Ungeduld des Herzens / Нетерпение сердца. Стефан ЦвейгЧитать онлайн книгу.
zu machen. Der Diener – alt, diskret, gute Livree – nimmt meine Karte und murmelt entschuldigend, die Herrschaften würden auf das höchste bedauern, Herrn Leutnant versäumt zu haben, aber sie seien in der Kirche. Um so besser, denke ich mir, Antrittsvisiten sind immer das Grausigste im Dienst und außer Dienst. Jedenfalls, ich habe meine Pflicht getan. Mittwoch abend gehst du hin und hoffentlich wird’s nett. Erledigt, denke ich, Angelegenheit Kekesfalva bis Mittwoch. Aber redlich erfreut finde ich zwei Tage später, Dienstag also, eine eingebogene Visitenkarte von Herrn von Kekesfalva in meiner Bude abgegeben. Tadellos, denke ich mir, die Leute haben Manieren. Gleich zwei Tage nach der Antrittsvisite mir, dem kleinen Offizier, einen Gegenbesuch – mehr Höflichkeit und Respekt kann ein General sich nicht wünschen. Und mit einem wirklich guten Vorgefühl freue ich mich jetzt auf den Mittwochabend.
Aber gleich anfangs fährt ein Schabernack dazwischen – man sollte eigentlich abergläubisch sein und auf kleine Zeichen mehr achten. Mittwoch halb acht Uhr abends, ich bin schon fix und fertig, die beste Uniform, neue Handschuhe, Lackschuhe, die Hose scharf wie eine Rasierschneide gebügelt, und mein Bursche legt mir gerade noch die Falten des Mantels zurecht und revidiert, ob alles klappt (ich brauche immer meinen Burschen dazu, denn ich habe nur einen kleinen Handspiegel in meiner schlecht beleuchteten Bude), da poltert’s an die Tür: eine Ordonnanz. Der Offizier vom Dienst, mein Freund, der Rittmeister Graf Steinhübel, läßt mich bitten, ich solle zu ihm hinüber in den Mannschaftsraum. Zwei Ulanen, sternhagelbesoffen wahrscheinlich, haben miteinander krawalliert, schließlich hat der eine den andern mit dem Karabiner über den Kopf geschlagen. Und nun liegt der Tolpatsch da, blutend, ohnmächtig und mit offenem Mund. Man weiß nicht, ob sein Schädel überhaupt noch ganz ist oder nicht. Der Regimentsarzt aber ist auf Urlaub nach Wien abgeschwommen, der Oberst nicht zu finden; so hat in seiner Not der gute Steinhübel, verflucht, gerade mich herangetrommelt, daß ich ihm beispringe, indes er sich um den Blutenden bemüht, und ich muß jetzt Protokoll aufnehmen und nach allen Seiten Ordonnanzen schicken, damit man im Kaffeehaus oder sonstwo rasch einen Zivilarzt auftreibt. Unter all dem wird es dreiviertel acht. Ich sehe schon, vor einer Viertel-oder einer halben Stunde kann ich keinesfalls loskommen. Verdammt, justament heute muß eine solche Sauerei passieren, justament heute, wo ich eingeladen bin! Immer ungeduldiger sehe ich auf die Uhr; unmöglich pünktlich zurechtzukommen, wenn ich hier auch nur noch fünf Minuten herummurksen muß. Aber Dienst, so ist’s uns ja bis in die Knochen gebleut, geht über jede private Verpflichtung. Ich darf nicht auskneifen, so tue ich das einzig Mögliche in dieser vertrackten Situation – das heißt, ich schicke meinen Burschen mit einem Fiaker (vier Kronen kostet mich der Spaß) zu den Kekesfalva hinaus, ich ließe um Entschuldigung bitten, falls ich mich verspäten sollte, aber ein unvermuteter dienstlicher Vorfall, und so weiter und so weiter. Glücklicherweise dauert der Rummel in der Kaserne nicht allzu lange, denn der Oberst erscheint in Person mit einem rasch aufgefundenen Arzt, und nun darf ich mich unauffällig drücken.
Aber neues Pech: gerade heute steht am Rathausplatz kein Fiaker, ich muß warten, bis man ein achthufiges Gefährt herantelephoniert. So wird’s unvermeidlich, daß, wie ich schließlich bei Kekesfalvas in der großen Hall lande, der lange Zeiger an der Wanduhr schon vertikal herunterhängt, genau halb neun statt acht Uhr, und ich sehe, die Mäntel in der Garderobe bauschen sich bereits dick übereinander. Auch an dem etwas befangenen Gesicht des Dieners merke ich, daß ich reichlich verspätet anrücke – unangenehm, unangenehm, so etwas gerade bei einem ersten Besuch!
Immerhin, der Diener – diesmal weiße Handschuhe, Frack, steifes Hemd und Gesicht – beruhigt mich, mein Bursche habe vor einer halben Stunde meine Botschaft überbracht, und führt mich in den Salon, vierfenstrig, rotseiden ausgespannt, glühend mit kristallenen Leuchtern, fabelhaft elegant, ich habe nie etwas Nobleres gesehen. Aber leider erweist er sich zu meiner Beschämung als völlig verlassen, und von nebenan höre ich deutlich munteres Tellerklirren – ärgerlich, ärgerlich, ich dachte mir’s gleich, sie sitzen schon bei Tisch!
Nun, ich raffe mich zusammen, und sobald der Diener vor mir die Schiebetür auftut, trete ich bis an die Schwelle des Speisezimmers, klappe die Hacken scharf zusammen und verbeuge mich. Alles blickt auf, zwanzig, vierzig Augen, lauter fremde Augen, mustern den Spätling, der sich nicht sehr selbstbewußt vom Türstock rahmen läßt. Sofort erhebt sich ein älterer Herr, der Hausherr zweifellos, tritt, die Serviette rasch abstreifend, mir entgegen und bietet mir einladend die Hand. Gar nicht, wie ich ihn mir vorgestellt habe, gar nicht wie ein Landedelmann magyarisch-schnurrbärtig, vollbäckig, feist und rötlich vom guten Wein, sieht dieser Herr von Kekesfalva aus. Hinter goldener Brille schwimmen ein bißchen müde Augen über grauen Tränensäcken, die Schultern scheinen etwas vorgeneigt, die Stimme klingt flüstrig und ein wenig vom Hüsteln gehemmt: für einen Gelehrten könnte man ihn eher halten, mit diesem schmalen zarten Gesicht, das in einem dünnen weißen Spitzbärtchen endet. Ungemein beschwichtigend wirkt die besondere Artigkeit des alten Herrn auf meine Unsicherheit: nein, nein, an ihm sei es, sich zu entschuldigen, fällt er mir gleich ins Wort. Er wisse genau, was im Dienst alles passieren könne, und es sei eine besondere Freundlichkeit meinerseits gewesen, ihn eigens zu verständigen; nur weil man meines Eintreffens nicht sicher gewesen sei, hätte man schon mit dem Diner begonnen. Aber nun solle ich unverweilt Platz nehmen. Er werde mich dann später mit all den Herrschaften einzeln bekannt machen. Nur hier – dabei geleitet er mich an den Tisch – seine Tochter. Ein halbwüchsiges Mädchen, zart, blaß, fragil wie er selbst, blickt aus einem Gespräch auf, zwei graue Augen streifen mich schüchtern. Aber ich sehe bloß wie im Flug das schmale, nervöse Gesicht, verbeuge mich erst vor ihr, dann korporativ rechts und links gegen die andern, die offenbar froh sind, Gabel und Messer nicht weglegen zu müssen, um durch umständliche Vorstellungszeremonien gestört zu werden.
Die ersten zwei, drei Minuten fühle ich mich noch herzlich unbehaglich. Niemand vom Regiment ist da, kein Kamerad, kein Bekannter, und nicht einmal jemand von den Honoratioren des Städtchens – ausschließlich fremde, stockfremde Menschen. Hauptsächlich scheinen es Gutsbesitzer aus der Umgebung zu sein mit ihren Frauen und Töchtern oder Staatsbeamte. Aber nur Zivil, Zivil, keine andere Uniform als die meine! Mein Gott, wie soll ich ungeschickter, scheuer Mensch mit diesen unbekannten Leuten Konversation machen? Glücklicherweise hatte man mich gut placiert. Neben mir sitzt das braune, übermütige Wesen, die hübsche Nichte, die damals meinen bewundernden Aufblick in der Konditorei doch bemerkt zu haben scheint, denn sie lächelt mir freundlich wie einem alten Bekannten zu. Sie hat Augen wie Kaffeebohnen, und wirklich, es knistert, wenn sie lacht, wie Bohnen beim Rösten. Sie hat entzückende, kleine, durchleuchtende Ohren unter dem dichten schwarzen Haar: wie rosa Zyklamen mitten im Moos, denke ich. Sie hat nackte Arme, weich und glatt; wie geschälte Pfirsiche müssen sie sich anfühlen.
Es tut wohl, neben einem so hübschen Mädchen zu sitzen, und daß sie mit einem vokalischen ungarischen Akzent spricht, macht mich beinahe verliebt. Es tut wohl, in einem so funkelnd hellen Raum an einem so vornehm gedeckten Tisch zu tafeln, hinter sich livrierte Diener, vor sich die schönsten Speisen. Auch meine Nachbarin zur Linken, die wieder mit leicht polnischem Tonfall redet, scheint mir, wenn auch schon etwas massiv, eigentlich appetissant. Oder macht das nur der Wein, der goldhelle, dann wieder blutdunkle und jetzt champagnerperlende Wein, den von rückwärts her die Diener mit ihren weißen Handschuhen aus silbernen Karaffen und breitbäuchigen Flaschen geradezu verschwenderisch einschenken? Wahrhaftig, der wackere Apotheker hat nicht geflunkert. Bei Kekesfalvas geht es zu wie bei Hof. Ich habe noch nie so gut gegessen, nie mir überhaupt träumen lassen, daß man so gut, so nobel, so üppig essen kann. Immer köstlichere und kostbarere Gerichte schweben auf unerschöpflichen Schüsseln heran; blaßblaue Fische, von Lattich gekrönt, mit Hummerscheiben umrahmt, schwimmen in goldenen Saucen, Kapaune reiten auf breiten Sätteln von geschichtetem Reis, Puddinge flammen in blaubrennendem Rum, Eisbomben quellen farbig und süß auseinander, Früchte, die um die halbe Welt gereist sein müssen, küssen einander in silbernen Körben. Es nimmt kein Ende, kein Ende und zum Schluß noch ein wahrer Regenbogen von Schnäpsen, grün, rot, weiß, gelb, und spargeldicke Zigarren zu einem köstlichen Kaffee!
Ein herrliches, ein zauberisches Haus – gesegnet sei er, der gute Apotheker! – ein heller, ein glücklicher, ein klingender Abend! Ich weiß nicht, fühle ich mich nur deshalb so aufgelockert und frei, weil rechts und links und gegenüber nun auch die andern glitzernde Augen und laute Stimmen bekommen haben, weil sie gleichfalls