Die wichtigsten Biologen. Ralf KlingerЧитать онлайн книгу.
Übergang von einer rein beobachtenden Naturkunde zu einer Wissenschaft, die Fragen stellt und experimentell beantwortet, hat Hans Spemann durch seine sorgsam geplanten Untersuchungen entscheidend geprägt. Für seine grundlegenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungsgeschichte der Tiere, der Ontogenese, hat er im Jahr 1935 als bis dahin zweiter Biologe den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhalten.
Am 27. Juni 1869 kam Sohn Hans als erstes von fünf Kindern der Familie Spemann in Stuttgart zur Welt. Sein Vater, Johann Wilhelm Spemann, hatte einen großen Verlag für Kunst- und schöngeistige Literatur. In den gutbürgerlichen Kreisen achtete man sehr auf eine hervorragende Erziehung der Kinder, teilweise unterstützt durch einen Privatlehrer. Hans war ein guter Schüler und kann sich nach dem Abitur, 1888 am Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart, und einer Lehre im väterlichen Geschäft im Herbst des Jahres 1891 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg für das Medizinstudium einschreiben. (Passage verschoben) Nach dem Physikum verließ er Heidelberg und wechselte nach München, um dort sein Studium fortzusetzen. Die klinische Medizin war nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Immer mehr erwachte in ihm das Interesse an der Biologie, speziell an der Entstehung und der Entwicklung tierischen Lebens. Auf Anraten seiner Münchener Dozenten bemühte er sich im Frühjahr 1894 bei Professor Theodor Boveri in Würzburg, einem wegen seiner experimentellen Arbeiten auf dem Gebiet der Embryologie schon mit 32 Jahren sehr angesehenen Wissenschaftler, mit Erfolg um ein Thema für eine Doktorarbeit. Um die Familie seiner Frau nicht zu kompromitieren, soll er eine Dissertation über die Entwicklung der Geschlechtsorgane beim Bandwurm abgelehnt und stattdessen die Entwicklung des parasitischen Fadenwurms (Strongylus paradoxus) als Thema gewählt haben. 1895 wurde er in Würzburg promoviert. (Passage hierher verschoben) Ein Jahr darauf, im Frühsommer 1896, heiratete er seine Jugendliebe, Klara Binder. Das Paar hatte drei Söhne und eine Tochter. Ein Lungenspitzenkatarrh zwang ihn zu pausieren. Den Winter 1896/97 verbrachte er in Sanatorien in den Schweizer und Italienischen Alpen.
Nach seiner Habilitation im Frühjahr 1898 wurde er Privatdozent am Würzburger Zoologischen Institut. Er arbeitete weiterhin eng mit Boveri zusammen, widmete sich der Lehre und sammelte zudem wertvolle Erfahrungen auf dem administrativen Sektor der Hochschule. In dieser Würzburger Zeit vollzog er den Wechsel von der rein deskriptiven Arbeit zur experimentellen entwicklungsphysiologischen Methodik. Als Versuchstier erschienen ihm Frösche und Molche besonders geeignet, da sie neben guter Verfügbarkeit transparente Eihüllen besitzen, so daß er die Auswirkungen seiner experimentellen Eingriffe in die Embryonalentwicklung von Anfang an unmittelbar verfolgen konnte. Er entdeckte, daß sich schon in einem sehr frühen Stadium der Keimesentwicklung eine Zellregion, die er wegen Farbe und Form den »Grauen Halbmond« genannt hat, zu einer Art Steuerungszentrale entwickelt, ohne die eine geordnete Entwicklung des Keimlings unterbleibt. Seine Arbeiten weckten das Interesse der Mediziner, die sich mit Hilfe der von Spemann gewonnenen Erkenntnisse weitergehende Einblicke in die Entstehung siamesischer Zwillinge beim Menschen versprachen. Fast zehn Jahre mußte er warten, bis an den Universitäten des Deutschen Kaiserreiches endlich wieder eine Professur für Zoologie oder vergleichende Anatomie zu besetzen war. 1908 erhielt er den Ruf als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Zoologie und vergleichende Anatomie in Rostock. Lehre und Verwaltungsaufgaben ließen wenig Zeit für die weitere Forschungen; so war er schließlich froh, daß er im Herbst 1914 als zweiter Direktor an das neu gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin-Dahlem wechseln konnte. Hier konnte er sich wieder ganz seiner Forschung widmen. Immer präziser wurden seine Vorstellungen über die Steuerungsvorgänge bei der Bildung der einzelnen Organe und über das koordinierende Zusammenwirken einzelner Zellregionen bei der weiteren Ausdifferenzierung des Embryos.
Der erste Weltkrieg brachte zunehmend Einschränkungen für den Forscher. Begonnene Arbeiten mussten unvollendet abgebrochen werden, weil Mitarbeiter an die Front eingezogen wurden, und die räumliche Situation wurde immer beengter, weil das Militär Arbeitsräume für ihre kriegswichtigen Forschungen in Beschlag nahm.
Nach dem Ende des Krieges verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Strömungen in Deutschland, Unruhen und Straßenkämpfe in Berlin behinderten seine Arbeit. In dieser Situation nahm Spemann im Frühjahr 1919 den Ruf in das ruhigere Freiburg dankbar an. Dort konnte er sich endlich wieder der Lehre widmen, die ihm in Berlin mehr und mehr gefehlt hatte. In Freiburg nahm er eine große Zahl von Doktoranden an. In seiner wissenschaftlichen Arbeit erreichte er jetzt den Durchbruch zu einem weltweit beachteten Entwicklungsphysiologen. Er wurde Mitherausgeber einer angesehenen Fachzeitschrift, lud Kollegen aus aller Welt zu Fachkongressen nach Freiburg, erhielt zahlreiche Ehrungen und war ein begehrter Gastredner. Allein dreimal wurde er zu Vorträgen in die USA eingeladen. Daneben machte er die Bildung breiter Bevölkerungsschichten zu seiner zweiten wichtigen Aufgabe, da er das unterschiedliche Bildungsniveau in der Bevölkerung mit Sorge betrachtete. Er wurde Vorsitzender der neu gegründeten Volkshochschule in Freiburg und engagierte sich besonders für die Jugend, führte die Gruppenarbeit ein und bildete Diskussionsforen.
Als sich die politischen Verhältnisse in Deutschland nach 1918 abermals änderten, blieb er zurückhaltend und wurde wegen seiner nicht genehmen politischen Haltung von den Nationalsozialisten schon im Jahr 1933 als Vorsitzender der Volkshochschule abgesetzt. Er blieb sich treu, vermeidete in seinen Briefen den obligatorisch gewordenen Hitlergruß, unterzeichnete statt dessen seine Schreiben weiterhin mit »Hochachtungsvoll« und half nach Kräften jüdischen Schülern und Kollegen. Als er im Jahr 1935 für sein wissenschaftliches Werk den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhielt – er sei durch die Verleihung des Preises wohl bekannter, aber nicht gescheiter geworden –, nutzte er die Popularität eines frisch ernannten Nobelpreisträgers im darauffolgenden Jahr auf dem zoologischen Kongreß in Freiburg, um entgegen der Zeitströmung unter dem Hinweis auf den völkerverbindenden Charakter der Naturwissenschaften noch einmal für die Unabhängigkeit der biologischen Wissenschaften einzutreten.
Spemann sollte das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland nicht mehr miterleben. Er starb nach immer häufiger auftretenden Erkrankungen am 12. September des Jahres 1941 an Herzversagen.
Werke
Spemann, H., 1936: Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung. Berlin, 296 S.
Spemann, H, 1943: Forschung und Leben. Stuttgart, 344 S.
Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet, Chevalier de Lamarck
(1.8.1744–28.12.1829)
Der Name dieses französischen Wissenschaftlers fällt regelmäßig im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie, die später von Darwin (1809–1882) und Wallace (1823–1913) entwickelt worden ist. Lamarcks Theorie der Transformation der Arten wird allgemein auf die Vererbung erworbener Eigenschaften reduziert. Unerwähnt bleibt meist, dass er in seiner Transformationstheorie die Spontanentstehung von Leben annimmt. Die spontan entstandenen Lebensformen besäßen demnach den einfachsten Bauplan. Dieser wird im Laufe der Zeit zunehmend komplexer, so dass das höchstentwickelte Wesen – der Mensch – der Theorie nach die älteste Lebensform der Erde darstellen muss.
Es wäre wahrlich zu kurz gegriffen, würde man diese Theorie als das Hauptwerk des Wissenschaftlers Lamarck hervorheben, obwohl seine Bekanntheit heute darauf beruht. Die Bedeutung dieses Mannes ergibt sich vielmehr daraus, dass er als Begründer der modernen Biologie gelten kann, der dieser Wissenschaft nicht nur ihren heute gebräuchlichen Namen Biologie gab, sondern auch die Einteilung des Tierreichs in seine Stämme und Klassen in ihren Grundzügen anlegte.
Als elftes Kind der Eheleute Marie-Francoise de Fontaines de Chuignolles und Philippe Jacques de Monet de la Marck wurde Jean-Baptiste am 1. August 1744 in einem kleinen Ort in der Picardie im Nordwesten Frankreichs geboren. Die Familie gehörte dem niederen Adel an und lebte in bescheidenen Verhältnissen. Der Vater bestimmte für Jean-Baptiste den Beruf eines Geistlichen. Nur widerwillig begann der Elfjährige seine Schulausbildung am Jesuiten-Kolleg im benachbarten Amiens. Er verließ es sofort, als sein Vater 1759 starb und meldete sich freiwillig zur Armee. Er wollte Offizier werden wie seine Brüder und wie es auch der Tradition der Familie entsprach. Mit großer Tapferkeit beteiligte er sich am Siebenjährigen Krieg (1756–1763) und wurde nach Kriegsende