Der Golem / Голем. Густав МайринкЧитать онлайн книгу.
es stehe wieder etwas Unerklärliches nahe bevor, befiel mich einen Augenblick lang; dieselbe Angst, die ich schon einmal in meinen Kinderjahren verspürt, als die ersten spukhaften Äußerungen des Golem ihre Schatten vorauswarfen.
Sechsundsechzig Jahre ist das wohl jetzt her und knüpft sich an einen Abend, an dem der Bräutigam meiner Schwester zu Besuch gekommen war, und in der Familie der Tag der Hochzeit festgesetzt werden sollte.
Es wurde damals Blei gegossen – zum Scherz – und ich stand mit offenem Munde dabei und begriff nicht, was das zu bedeuten habe, – in meiner wirren, kindlichen Vorstellung brachte ich es in Zusammenhang mit dem Golem, von dem ich meinen Großvater oft hatte erzählen hören, und bildete mir ein, jeden Augenblick müsse die Tür aufgehen und der Unbekannte eintreten.
Meine Schwester leerte dann den Löffel mit dem flüssigen Metall in das Wasserschaff und lachte mich, der ich aufgeregt zusah, lustig an.
Mit welken, zitternden Händen holte mein Großvater den blitzenden Bleiklumpen heraus und hielt ihn ans Licht. Gleich darauf entstand eine allgemeine Erregung. Man redete laut durcheinander; ich wollte mich hinzudrängen, aber man wehrte mich ab.
Später, als ich älter geworden, erzählte mir mein Vater, es wäre damals das geschmolzene Metall zu einem kleinen, ganz deutlichen Kopf erstarrt gewesen, – glatt und rund, wie nach einer Form gegossen, und von unheimlicher Ähnlichkeit mit den Zügen des «Golem», daß sich alle entsetzt hätten.
Oft sprach ich mit dem Archivar Schemajah Hillel, der die Requisiten der Altneusynagoge in Verwahrung hat und auch die gewisse Lehmfigur aus Kaiser Rudolfs Zeiten, darüber. Er hat sich mit Kabbala befaßt und meint, jener Erdklumpen mit den menschlichen Gliedmaßen sei vielleicht nichts anderes als ein ehemaliges Vorzeichen, ganz so wie in meinem Fall der bleierne Kopf. Und der Unbekannte, der da umgehe, müsse das Phantasie- oder Gedankenbild sein, das jener mittelalterliche Rabbiner zuerst lebendig gedacht habe, ehe er es mit Materie bekleiden konnte, und das nun in regelmäßigen Zeitabschnitten, bei den gleichen astrologischen Sternstellungen, unter denen es erschaffen worden – wiederkehre, vom Triebe nach stofflichem Leben gequält.
Auch Hillels verstorbene Frau hatte den «Golem» von Angesicht zu Angesicht erblickt und ebenso wie ich gefühlt, daß man sich im Starrkrampf befindet, solange das rätselhafte Wesen in der Nähe weilt.
Sie sagte, sie sei felsenfest überzeugt gewesen, daß es damals nur ihre eigene Seele habe sein können, die – aus dem Körper getreten – ihr einen Augenblick gegenübergestanden und mit den Zügen eines fremden Geschöpfes ins Gesicht gestarrt hätte.
Trotz eines furchtbaren Grauens, das sich ihrer damals bemächtigt, habe sie doch keine Sekunde die Gewißheit verlassen, daß jener andere nur ein Stück ihres eignen Innern sein konnte». —
«Es ist unglaublich», murmelte Prokop in Gedanken verloren.
Auch der Maler Vrieslander schien ganz in Grübeln versunken.
Da klopfte es an die Türe und das alte Weib, das mir des Abends Wasser bringt und was ich sonst noch nötig habe, trat ein, stellte den tönernen Krug auf den Boden und ging stillschweigend wieder hinaus.
Wir alle hatten aufgeblickt und sahen wie erwacht im Zimmer umher, aber noch lange Zeit sprach niemand ein Wort.
Als sei ein neuer Einfluß mit der Alten zur Tür hereingeschlüpft, an den man sich erst gewöhnen mußte.
«Ja! Die rothaarige Rosina, das ist auch so ein Gesicht, das man nicht loswerden kann und aus den Winkeln und Ecken immer wieder auftauchen sieht», sagte plötzlich Zwakh ganz unvermittelt. «Dieses erstarrte, grinsende Lächeln kenne ich nun schon ein ganzes Menschenleben. Erst die Großmutter, dann die Mutter! – Und stets das gleiche Gesicht, kein Zug anders! Derselbe Name Rosina; – es ist immer eine die Auferstehung der andern».
«Ist Rosina nicht die Tochter des Trödlers Aaron Wassertrum?» fragte ich.
«Man spricht so», meinte Zwakh, – «Aaron Wassertrum aber hat manchen Sohn und manche Tochter, von denen man nicht weiß. Auch bei Rosinas Mutter wußte man nicht, wer ihr Vater gewesen, – auch nicht, was aus ihr geworden ist. – Mit fünfzehn Jahren hatte sie ein Kind geboren und war seitdem nicht mehr aufgetaucht. Ihr Verschwinden hing mit einem Mord zusammen, soweit ich mich entsinnen kann, der ihretwegen in diesem Hause begangen wurde.
Wie jetzt ihre Tochter, spukte damals sie den halbwüchsigen Jungen im Kopfe. Einer von ihnen lebt noch, – ich sehe ihn öfter, – doch sein Name ist mir entfallen. Die andern sind bald gestorben, und ich meine, sie hat sie alle frühzeitig unter die Erde gebracht. Ich erinnere mich aus jener Zeit überhaupt nur noch an kurze Episoden, die wie verblichene Bilder durch mein Gedächtnis treiben. So hat es damals einen halbblödsinnigen Menschen gegeben, der nachts von Schenke zu Schenke zog und den Gästen gegen ein paar Kreuzer Silhouetten aus schwarzem Papier schnitt. Und wenn man ihn betrunken machte, geriet er in eine unsägliche Traurigkeit, und unter Tränen und Schluchzen schnitzelte er, ohne aufzuhören, immer das gleiche scharfe Mädchenprofil, bis sein ganzer Papiervorrat verbraucht war.
Aus Zusammenhängen zu schließen, die ich längst vergessen, hatte er – fast ein Kind noch – eine gewisse Rosina, wohl die Großmutter der heutigen, so heftig geliebt, daß er den Verstand darüber verlor.
Wenn ich die Jahre zurückzähle, kann es keine andere als die Großmutter der jetzigen Rosina gewesen sein». —
Zwakh schwieg und lehnte sich zurück.
Das Schicksal in diesem Haus irrt im Kreise umher und kehrt immer wieder zum selben Punkt zurück, fuhr es mir durch den Sinn, und ein häßliches Bild, das ich einmal mit angesehen – eine Katze mit verletzter Gehirnhälfte im Kreise herumtaumelnd – trat vor mein Auge.
«Jetzt kommt der Kopf», hörte ich plötzlich den Maler Vrieslander mit heller Stimme sagen.
Und er nahm einen runden Holzklotz aus der Tasche und begann an ihm zu schnitzen.
Eine schwere Müdigkeit legte sich mir über die Augen, und ich rückte meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein in den Hintergrund.
Das Wasser für den Punsch brodelte im Kessel, und Josua Prokop füllte wiederum die Gläser. Leise, ganz leise klangen die Klänge der Tanzmusik durch das geschlossene Fenster; – manchmal verstummten sie vollends, dann wiederum wachten sie ein wenig auf, wie sie der Wind unterwegs verlor oder zu uns von der Gasse emportrug.
Ob ich denn nicht anstoßen wolle, fragte mich nach einer Weile der Musiker.
Ich aber gab keine Antwort, – so vollkommen war mir der Wille, mich zu bewegen, abhanden gekommen, daß ich gar nicht auf den Gedanken, den Mund zu öffnen, verfiel.
Ich dachte ich schliefe, so steinern war die innere Ruhe, die sich meiner bemächtigt hatte. Und ich mußte hinüber auf Vrieslanders funkelndes Messer blinzeln, das ruhelos aus dem Holz kleine Späne biß, – um die Gewißheit zu erlangen, daß ich wach sei.
In weiter Ferne brummte Zwakhs Stimme und erzählte wieder allerlei wunderliche Geschichten über Marionetten und krause Märchen, die er für seine Puppenspiele erdacht.
Auch von Dr. Savioli war die Rede und von der vornehmen Dame, der Gattin eines Adeligen, die in das versteckte Atelier heimlich zu Savioli zu Besuch komme.
Und wiederum sah ich im Geiste Aaron Wassertrums höhnische, triumphierende Miene. —
Ob ich Zwakh nicht mitteilen sollte, was sich damals ereignet hatte, überlegte ich, – dann hielt ich es nicht der Mühe für wert und für belanglos. Auch wußte ich, daß mein Wille versagen würde, wollte ich jetzt den Versuch machen zu sprechen.
Plötzlich sahen die drei am Tisch aufmerksam zu mir herüber, und Prokop sagte ganz laut: «Er ist eingeschlafen», – so laut, daß es fast klang, als ob es eine Frage sein sollte.
Sie redeten mit gedämpfter Stimme weiter, und ich erkannte, daß sie von mir sprachen.
Vrieslanders Schnitzmesser tanzte hin und her und fing das Licht auf, das von der Lampe niederfloß, und der spiegelnde Schein brannte mir in den Augen.
Es fiel ein Wort wie: «irr sein», und ich horchte