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Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl MayЧитать онлайн книгу.

Im Reiche des silbernen Löwen IV - Karl May


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immerfort mit Waren unterwegs. Zur Abrechnung aber pflegt er selbst zu kommen.«

      Als er mir diese Auskunft erteilt hatte, verließ er mich. Er hatte angenommen, daß meine Erkundigung nur deshalb ausgesprochen worden sei, weil es sich um eine Nachricht von dem Multasim handelte. Ich hatte aber auch noch einen zweiten Grund. Nämlich mein Wirt in Bagdad, der nach Halefs Ausdruck »früher Bimbaschi gewesene und dann Mir Alai gewordene« Offizier Dozorca, hatte mir, wie man sich erinnern wird[1], die Namen seiner Familienmitglieder genannt und dabei gesagt, daß sein Schwiegervater Mirza Sibil oder auch Agha Sibil heiße und ein persischer Handelsmann gewesen sei. Nun war ein Kaufmann dieses Namens aus Isphahan hier angekommen. Da mußte ich natürlich sofort an die vermeintlichen Toten denken, welche mein armer Wirt so lange Zeit betrauert hatte. Es lag mir fern, gleich etwas Gewisses anzunehmen; aber dieser Agha Sibil hatte einen Enkel mit, nicht etwa einen Sohn, und dieser Umstand machte den Gedanken in mir rege, daß sich hier in diesem wunderbaren »hohen Hause« gar wohl auch noch eine dritte Art von Auferstehung ereignen könne, nämlich eine Wiederkehr aus dem Lande der Totgeglaubten. Ich war darum gewillt, womöglich mit diesem Kaufmann selbst zu sprechen.

      Zunächst aber war meine Zeit für den Ustad in Beschlag genommen, über dessen Vergangenheit ich jetzt einen Bericht zu erwarten hatte, der für mich so wichtig werden sollte, wie ich es jetzt, in diesem Augenblicke, gar nicht ahnte. Wir kurzsichtigen, unwissenden Menschen, die wir auf ganz verkehrten anthroposophischen Wegen wandeln, sind vollständig blind und taub gegen die große Wahrheit, daß der eine sich in dem andern zu erkennen habe. Der Gesamtmensch ist jedem einzelnen derart eigen, daß nicht nur die körperlichen und geistigen Gesichtszüge, sondern auch die Lebensführungen von Personen, die uns bei oberflächlicher Betrachtung als sehr verschieden erscheinen, doch mit absoluter Notwendigkeit große innerliche Aehnlichkeiten, ja oft sogar Gleichheiten besitzen müssen, durch welche die Menschenkenntnis ganz unbedingt zur Selbsterkenntnis werden müßte, wenn wir nicht die fatale Eigenheit besäßen, uns mehr nach bösen als nach guten Menschen umzuschauen und den Zusammenhang mit der Menschheit nur in unser eigenes Belieben zu stellen. Wie sich der Kreislauf des Blutes durch Millionen Körper auf ganz dieselbe Weise vollzieht, so pulsiert in diesen Millionen auch der Geist durch gleiche Adern, und wenn diese letzteren sichtbar vor unsern Augen lägen, so würden wir gar wohl bemerken, daß unter tausend auf den Seciertisch gelegten Geistern es nicht einen einzigen gäbe, der sich sowohl anatomisch als auch in Beziehung auf seinen Vitalismus und das, was ich vorhin Lebensführung nannte, derart von den andern unterschiede, daß es dem Professor nicht mehr möglich wäre, an ihm allein in aller Ausführlichkeit zu demonstrieren, warum alle übrigen nun jetzt mit ihm das gleiche Schicksal haben.

      Wer hat jetzt noch Lust, dem kühnen oder vielleicht auch staarkranken Sprachgebrauche zu folgen und Geister zu distinguieren? Während der eine Mensch durch eine ebenso mühevolle wie langweilige Addition selbst bei einem achtzigjährigen Leben nicht dazu kommt, die Summe zu erreichen, wird der andere schon in seinem zwanzigsten Jahre durch eine schnelle Multiplikation zu dieser Summe geführt. Aber jeder einzelne der treu und gewissenhaft zusammengestellten Summanden des ersteren wiegt vor den Augen des höchsten und gerechtesten aller Geister mehr als das ganze durch eine bequemere Rechnungsart vollständig mühelos gefundene Produkt des letzteren. Der kleinste Geist kann groß trotz seiner Kleinheit, der größeste aber klein trotz seiner Größe sein. Unter den Geisterlein und sonst noch spukenden Winzigkeiten, welche mich vorhin bei der Lampe des Ustad belästigten, hat sich wahrscheinlich manche Längstvergessenheit befunden, welche damals, als man sie ihm auszublasen begann, zu den Geistesgrößen gerechnet wurde. Jetzt nun haben diese aus dem Leben geschwundenen Größen in der »Gruft« des »hohen Hauses« traurige Wache zu halten, daß die Lampe ja nicht wieder angebrannt werde!

      Es ist mir im Vorhergehenden nicht eingefallen, anzudeuten, daß ich nicht an Geistesgrößen glaube. Sie waren da, sie sind da, und sie werden immer vorhanden sein; aber sie waren und sind es nur für die Menschen, doch nicht für den, der alle Nieren prüft. Er sendet die Jahrhunderte, in deren Verlaufe sich ihre Größe zu bewähren hat, und wenn sie vorüber sind, so waren sie wie ein Tag der heut vergangen ist. Für die nie versiechende Fülle der Ewigkeiten hat dann jeder, selbst der berühmteste Menschenname doch nur diesen einen Tag gelebt. Aber der Segen, den ein Menschenkind dem andern brachte, reißt sich vom Namen los, und wohl dereinst dann dem, dem es vergönnt ist, aus seiner irdischen Berühmtheit emporzusteigen, um dort in diesem Sinne namenlos zu werden!

      Woher diese Gedanken? Umwehte mich hier auf dem freien Platze vor der »Gruft« eine jener geistigen Atmosphären, welche sich aus solchen namenlos gewordenen Bestandteilen zusammensetzen? Kamen die vom Staube befreiten Gedanken guter, edler, hoher Abgeschiedenen hier zusammen, und sich da oben im Alabasterzelte zur Fahrt gen Himmel zu vereinigen? Ich konnte mich nicht länger mit ihnen beschäftigen, denn der Ustad kam jetzt zurück und bat mich, mit ihm in die Bibliothek zu gehen. Er griff nach der Lampe, um sie mitzunehmen. Als er sah, daß mein Blick an der Schrift des Schirmes hängen blieb, sagte er:

      »Die Liebe hört nimmer auf! Jawohl, die göttliche! Aber diese hier, sie ging für mich zu Ende. Oder hatte sie überhaupt niemals bestanden? Waren diese herrlichen Worte nicht mit dem Herzen, sondern nur mit der Hand gestickt worden? Mit dem kleinen, zarten, schönen Händchen, welches für mich zur Kralle wurde, obgleich ich es so oft, so oft an meine wahrheitstreuen Lippen gedrückt hatte?«

      Hierauf trat er zu dem Perlmuttertischchen, zeigte auf das Testament und fuhr fort:

      »Gott ist ein Geist! Ich suchte diesen Geist. Ich glaubte, daß er, der alles belebt, auch den Körper der Menschheit beseele. Darum forschte ich in ihr nach ihm. Ich beobachtete sie, wenn sie wachte, wenn sie schlief und wenn sie betete. Im Wachen war sie ihr eigener Gott. Im Schlafen träumte sie nur von sich allein. Und im Beten lag sie vor sich selbst auf allen Knieen! Da stand der Geist des Herrn im Morgenlande auf und ging als Hirt, der seine Herde suchte, von Land zu Land, von Volk zu Volk, von Herz zu Herz. Ueberall, wohin er kam, rief man ihm Hosiannah zu; dann wurde er verworfen und gekreuzigt. Allüberall, auf jedem Golgatha, sah man den Leib des Herrn an seinem Kreuze hängen. Wo aber blieb der Geist? Der Geist, von dem wir uns in alle Wahrheit leiten lassen sollten? Wo wurde dieser Geist in dieser Wahrheit angebetet? Ich fragte hier auf Erden hin und her. Ich fand wohl manchen Stall und manche Krippe, wo Engel lobgesungen und Hirten, Könige und Weise angebetet hatten. Auch fand ich noch den Duft des Weihrauchs und der Myrrhen, die man dem Geist der Liebe dargebracht; er aber selbst, er hatte sich geflüchtet, dem Haß und seiner Waffe zu entgehen. Wohin? Man sagte: nach Egyptenland.«

      Nun berührte er das Manuskript mit seiner Hand, zog sie aber schnell wieder zurück, als ob er etwas Häßliches oder gar Feindliches berührt habe, und sprach:

      »Hier liegt der Leib des Geistes, mit dem ich nach dem Geiste suchen ging. Er starb und ward begraben. Er hörte auf, zu leben, als ich dieses letztgeschriebene Wort vernahm, daß des Menschen Gedanken nicht die Gedanken Gottes seien. Warum sollte ich mit den Gedanken meines Geistes noch fernerhin nach jener Wahrheit suchen, die ich mit ihnen niemals finden kann, weil sie ganz andere als die göttlichen sind!«

      Er schaute mich an, als ob er eine Zustimmung von mir erwarte. Ich aber schüttelte leise den Kopf und sagte:

      »Du hättest mit diesem Worte nicht aufhören, sondern mit ihm beginnen sollen. Es mußte dir sagen, daß nicht mit der Schärfe des Geistes, sondern mit dem vertrauenden Blicke des Glaubens zu suchen sei. Wärest du mit seinen offenen Augen so, wie du sagtest, »hier auf der Erde hin und her gegangen,« so hättest du gewiß nicht leere Krippen gefunden, aus denen der Herr vor Herodes geflohen ist, sondern so manches freundliche Bethanien und so manches liebe Emmahus, wo er vor und nach der Kreuzigung bei den Seinen weilte, um mit ihnen das Brot zu brechen. Meinst du, weil du den Geist des Herrn nicht fandest, können auch andere ihn nicht gefunden haben?«

      »Ich fand ihn doch! Oeffne diese Leiche, und lies das erste Wort!«

      Als ich die vordere Seite des Manuskriptes aufschlug, sah ich die groß geschriebene Ueberschrift: »Der Glaube ist es, der die Welt überwindet!«

      »Nun?« fragte er. »Habe ich nicht gethan, was du sagtest? Bin ich nicht mit dem Glauben suchen gegangen? War er nicht das Alpha dieses Buches? Warum bin ich nicht auf diesem Wege, sondern auf einem anderen zum Omega gekommen?«

      »Dein


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Siehe Band I.

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