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Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo CasanovaЧитать онлайн книгу.

Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova


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Küssen glaubte ich Annita zu erkennen und sagte es ihr.

      »Ja, ich bin es«, sagte sie »und erkläre mich und meine Schwester für glücklich, wenn Sie redlich und treu sind.«

      »Bis zum Tode, meine Engel, und da alles, was wir getan, ein Werk der Liebe gewesen, so möge von Angela nie mehr die Rede sein.«

      Ich bat sie dann aufzustehen und Licht anzuzünden; aber die gefällige Marietta stand sogleich auf und ließ uns allein. Als ich Annita, belebt vom Feuer der Liebe, in meinen Armen liegen und Marietta, welche uns durch ihre Blicke der Undankbarkeit anzuklagen schien, daß wir mit ihr nicht sprächen, während sie sich doch zuerst meinen Liebkosungen ergeben und dadurch ihre Schwester zur Nachahmung ermuntert, mit dem Lichte vor mir stehen sah, da fühlte ich mein ganzes Glück.

      »Stehen wir auf, meine Freundinnen, sagte ich zu ihnen, und schwören wir uns ewige Freundschaft.«

      Sobald wir aufgestanden waren, verspeisten wir im Kostüme des goldenen Zeitalters, was von unserm Abendbrote übriggeblieben war. Nachdem wir uns in der Trunkenheit unserer Sinne hunderterlei Sachen gesagt, deren Deutung nur der Liebe zusteht, verging die köstlichste Nacht uns unter gegenseitigen Bezeigungen unserer Glut. Am nächstnächsten Tage stattete ich Madame Orio einen Besuch ab, und da Angela nicht da war, blieb ich zum Abendessen und entfernte mich zu gleicher Zeit mit Herrn Rosa. Während meines Besuches fand Annita Gelegenheit, mir einen Brief und ein kleines Paket zu übergeben. Das Paket enthielt ein Stück Wachs, auf welchem ein Schlüssel abgedrückt war, und der Brief forderte mich auf, den Schlüssel machen zu lassen und alle Nächte, wann ich Lust hätte, bei ihnen zuzubringen. Es wurde mir ferner darin mitgeteilt, daß Angela am folgenden Tage die Nacht bei ihnen geblieben und daß diese bei dem Verhältnisse, worin sie zueinander standen, alles was vorgegangen, erraten, daß sie dies zugestanden und ihr die Schuld beigemessen. Angela habe ihnen hierauf die gröbsten Schmähungen gesagt und ihnen verheißen, nie wieder einen Fuß in ihr Haus zu setzen; ihnen wäre dies aber sehr gleichgültig. Es war gut so, ich verbrachte nun jede Woche eine Nacht bei den reizenden Schwestern und auch später, so oft ich von meinen Reisen nach Venedig zurückkehrte, galt mein Besuch zuerst ihnen.

      4

      Lukrezia

      Diese Liebe, meine erste, gab mir fast gar keine Belehrung für die Welt, denn sie war vollkommen glücklich und wurde durch keine Störung unterbrochen, durch kein Interesse befleckt. Aber mein Glück sollte bald einen großen Umschwung erleiden. Nach einiger Zeit starb meine Großmutter. Daraufhin erhielt ich einen Brief meiner Mutter aus Warschau, wo sie gerade am Theater auftrat. Sie teilte mir mit, daß sie das Haus in Venedig aufgeben müsse, unser Vormund werde für mich und meine Geschwister eine gute Pension besorgen. Was mich beträfe, so habe sie hier einen Kalabreser Mönch kennen gelernt, der durch ihre Bitten bei der Königin von Polen, welche eine Schwester der Königin von Neapel, Bischof geworden sei von Martorano in Kalabrien. In einem halbe Jahre etwa käme der Bischof nach Venedig, von wo er mich mitnähme, um mich auf die geistliche Bahn zu führen. Beigeschlossen war diesem ein salbungsvoller Brief des Bischofs. Also: leb wohl, Venedig! Die Zeit der Eitelkeit ist vorüber, und nur das Große und Gediegene soll mein künftig Lebensziel sein. Da die Wohnung aufgegeben werden sollte, so begann ich einzelne Möbelstücke zu verkaufen, um mir Geld zu verschaffen. Das brachte mir bald in böse Konflikte mit dem Vormund, dem Herrn Grimani, welche damit endeten, daß ich in ein Priesterseminar gesteckt, und da man mich dort wegen eines Streiches auf dem Schlafsaal, der unter jungen Leuten allgemein ist, nicht behalten wollte, die Zeit bis zur Ankunft des Bischofs auf dem Sankt Andreasfort interniert wurde. Dort erfuhr ich zum erstenmal, daß unter den Rosen auch die Schlangen verborgen liegen. Eine Griechin war's, die Frau eines Fähnrichs. Sie behauptete, ihr Mann werde deshalb nicht Leutnant, weil sie sich dem Kapitän nicht hingebe. Mich bat sie, eine Beschwerdeschrift aufzusetzen, und fügte zu meinem Erstaunen gleich hinzu, da sie arm, so wolle sie mich mit ihrem Herzen belohnen. Ich nahm dies an, aber ich hatte nachher eine sechswöchige Kur durchzumachen. Als ich wieder frei wurde und der Bischof endlich ankam, gab es eine neue Enttäuschung. Der Bischof konnte mich nicht sofort mitnehmen, ich sollte erst einige Zeit später über Ankona, Rom, Neapel ihm nachgereist kommen, für welche Reise ich in Ankona das Geld vorfinden würde. Diese Reise wurde zu einer rechten Abenteurerfahrt, die ich zuletzt in Begleitung eines Bettelmönches machte, der stets die Kutte mit den delikatesten Sachen vollgepfropft hatte, die er sich allenthalben zusammenbettelte, so daß er auf die bequemste und faulste Art leben konnte. Der Schluß dieser Reise gelang mir überhaupt nur durch ein Taschenspielerstück, das ich mir mit einem Weinhändler leistete, indem ich ihm ein Geheimnis verkaufte, seinen Muskat zu vermehren. Der Betrug ist ein Laster, aber die anständige List kann als Klugheit gelten. So kam ich zu meinem Bischof, um ihn in einem ganz armseligen Zustand zu finden. Weder Gesellschaft noch eine Bibliothek war in Martorano. Was sollte ich hier tun? Am nächsten Tag bat ich schon den Bischof um seinen Segen, forderte ihn auf, mit mir zu gehn, denn überall könnten wir unser Glück machen. Er lachte wohl darüber, aber er ließ mich allein reisen und adressierte mich an einen Bürger in Neapel, der mir sechzig Dukaten di rigno auszahlen sollte. In Neapel kam ich in die beste Gesellschaft und genoß dort das Leben, nicht zum wenigsten auf Kosten eines Herrn, den ich in der Gesellschaft kennen lernte und der sich als ein Abkömmling eines anderen Zweigs der Casanova entpuppte und sich außerordentlich freute, in mir einen Verwandten begrüßen zu können. Mit schwerem Herzen trennte ich mich von Neapel, um nach Rom zu reisen. Ich war so beschäftigt, meine Tränen zu trocknen, daß ich erst, als wir die Stadt verließen, meine Reisegefährten im Postwagen musterte. Zunächst sah ich an meiner Seite einen Mann von vierzig bis fünfzig Jahren, von angenehmem Äußern und geweckter Miene; aber mir gegenüber fesselten zwei reizende Gestalten meine Blicke, zwei junge und hübsche Damen, sehr gut gekleidet und von offenem und anständigem Aussehen. Diese Entdeckung war mir sehr angenehm; aber mein Herz war schwer und Schweigen notwendig für mich. Wir langten in Aversa an, ohne daß von irgendeiner Seite ein Wort gesprochen worden wäre, und da uns der Fuhrmann sagte, er wolle nur seine Maultiere füttern, so stiegen wir nicht aus. Von Aversa bis Capua plauderten meine Gefährten fast ununterbrochen, und unglaublich genug, ich öffnete fast nicht ein einziges Mal den Mund. Ich freute mich über die neapolitanische Mundart meines Reisegefährten und die hübsche Sprache der beiden Damen, welche Römerinnen waren. Von meiner Seite war es eine wahre Kraftanstrengung, zwei reizenden Frauen fünf Stunden lang gegenüber zu sitzen, ohne ein einziges Mal das Wort oder das geringste Kompliment an sie zu richten. In Capua angelangt, stiegen wir in einem Gasthause ab, wo man uns ein Zimmer mit zwei Betten gab, in Italien etwas sehr Gewöhnliches. Hier redete mich der Neapolitaner an: »Ich werde also die Ehre haben, bei dem Herrn Abbé zu schlafen.«

      Ich antwortete mit sehr ernster Miene, das es ihm freistehe zu wählen und auch andre Anordnungen zu treffen. Diese Antwort brachte die eine Dame zum Lachen, gerade die, welche mir am besten gefiel, und ich hielt dies für eine gute Vorbedeutung. In den gleichgültigen Gesprächen, welche beim Abendessen geführt wurden, fand ich Anstand, Geist und feine Sitte. Das machte mich neugierig. Nach dem Abendessen begab ich mich hinunter und fragte unsern Fuhrmann, wer die Reisenden wären. Der Herr, sagte er, ist Advokat, und die eine der beiden Damen ist seine Gemahlin, aber ich weiß nicht welche. Als ich wieder zurückgekehrt war, hatte ich die Höflichkeit, mich zuerst zu Bett zu legen, um den Damen die Freiheit zu lassen, sich bequem auskleiden zu können, und am Morgen stand ich zuerst auf, ging weg und kam erst wieder, als ich zum Frühstück gerufen wurde. Wir hatten ausgezeichneten Kaffee, welchen ich sehr rühmte, und die hübscheste versprach mir ebensolchen für die ganze Reise. Nach dem Frühstück kam ein Barbier, und der Advokat ließ sich rasieren; der Schalk bot auch mir seine Dienste an, ich aber sagte ihm, daß ich seiner nicht bedürfe, worauf er sich mit der Bemerkung entfernte, daß der Bart eine Unreinlichkeit sei. Als wir im Wagen saßen, äußerte der Advokat, fast alle Barbiere wären frech.

      »Es fragt sich«, sagte die Schöne, »ob der Bart eine Unreinlichkeit sei oder nicht.«

      »Ja«, sagte der Advokat, »denn er ist ein Exkrement.«

      »Das ist möglich«, versetzte ich, »aber man betrachtet ihn nicht als solches. Nennt man die Haare welche man so sehr pflegt und welche derselben Art sind, wohl ein Exkrement? Im Gegenteil, man bewundert ihre Schönheit


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