Am Jenseits. Karl MayЧитать онлайн книгу.
die heilige Schrift und also auch das Wort .Ich bin die Wahrheit und das Leben«, und doch war er bei diesem Brunnen der wahren Weisheit nicht geblieben! Diese meine Folgerungen und Schlüsse zog Halef jedenfalls nicht; er handelte und sprach ja meist nach seinem Gefühle, dies tat er auch jetzt, und zwar in einer Weise, die außerordentlich charakteristisch für ihn war.
»Wünsche das nicht, ja nicht!« warnte er.
»Warum nicht?« erkundigte sich der Münedschi.
»Du würdest von dem, was du hoffest, grad das Gegenteil erreichen.«
»Wieso?«
»Ich bitte dich, es dir durch ein Beispiel erklären zu dürfen. Wir waren in Erbil, einer in der Dschesireh liegenden Stadt, die du vielleicht nicht kennst, und gingen in die Moschee, um zu beten. Kara Ben Nemsi Effendi hält es nämlich für keine Sünde, auch in einem muhammedanischen Gotteshause ein christliches Gebet zu sprechen; er meint sogar, daß die Moschee dadurch nicht geschändet, sondern geheiligt werde. Niemand kannte ihn, auch der Mufti nicht, welcher neben uns kniete. Später erfuhr dieser aber, daß der Effendi ein Christ sei, und zeigte ihn wegen Entweihung des Heiligtums an. Wir wurden vor das Gericht beordert, wo der Kadi sich bemühte, das Verbrechen so streng wie möglich zu nehmen. Aber Kara Ben Nemsi gab solche Antworten, daß der Richter immer mehr in Zorn geriet und ihn endlich grimmig andonnerte: Du hast dich wohl vor keinem Kadi zu fürchten?‘ Der Effendi antwortete ruhig: Nein, sondern der Kadi hat sich vor mir zu fürchten!‘ Hierauf berief er sich auf eine vor kurzem erlassene Fetwa (Entscheidung) des Scheik ul Islam (Oberste geistliche Behörde), nach welcher studierte Christen die Moscheen betreten dürfen, wenn es in frommer, andachtsvoller Weise geschieht, um die nachzueifernden Gebräuche unserer Anbetung kennen zu lernen. Als man uns infolgedessen sagte, daß wir gehen könnten, erklärte er, daß er noch bleiben müsse, um den Kadi wegen Schändung des Heiligtums anzuzeigen, weil er ihn jetzt als die Person erkannt habe, die mit uns zu gleicher Zeit in der Moschee gewesen sei, ohne die Pantoffel auszuziehen, wie es vorgeschrieben ist. Der Kadi war erschrocken und entrüstet, mußte aber die Wahrheit der Anzeige zugeben und entschuldigte sich damit, daß er die Dah ilmafasil (Rheumatismus) in den Füßen habe und darum den kalten Steinboden nicht ohne Pantoffel betreten dürfe. Der Effendi riet ihm lachend, das nächste Mal sogar die Stiefel anzuziehen, und dann entfernten wir uns. Du ersiehst aus diesem Beispiele, daß es nicht geraten ist, mit ihm etwas vorzunehmen, was ihm nicht behagt; er pflegt es in das Gegenteil zu wenden. Ich kenne Moslemin, welche ihn zum Islam bekehren wollten. aber damit nur erreicht haben, daß sie selbst ihren Glauben geändert haben und Christen geworden sind.«
»Ist das wirklich möglich?!«
»Nicht nur möglich, sondern wahr! Wünsche also ja nicht, in dieselbe Gefahr zu kommen!«
»Diese Gefahr würde es für mich nicht geben, selbst wenn seine Gelehrsamkeit noch größer wäre, als sie ist.«
»Du würdest sie gar nicht bemerken; er sagt, Gott wohlgefällig zu leben, das sei seine Wissenschaft, und er höre ein frohes Lachen viel lieber als die trockenen Chitabat (Vorträge) aller Ulama (Gelehrten) des ganzen Morgenlandes.«
»Dann ist es ja sehr gut, daß er sich nicht hier befindet!«
»Warum?«
»Weil du mir gesagt hast, daß dein hier neben mir sitzender Gefährte Hadschi Akil Schatir der größte Gelehrte des Morgen und sogar auch des Abendlandes ist.«
»Oh, sie würden sich sehr gut zusammen vertragen, denn trotz der unzähligen Wissenschaften, weiche im Kopfe dieses meines Freundes Unterkunft gefunden haben, ist ihm niemals etwas davon anzumerken.«
»Ich habe es aber vorhin bemerkt, als er die Erklärungen zu dem Spruche Alis, des Kalifen, gab.«
ja, so eine Erklärung entschlüpft ihm wohl zuweilen, gewöhnlich aber behält er sie für sich, und das ist sehr lobenswert von ihm, weil es so viele Erklärungen gibt, die man, um sie zu begreifen, sich wieder erklären lassen muß. Jetzt weißt du nun wohl, wer und was wir beide sind. Allah ist dir wohlgeneigt gewesen, indem er dich mit uns zusammenführte. Wir haben fünfzig tapfere Krieger der Haddedihn bei uns, und außerdem wirst du zuweilen auch eine weibliche Stimme vernehmen. Die, welche du da sprechen hörst, ist Hanneh, die wohlerzogene Gebieterin meines Frauenzeites, deren Schönheit und Leutseligkeit zu den größten Vorzügen der Türkei und aller persischen Provinzen gehört. Allah gebe ihr ewige Jugend und hierauf dann ein mir und ihr gefälliges Alter! Was du sonst noch wissen willst, können wir dir später sagen. Jetzt nun sprich auch du! Oder soll ich lieber fragen?«
Der Münedschi zögerte eine ganze Weile mit der Antwort. Dann, als er an einem wiederholten Husten des Hadschi hörte, daß dieser ungeduldig zu werden begann, sagte er:
»Meine Rede über mich kann sehr kurz sein. Man zählt mich auch zu den gelehrten Leuten. Ich war ein gesunder und wohlhabender Mann, als ich vor mehreren Jahren nach Mekka kam. Mein Vermögen wurde mir von fremden Pilgern gestohlen. Ich wohnte bei EI Ghani. Er nahm sich meiner an und behielt mich selbst dann bei sich, als ich erblindete. Jetzt lebe ich nur allein von seiner Güte. Als er vor zwei Monaten nach Meschhed Ali mußte, nahm er mich mit, weil dort meist Perser sind, deren Sprache er weder spricht noch versteht. Jetzt befanden wir uns auf dem Rückwege. Das Wasser ging uns aus, und fast verschmachtet mußten wir mitten in der Wüste halten bleiben. Wir waren überzeugt, daß Allah unsern Tod beschlossen habe. Mehr weiß ich nicht zu sagen; das andere wißt nur ihr.«
Das war die ganze Auskunft, welche er uns erteilte. Ich sah Halef an, daß er wieder fragen wollte, winkte ihm aber ab. Es gab einige Punkte, über weiche ich trotz der Schweigsamkeit und Zurückhaltung des Mekkaners gern Auskunft haben wollte. Er war unser Gast und dabei ein unglücklicher, blinder Mann, wahrscheinlich auch noch sonst beklagenswert, und gegen solche Leute ist man nicht gern zudringlich; aber wenn man bei Wohltaten auch nicht grad zu wissen braucht, wem man sie erweist, so gab es hier doch andere, sehr triftige Gründe, es nicht bei dem bisherigen, ganz unzureichenden Aufschlusse bewenden zu lassen. Ich erkundigte mich also, jedoch in rücksichtsvollem Torte:
»Möchtest du uns wohl sagen, welchem Berufe El Ghani angehört?«
»Er ist Schech el Harah (Oberster eines Stadtviertels)«, antwortete er.
»Und wie ist sein eigentlicher Name?«
»Habt ihr ihn gesehen?«
»Ja. »
»Auch mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Hat er euch seinen Namen nicht gesagt?«
»Nein.«
»So erlaube, daß ich ihn auch zurückbehalte! Er ist mein Wohltäter, dem ich zur Dankbarkeit verpflichtet bin; ich habe also kein Recht, das zu sagen, worüber zu schweigen er seine Gründe gehabt haben wird.«
»Ich achte diese deine Dankbarkeit, obwohl ich der Ansicht bin, daß ein ehrlicher Mann seinen Namen nicht zu verschweigen braucht. Du hast den deinen auch noch nicht genannt!«
»Effendi, willst du mich der Unehrlichkeit zeihen?«
»Nein. Es genügt mir, von Ei Ghani erfahren zu haben. daß man dich Ei Mönedschi nennt. Aber wann ihr hier mitten in der Wüste Halt gemacht habt, das darf ich wohl erfahren?«
»Es war am Jom es Sabt (Samstag) früh.«
»Also vorgestern. Wann bist du da eingeschlafen?«
»Sofort, als ich vom Kamele gefallen war; zum Absteigen fehlte mir die Kraft.«
»Während dieses Schlafes hat dir von einem andern Leben, von einer andern Weit geträumt?«
»Effendi. darüber laß mich schweigen! Ich träume nicht. Was du für Traum hältst, ist etwas ganz anderes. Du bist ein berühmter Gelehrter; aber alle deine Gelehrsamkeit reicht nicht aus, das zu begreifen, was ich dir darum lieber verschweige.«
»Ich meine im Gegenteile, daß ich als Gelehrter es leichter begreifen würde als ein Ungelehrter.«
»Nein. Du würdest es für eine Krankheit halten, während es doch grad ein Beweis der höchsten geistigen Gesundheit ist. Ich bitte dich, nicht in mich zu dringen, und mich jetzt wieder mit El Ghani