Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl MayЧитать онлайн книгу.
gegen Jedermann, auch gegen Tifl! Wenn du einem einzigen Menschen sagst, daß dein Aschyk kommt, um mir etwas zu sagen, so rede ich nicht mit ihm und jage dich aus dem Hause!«
»Effendi,« rief sie aus, indem sie erschrocken zurückfuhr. »Was machst du mir da für fürchterliche Augen. Du hast ja plötzlich ein ganz anderes Gesicht!«
»Das ist mein Gesicht, wenn ich mir etwas vornehme, was ich unbedingt auch ausführe. Du hast es noch nicht gesehen. Hüte dich vor der Wiederkehr! Wenn du nicht schweigst, lasse ich dich noch mitten in der Sonntagsnacht über die Grenze schaffen, ohne zu fragen, was dann aus dir wird! Verstanden?«
»Ja, ja, ganz genau!« versicherte sie, vor Schreck in sich zusammenkriechend. »Effendi, der Ustad ist doch freundlicher als du. Wer hätte das gedacht!«
»Jedes an seinem Orte, die Strenge sowohl als auch die Freundlichkeit! Hast du noch etwas zu sagen?«
»Nein.«
»So geh!«
Sie machte in ihrer inneren Zermalmung einen ganz verkehrten Knicks und entfernte sich bedeutend weniger vertraulich, als sie hereingekommen war. Ich aber schloß die Wohnung sorglich ab und ging, mit Schakara zu sprechen.
Wie kam es doch, daß ich gar nicht nach ihr fragte, sondern daß es mir war, als wisse ich ganz genau, wo sie sei? Ich ging durch den Garten. Bei der Quelle angekommen, sah ich die »Schwester« bei den Pferden.
Die Sahm knusperte mit Ghalib im Grase herum. Assil aber hatte sich niedergelegt. Schakara saß neben ihm und flocht, über seinen Hals gelehnt, aus den Mähnenhaaren Zöpfe, in die sie Veilchen wand. Der Rappe langte von Zeit zu Zeit mit dem Maule herüber, um sie freundschaftlich in den Arm zu kneifen. Ich beobachtete das eine ganze Weile; dann ging ich hin und setzte mich zu ihnen.
Es war nichts Unaufschiebbares, was ich mit Schakara zu besprechen hatte. Ich wollte ihr nur mitteilen, wer morgen kommen werde. Aber indem ich dies tat, war es, als ob sich in mir alles Verschlossene öffne, um von ihr gesehen, geprüft und bestätigt oder verworfen zu werden. Sie sprach ganz wenig, und fast nur, wenn ich fragte. Und was sie dann sagte, war so selbstlos, so bescheiden und klang doch fest, bestimmt und zaglos sicher. Ich erkannte mehr und mehr, daß sie etwas unendlich Großes, Schönes, Klares in sich trug, und sann darüber nach, wie es zu nennen sei. Es war gewiß das, was wir »Gebildeten« eine Welt-, eine Lebensanschauung nennen, und doch noch mehr, viel mehr! Diese Anschauung erstreckte sich über noch ganz andere Schätze als diejenigen, welche die sogenannte »Welt« und das angebliche »Leben« uns bieten. Indem ich jetzt mit ihr sprach, tauchte der Augenblick wieder vor mir auf, an dem ich sie von meinem Krankenlager aus zum zweiten Male sah[27]: Unweit der Tür saß sie mitten im Pflanzengrün. Weiß war ihr Gewand. Sie hatte den Schleier nach hinten geschlagen. Ihr dunkles Haar hing in langen, schweren Flechten herab. Die schlanken Finger glitten über die Saiten der Sandurah. Darf man ein menschliches Wesen mit einem Gedicht vergleichen? Man sagt ja, daß der Mensch das herrlichste Gedicht der ganzen Schöpfung sei. Wenn nicht das herrlichste, aber gewiß eines der frömmsten sah ich hier!
Damals waren es Harfentöne, die ich von ihr hörte. Sie spielte, damit meine und Halefs Seele festgehalten werden sollten. Jetzt waren es Worte, die ich von ihr vernahm; aber Alles, was und wie sie es sagte, hatte eine tiefe, innige Verwandtschaft mit jenen Harfenklängen. Es war Alles so melodiös, so harmonisch, so voll, so rein, so ganz ohne jede Spur von Dissonanz. Ich sprach weiter und weiter, nur um diese Lippen antworten zu hören, aus denen nichts Trübes, nichts Entweihtes klingen konnte. Es war, als ob ich ihr alle meine Gedanken hinübergeben müsse, um sie geläutert und geklärt dann wieder in Empfang zu nehmen. Hatte Marah Durimeh das gewußt, als sie schrieb, daß ich der Geist sein solle, sie aber die Seele, meine Schwester? Psychologie, nicht theoretisch, sondern praktisch gelehrt! Nicht aus wissenschaftlichen Leitfäden getüftelt, sondern aus dem Geistes- und Seelenleben direkt und ohne Deutelei herausgegriffen!
So saßen wir viel länger, als ich beabsichtigt hatte, beieinander, bis Kara Ben Halef mit seinem Barkh kam und mir meldete, daß es ihm gelungen sei, meinen Auftrag auszuführen, ohne von Jemand gesehen zu werden. Er habe die betreffende Stelle genau untersucht und sei überzeugt, daß kein anderer Fuß sie inzwischen betreten habe. Da es Zeit zum Abendessen war, so forderte ich ihn auf, mit uns zu kommen, um an demselben teilzunehmen. Er lehnte aber ab, weil er für die langsame Abkühlung Barkhs zu sorgen habe, damit dieser ja nicht etwa verschlage. Er war in Allem, was in seinen Händen lag, so wohlbedacht, gewiß mehr ein Erbteil von seiten seiner Mutter als seines Vaters, des oft nur allzu schnellen Hadschi, dessen lebhaftes Temperament der ruhigen Ueberlegung gern aus dem Wege ging.
Nach dem Essen zog ich mich hinauf zu mir zurück, um Alles, was ich von den Sachen des Ustad zu verbrennen hatte, einer vorherigen Prüfung zu unterwerfen. Ich gewann da einen tiefen Einblick in sein Leben, in sein menschenfreundliches Wollen und Empfinden. Die Zeitungen widerten mich an. Ich hatte erklärt, sie nicht durchlesen zu wollen, und tat es auch nicht. Aber indem ich die Blätter einzeln durch meine Hände gehen ließ, blieb mein Auge doch zuweilen an dieser oder jener Stelle haften, und dann flog der zerknitterte Bogen so weit wie möglich fort von mir. Man sollte es kaum für möglich halten, mit was für Quatsch und Tratsch und Klatsch sich jenes sonderbare Wesen befaßt, welches denen, die es besitzen, weismacht, daß sie geistreich seien! Wenn der Ustad das Alles wirklich durchgelesen hatte, so war es sicher eines der größten Wunder, daß er der Menschheit seine Liebe noch immer treu bewahrte. Es muß doch etwas Großes um die wahre, nicht geheuchelte, sondern wirklich aus dem Herzen wirkende Humanität sein, wenn sie die Kraft besitzt, auf ihrem allgemein menschlichen Standpunkte selbst gegen diejenigen Widersacher auszuhalten, die sich nicht scheuen, nur mit den Waffen des Sonderinteresses anzugreifen und dabei doch zu versichern, daß sie die Verfechter der allgemeinen Menschheitsrechte, des edlen Menschentums seien. Hinweg also mit diesen Elaboraten! Ich warf sie auf den Herd, brannte sie an, und als die Flamme emporschlug, flog auch die »Rechtfertigung« hinein, die ganz ohne allen Grund geschrieben worden war.
Nachdem ich mich hierauf noch einige Zeit mit den Werken des Ustad beschäftigt hatte, ging ich schlafen und wachte nicht eher auf, als bis draußen an meine Tür geklopft wurde. Daß man mich weckte, mußte eine sehr triftige Ursache haben. Ich stand auf und öffnete. Der Pedehr war es.
»Verzeihe, Effendi, daß ich dich wahrscheinlich im Schlafe gestört habe!« sagte er. »Es wird nicht lange dauern, so ist der Scheik ul Islam da.«
»So zeitig? Woher weißt du es?« erkundigte ich mich.
»Ich sprach gestern abend noch mit dem Chodj-y-Dschuna. Er hielt es für gut, zu wissen, woran man sei. Darum ist er dann fortgeritten, in der Richtung nach Chorremabad. Er kam bis an den Grenzduar der Dschamikun und erfuhr, daß der Scheik ul Islam dort übernachte und heute mit dem frühesten Morgen aufbrechen wolle. Er gebot Verschwiegenheit und ist nun hier, weil du gewünscht hast, daß er anwesend sei. Sonst aber weiß Niemand davon. Wirst du jetzt herunterkommen ?«
»Nein. Schicke mir das Frühstück herauf! Wer kommt Alles mit?«
»Es sind, Herren und Diener zusammen, fünfzehn Personen, alle sehr gut beritten und bewaffnet. Man hat ihnen dort im Duar gesagt, daß kein Fremder ohne die besondere Erlaubnis des Ustad bei uns Waffen tragen dürfe, sondern sie abzugeben habe, sobald er das Gebiet der Dschamikun betritt. Sie haben sich aber geweigert, dies zu tun.«
»Nun, was dann? Hat man sie gezwungen?«
»Nein. Man hat geglaubt, nicht streng verfahren zu dürfen, weil es der Scheik ul Islam sei. Natürlich werden sie auch hier am ersten Hause angehalten. Wenn du willst, werde ich sie unbedingt entwaffnen lassen. Wollen sie es sich nicht gefallen lassen, so mögen sie umkehren, und ich lasse sie von einer Reiterschar begleiten, bis sie über die Grenze sind.«
»Recht so, Pedehr! So gefällst du mir! Es gibt keinen einzigen Menschen, vor dem wir Ursache, uns zu fürchten, hätten, und Furcht ist überhaupt die größte Torheit, die ich kenne. Aber Alles an seinem Ort und zu seiner Zeit! Faust gegen Faust, doch gegen List nichts Anderes als eben auch wieder List! Wenn man mich vor der Schlauheit dieses Scheik ul Islam warnt, werde ich mich hüten, wie ein dummer Bär mit Tatzen dreinzuschlagen. Und wenn wir fünfzehn Personen gleich am Eingange des Duar entwaffnen wollten, müßte ich so
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