Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten. Frank RehfeldЧитать онлайн книгу.
"Von der Art seines Auftretens her verkörperte er deine Rolle sogar um einiges besser als du selbst", mischte sich Maziroc spöttisch ein, der die Tür unbemerkt geöffnet hatte. In der Hand hielt er einen Krug mit dampfend heißem Wasser, und über dem Arm trug er einige weiße Tücher. "Nach unserer Rückkehr habe ich ihm den versprochenen Lohn gezahlt und mit einer leichten Beeinflussung dafür gesorgt, dass er sich erst gar nicht mehr an seine Hilfe erinnert."
"Scruul steckte hinter allem", erklärte Miranya. Mit einem Messer schnitt sie den Ärmel von Kenran'Dels Hemd an der Schulter ab. Durch das getrocknete Blut klebte der Stoff regelrecht an der Haut, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihn mit einem Ruck abzureißen. Zischend sog Kenran'Del die Luft ein, beschwerte sich jedoch nicht. "Ich habe ihn zufällig überrascht, als er mit einem Helfer sprach. Sie hatten ohnehin vor, mich für einen Austausch zu entführen, aber nachdem ich herausgefunden hatte, dass er dem Dunklen Bund angehört, konnten sie mich nicht mehr am Leben lassen."
Während sie sprach, befeuchtete sie eines der Tücher mit dem heißen Wasser, dann säuberte sie die Wunde und ihr Umfeld damit. Es dauerte lange und tat mit Sicherheit ziemlich weh, doch Kenran'Del ließ die Prozedur fast ohne einen Muckser über sich ergehen. Auf seiner Stirn allerdings glitzerten Schweißperlen.
"Der Dunkle Bund", wiederholte Maziroc bedrückt und schüttelte den Kopf. "Wie konnte ich mich nur so in Scruul täuschen? Er hat mich über Tage und Wochen hinweg an der Nase herumgeführt, ohne dass ich etwas gemerkt habe."
"Er hat uns alle an der Nase herumgeführt", korrigierte Miranya. Sie überlegte, ob sie ihm von dem Unbehagen erzählen sollte, dass sie stets in Scruuls Nähe verspürt hatte, schwieg dann aber lieber darüber. Es hätte zu sehr danach ausgesehen, als ob sie ihr Gespür nachträglich aufwerten wollte. "Aber sein Plan ist gescheitert, das ist alles, worauf es ankommt."
"Trotzdem", beharrte Maziroc. "Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass mir solche Fehler unterlaufen dürften, durch die der gesamte Erfolg dieser Expedition gefährdet wird. Es war ja nicht der Einzige. Ohne das Eingreifen der Zwerge wären wir alle bereits tot."
"Aber du hast die Zitadelle erreicht, und es ist dir gelungen, Kenran'Del aus seinem magischen Schlaf zu erwecken. Das ist alles, was jetzt zählt." Miranya legte das Tuch zur Seite und griff stattdessen nach einem kleinen Fläschchen, das aus ihren Vorräten stammte. Sie entkorkte es und tröpfelte etwas von der klaren Flüssigkeit, die sich darin befand, auf die Wunde. Kenran'Del bäumte sich auf und stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus. Als er sich wieder zurücksinken ließ, war sein Gesicht leichenblass.
"Offenbar hat er mich nur erweckt, damit Ihr mich jetzt langsam zu Tode foltern könnt", presste er mit Galgenhumor hervor. "Könnt Ihr mich zum Dank für Eure Rettung nicht wenigstens schnell umbringen?"
Miranya musste seine Tapferkeit bewundern. Sie wusste, dass das Elixier geradezu höllisch brannte, doch dafür verhinderte es besser als jedes andere ihr bekannte Mittel, dass eine Wunde sich entzündete und vereiterte.
"Das Schlimmste ist nun vorbei", erklärte sie. "Versucht Euch zu entspannen, es wird nicht mehr wehtun." Sie blickte Maziroc an. "Es ist besser, wenn du uns allein lässt. Je weniger Ablenkung ich habe, desto besser kann ich mich konzentrieren."
"Wahrscheinlich will sie nur keine Zeugen für die Folter und den Mord an mir haben", kommentierte Kenran'Del. Sein Atem ging immer noch schnell und stoßweise, doch mit dem Abklingen der Schmerzen beruhigte er sich allmählich wieder. "Wenn ich nur wüsste, warum sie mich so hasst."
"Vielleicht findest du es ja noch heraus, bevor sie dich auf die Reise zu den Göttern schickt", sagte der Magier grinsend, während er das Zimmer wieder verließ.
"Nicht mal auf seinen besten und einzigen Freund kann man sich verlassen", brummte Kenran'Del. "Wenn ich das nächste Mal jemanden rette, lasse ich mir vorher schriftlich geben, dass ich nicht zum Dank gequält und misshandelt werde."
Miranya blickte ihn an und spürte ein merkwürdiges Prickeln, als ihre Blicke sich trafen. Trotz seiner Lachfältchen standen in seinen Augen Weisheit und ein schier ungeheures Wissen geschrieben, aber auch ein Schmerz und eine Traurigkeit, die ihr erst jetzt in ihrer vollen Intensität bewusst wurden und sie auf sonderbare Weise anrührten.
Sie räusperte sich und wich seinem direkten Blick aus. "Warum setzt Ihr Euch dieser Behandlung dann aus?", erkundigte sie sich.
"Was meint Ihr?"
"Ich meine damit, dass Ihr angeblich über Hilfsmittel verfügen sollt, mit denen Ihr wahre Wunder bewirken könnt. Einige davon habe ich ja schon kennengelernt. Ihr besitzt ein Schwert, mit dem Ihr Blitze schleudern könnt, und darüber hinaus könnt Ihr Euch unsichtbar machen. Deshalb gehe ich davon aus, dass es vermutlich auch nur eine Kleinigkeit für Euch wäre, eine solche Wunde zu heilen, und das auf wesentlich weniger schmerzhafte Weise. Warum also nehmt Ihr meine Hilfe in Anspruch?"
Er zögerte, und gleichzeitig schien in seinem Inneren eine Verwandlung vor sich zu gehen. Obwohl er weiterhin ruhig liegen blieb, wirkte er plötzlich angespannt, wie ein zum Sprung bereites Raubtier.
"Mir scheint, Ihr überschätzt meine Fähigkeiten", antwortete er mit deutlich kühlerer Stimme als zuvor. "Ich bin keineswegs allmächtig. Ich weiß nicht, was Maziroc Euch alles über mich erzählt hat, aber offenbar hat er hemmungslos übertrieben."
"So, hat er?" Die Antwort war Miranya zu einfach, und ihr Tonfall machte deutlich, dass sie ihm seine Worte nicht so ohne Weiteres abnahm. "Aber darüber können wir später noch sprechen, vorausgesetzt, Ihr zieht es nicht vor, unangenehme Fragen einfach zu ignorieren."
Für einen kurzen Moment blitzte Verärgerung in seinem Blick auf, verschwand aber gleich darauf wieder.
"Ich weiß nicht, warum Ihr mich offenbar ständig zu provozierend versucht", erwiderte er mit ruhiger, beherrschter Stimme. "Offenheit ist mir lieber als demütige Verehrung, wie sie mir vor allem früher des Öfteren entgegengeschlagen ist. Bei Euch jedoch scheint das genaue Gegenteil der Fall zu sein. Ich glaube nicht, dass ich Euch irgendwelchen Grund für ein solches Misstrauen und eine solche Ablehnung geboten habe."
"Lasst mich Eure Wunde erst fertig versorgen", sagte sie ausweichend und biss sich auf die Lippe. Es bedrückte sie ein wenig, dass er diesen Eindruck von ihr gewonnen hatte. Ihre Worte hatten weder Misstrauen noch Ablehnung ausdrücken sollen. Eher schon waren sie Zeugnis ihrer eigenen Unsicherheit. Inzwischen betrachtete sie Kenran'Del kaum noch als eine Legendengestalt, sondern sah in ihm in erster Linie einfach nur einen Menschen. Durch seine lockere, humorvolle Art hatte er selbst am meisten zu dieser Entwicklung beigetragen, aber wohl auch die Tatsache, dass sie ihm gerade hatte helfen müssen. Ein mythisches Überwesen war er also ganz sicher nicht.
Es war immer noch irritierend, ihn mental nicht spüren zu können, eigentlich der einzige Hinweis darauf, dass er eben doch nicht einfach nur ein normaler Mensch war. Aber auch das war nicht die Ursache für die Unsicherheit, die sie ihm gegenüber empfand. Aus irgendeinem Grund war es ihr unterbewusst ausgesprochen wichtig, seine Achtung und seinen Respekt zu erlangen. Vielleicht bemühte sie sich gerade deshalb zu demonstrieren, dass er sie nicht so ohne Weiteres einwickeln konnte. Allerdings stellte sie sich dabei offenbar reichlich ungeschickt an und hatte ihn lediglich verärgert.
Mit aller Macht versuchte sie, diese Gedanken für den Moment erst einmal zu verdrängen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Verletzung, tastete mit ihrem Geist nach dem wunden Fleisch und wirkte mit ihrer magischen Heilkraft darauf ein. Auf diese Art regte sie es zu einem um ein Vielfaches beschleunigten Heilprozess an, als dieser normalerweise ablaufen würde. Die Reizung und Entzündung ging zurück, Schorf bildete sich rasch, der in Windeseile neuem Fleisch wich.
Aber auch Miranyas Möglichkeiten waren Grenzen gesetzt, schließlich konnte sie nicht die Zeit schneller ablaufen lassen, sondern lediglich die Heilung beschleunigen. Aber als sie ihre geistigen Finger mit einem erschöpften Seufzer zurückzog, befand sich die Wunde bereits in einem fortgesetzten Stadium der Heilung. Sie hatte sich geschlossen, und selbst bei einer starken Belastung bestand kaum mehr Gefahr, dass sie noch einmal aufbrechen würde. Zur Sicherheit, und um auch