine der jungen Frauen nämlich beobachtete die Engländerin, die sich zuletzt nach den andern wieder ankleidete, und als diese sich nun schon den dritten Unterrock anzog, konnte sich die Bauernfrau einer Bemerkung nicht enthalten: »Seht mal bloß, sie zieht sich einen Rock nach dem andern an, immer mehr, und wird nie fertig!« sagte sie, und alle brachen in lautes Gelächter aus.
9
Umgeben von all ihren frisch gebadeten Kindern mit den nassen Köpfen, war Darja Alexandrowna, die sich ein Tuch um den Kopf gebunden hatte, bei der Heimfahrt schon nicht mehr weit von ihrem Hause entfernt, als der Kutscher zu ihr sagte: »Da kommt ein Herr gegangen; ich glaube, es ist der aus Pokrowskoje.«
Darja Alexandrowna blickte nach vorn und freute sich, als sie in grauem Überrock und mit grauem Hute die wohlbekannte Gestalt Ljewins erblickte, der ihnen entgegenkam. Sie freute sich ja auch sonst immer, wenn sie mit ihm zusammentraf; aber augenblicklich war es ihr besonders lieb, daß er sie in ihrer ganzen mütterlichen Herrlichkeit zu sehen bekam. Und in der Tat konnte niemand dies verständnisvoller würdigen als Ljewin.
Als er sie erblickte, meinte er eines jener Bilder vor sich zu sehen, wie er sie sich über sein eigenes zukünftiges Familienleben ausgemalt hatte.
»Sie sehen ja ganz wie eine Gluckhenne aus, Darja Alexandrowna.«
»Ach, wie freue ich mich«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
»So! Sie sagen, Sie freuen sich, und haben mich gar nicht wissen lassen, daß Sie jetzt hier wohnen. Ich habe meinen Bruder zu Besuch. Eben erst habe ich von Stiwa die Nachricht erhalten, daß Sie hier sind.«
»Von Stiwa?« fragte Darja Alexandrowna verwundert.
»Ja, er schreibt, daß Sie hierher übergesiedelt seien, und meint, Sie würden mir erlauben, Ihnen in der einen oder andern Weise behilflich zu sein«, erwiderte Ljewin; aber sobald er das gesagt hatte, wurde er plötzlich verlegen, brach ab und ging nun schweigend neben dem Wagen her, wobei er junge Lindentriebe abriß und an ihnen herumkaute. Was ihn verlegen gemacht hatte, war der Gedanke, es könne Darja Alexandrowna unangenehm sein, daß ein Fremder ihr Hilfe anbiete in einer Sache, die eigentlich ihr Mann hätte in Ordnung bringen müssen. Und in der Tat fand Darja Alexandrowna diese Art Stepan Arkadjewitschs nicht sehr passend, Geschäfte, die ihm im Interesse seiner Familie oblagen, Fremden aufzuladen. Und sie merkte sofort, daß Ljewin das durchschaute. Eben wegen dieser Feinheit des Verständnisses und wegen dieses Zartgefühls mochte sie ihn so gern leiden.
»Ich habe mir natürlich gesagt«, fuhr Ljewin endlich fort, »daß das nur bedeuten sollte, Sie wünschten mich zu sehen, und habe mich sehr darüber gefreut. Ich kann mir selbstverständlich denken, daß Ihnen, Ihrem städtischen Haushalte gegenüber, hier manches fremd vorkommt, und wenn Sie irgend etwas bedürfen sollten, so stehe ich ganz zu Ihren Diensten.«
»O nein, danke«, erwiderte Dolly. »In der ersten Zeit gab es allerdings manche Unbequemlichkeit; aber jetzt ist alles wunderschön in Ordnung gekommen; das ist das Verdienst meiner alten Kinderfrau«, fügte sie hinzu und wies auf Matrona Filimonowna. Diese merkte, daß von ihr die Rede sei, und lächelte Ljewin vergnügt und freundlich zu. Sie kannte ihn und wußte, daß das ein guter Mann für das Fräulein wäre, und wünschte, daß die Sache zustande käme.
»Belieben Sie sich in den Wagen zu setzen; wir rücken hier ein bißchen zusammen«, sagte sie zu ihm.
»Danke, ich gehe lieber. Kinder, wer kommt zu mir her? Dann wollen wir mit den Pferden um die Wette laufen.«
Die Kinder kannten Ljewin nur sehr wenig und erinnerten sich nicht, wann sie ihn wohl gesehen haben mochten; aber sie zeigten ihm gegenüber nicht jene auffällige Scheu und Abneigung, die Kinder sich verstellenden Erwachsenen gegenüber so oft bekunden und wofür sie so oft streng gescholten werden. Verstellung auf irgendwelchem Gebiete kann den klügsten, scharfsichtigsten Mann täuschen; aber das beschränkteste Kind erkennt sie, mag sie auch noch so kunstvoll versteckt sein, und wendet sich voll Widerwillen ab. Ljewin mochte ja sonst viele Mängel an sich haben, aber von Heuchelei war keine Spur an ihm, und daher bezeigten ihm die Kinder dieselbe Freundlichkeit, die sie auf dem Gesichte der Mutter wahrnahmen. Auf seine Aufforderung sprangen die beiden ältesten sofort zu ihm hinunter und liefen mit ihm ebenso unbefangen, wie sie es mit der Kinderfrau oder mit Miß Hull oder mit der Mutter getan hätten. Auch Lilly wollte gern zu ihm hin, und die Mutter reichte sie ihm hinaus; er setzte sie sich auf die Schulter und lief so mit ihr.
»Haben Sie keine Angst, haben Sie keine Angst, Darja Alexandrowna!« rief er der Mutter heiter lächelnd zu. »Es ist ganz unmöglich, daß ich ihr weh tue oder sie fallen lasse.«
Und da sie sah, mit welcher Kraft und Behendigkeit, mit welcher sorglichen Achtsamkeit, ja übermäßigen Vorsicht er sich beim Laufen bewegte, beruhigte sich die Mutter und lächelte ihm gleichfalls vergnügt und beifällig zu.
Hier auf dem Lande und im Verkehr mit den Kindern und der ihm sehr sympathischen