Am Jenseits. Karl MayЧитать онлайн книгу.
daß es Menschen sind, müde, hinfällige Menschen, die aus irgend einem Grunde nicht mehr fort können. Wir sind verpflichtet, ihnen Hilfe zu bringen, werden das aber nicht in unvorsichtiger Weise tun. Erkundigen wir uns also bei dem Ben Harb, ob es hier in dieser Gegend vielleicht einen Weideplatz irgendeines Beduinenstammes gibt!«
Als wir den schon erwähnten Führer fragten, teilte er uns mit, daß wir uns mitten in der Sandwüste befänden, in welcher es keinen einzigen Brunnen, also auch keine Weide gebe; das nächste Wasser liege so weit von hier, daß sich sein Einfluß bis hierher gar nicht geltend machen könne.
Da es nicht geraten war, unsere ganze Karawane ihre Richtung verändern zu lassen, ritten wir langsam weiter und beauftragten Omar Ben Sadek und einen Haddedihn, nach der Stelle zu reiten, über weicher die Geier standen. Um, wenn nötig, gleich Hilfe bringen zu können, nahmen sie einen vollen Wasserschlauch mit. Die Wüstenebene war nur scheinbar glatt, in Wirklichkeit aber so gewellt, daß wir die beiden Reiter schon nach kurzer Zeit nicht mehr sehen konnten. Es dauerte weit über eine Stunde, bis sie zurückkehrten. Es mußte sich um etwas doch nicht Gewöhnliches handeln, denn Omar Ben Sadek wartete mit seinem Berichte nicht, bis er uns erreicht hatte, sondern rief uns schon von weitem zu:
»Effendi, ihr müßt abschwenken und mit uns kommen! Es gilt, fünf Menschen zu retten.«
»Wer sind sie? » fragte ich.
»Wahrscheinlich Leute aus Mekka.«
»Wahrscheinlich? Haben sie nichts Bestimmtes gesagt?«
»Nein. Du weißt ja auch, daß hier in der Wüste jedermann vorsichtig ist. Wir könnten ja zu einem ihnen feindlichen Stamm gehören.«
»Hast du ihnen nicht gesagt, daß wir Haddedihn sind, die so weit von hier wohnen, daß sie hier unmöglich eine Thar (Blutrache) haben können?«
»Das habe ich wohl gesagt; aber sie glaubten es nicht. Du würdest ja auch nicht sofort alles glauben, sondern vorher die Personen und das, was sie sagen, einer Prüfung unterwerfen.«
»Es sind also fünf Personen?«
»Fünf Lebende und ein Toter.«
»Erzähle doch lieber zusammenhängend!«
»Ich tue es. Wir ritten nach Südost und sahen bald die Geier wieder, die ganz unbeweglich in der Luft zu stehen schienen; aber je näher wir kamen, desto deutlicher bemerkten wir, daß sie nicht standen, sondern langsam Kreise zogen. Später sahen wir dann den Gegenstand oder vielmehr die Gegenstände ihrer Aufmerksamkeit. Es waren sechs Hudschun, welche am Boden lagen, neben ihnen ihre Reiter, Tiere und Menschen still und unbeweglich wie Leichen. Als wir ganz nahe herankamen, hoben die Kamele die Köpfe, ließen sie aber gleich wieder sinken. Sie sahen abgetrieben aus, wie nach einem langen, angestrengten Eilritte, und waren halb verdurstet. Drei von den Männern standen in den mittleren Jahren; einer war jung und einer war alt. Der Alte schien am wenigsten erschöpft zu sein; er bat sogleich um Wasser, das wir ihnen auch sofort gaben. Sie tranken die Dschirbe (Schlauch) fast ganz leer.
»Und die Leiche?«
»Wir konnten nicht sehen, was für eine Person es war, denn sie war mit dem Haik zugedeckt.«
»Was gab es für Fragen und Antworten?«
»Der Alte erkundigte sich, wer wir seien, und wir sagten es ihm; er aber ließ die zweifelnden Worte Allah weiß es! dazu hören. Als ich ihn nach seinem Namen fragte, sagte er, sie alle seien aus Mekka, wozu ich ihm nun auch ein ,Allah weiß es‘ zu hören gab. Er bat um Wasser für Menschen und Tiere, auch um etwas Futter für die Kamele; Mehl und Datteln für sich hätten sie noch.«
»Woher kommen sie?«
»Das sagte er nicht. Er meinte, er habe uns auch keine Frage vorgelegt; der Gläubige müsse seinem Bruder helfen, ohne nach seinem Namen und nach seinem Ausgange und Eingange zu fragen..«
»Entweder hat dieser Mann kein gutes Gewissen, oder er ist ein stolzer, eingebildeter Moslem in hoher Stellung in Mekka. Vielleicht ist auch beides zu gleicher Zeit der Fall; aber recht hat er doch gehabt: Er bedarf unserer Hilfe, und wir müssen sie ihm bringen, ohne ihn vorher nach allem ausgefragt zu haben. Glücklicherweise sind wir mit Wasser so reichlich versehen, daß diese Wohltätigkeit uns nicht selbst in Gefahr bringen wird. Reiten wir also hin!
Wir bogen daher von unserem Wege ab und ließen uns von Omar Ben Sadek nach der betreffenden Stelle führen, die wir nach vielleicht drei Viertelstunden erreichten. Da lagen die Kamele noch so, wie sie sich vor Erschöpfung niedergeworfen hatten; die Höcker waren abgezehrt, man sah nicht die geringste Lippenbewegung des Wiederkäuens. Die fünf Männer hockten in einem engen Kreise, in dessen Mitte man den noch immer verhüllten Toten in sitzende Stellung aufgerichtet hatte, in welcher er durch die tief in den Sand gesteckten, langläufigen Gewehre unterstützt und gehalten wurde. Sie beteten laut. Als wir bis ganz nahe herangekommen waren, unterbrachen sie sich, und der Vorbeter, dem die andern Satz um Satz nachsprachen, sagte in mehr befehlendem als bittendem Tone:
»Ich sehe, daß ihr Wasser und trockenes Maisstroh habt. Gebt den Kamelen zu saufen und zu fressen, und laßt uns einige volle Schläuche hier. Dann aber stört uns nicht weiter im Gebete für den, den Allah abgerufen hat!«
Das war ja außerordentlich bescheiden von diesem Manne! Hier. wo das Futter und noch viel mehr das Wasser so kostbar war, sollten wir zunächst seine Tiere tränken und sättigen und dann gleich mehrere volle Schläuche hergeben; und zwar ohne ein Wort des Dankes abzuwarten, da er uns ja die Weisung gab, sie dann nicht zu stören, also wieder fortzureiten! Halefs Hand zuckte nach der Peitsche aus Nilpferdhaut, die er stets im Gürtel hängen hatte und gern öfter in Bewegung setzte, als ich ihm erlauben durfte. Ich winkte ihm aber ab.
»Ich soll ihm nicht die Peitsche geben?« fragte er leise, aber zornig. »Ist es nicht die größte aller Unverschämtheiten von diesem Menschen, das von uns zu verlangen, was er soeben gefordert hat?«
»Allerdings; aber das ist noch kein Grund, um gleich zuzuschlagen. Du befindest dich hier unter stolzen, rachsüchtigen Arabern und nicht bei geknechteten Fellachen, bei denen man die Peitsche schwingen kann, ohne dies später blutig bezahlen zu müssen!«
»So sag, was wirst du tun?«
»Wir geben den Kamelen Wasser und Stroh; diese armen Tiere sollen nicht unter der Unverschämtheit ihrer Besitzer leiden.«
»Und diese?«
»Bekommen weiter kein Wasser, außer sie bitten uns sehr höflich darum. Wir bleiben hier lagern.«
»Hier? Bei diesen Kerls? Hamdulillah! Preis sei Allah, der dir diesen kostbaren Gedanken eingegeben hat! Denn wenn wir hier bei ihnen bleiben, werden wir wahrscheinlich etwas erleben, sie aber auch!«
»Wir hätten überhaupt nicht viel weiter reiten können, denn dann wird es Nacht, und da wir hier doch einmal einige Zeit versäumen, halte ich es für das beste, wir bleiben gleich da. Gib also deinen Leuten die nötigen Befehle!«
Da wir dieses Mal die Haddedihn bei uns hatten, brauchte ich mich um nichts zu bekümmern; es wurde mir jede Handreichung sehr gern und mit Liebe gelistet. Ich stieg also vom Hedschihn, gab die Stelle an, wohin ich meinen Teppich gelegt wünschte, und ging dann zu meinem Hengste. um ihn zu liebkosen und dabei einige Datteln knuspern zu lassen. Er war diese Aufmerksamkeit von mir gewohnt und dankbar dafür. Hierauf machte ich es mir auf meinem Teppiche bequem.
Ich saß, wie ich gewollt hatte, ganz in der Nähe der Fremden, dem Vorbeter gegenüber, den Omar Ben Sadek »den Alten« genannt hatte. Er hatte ein echtes, listiges, rücksichtsloses, gewalttätiges Mekkanergesicht und trotz seines Alters noch keine grauen Haare; vielmehr besaßen diese diejenige Färbung, welche man »Salz und Kümmel« zu nennen pflegt, also Grau und Dunkel gemischt. Der »Junge« saß an seiner Seite und war ihm so ähnlich, daß ich ihn gleich für seinen Sohn halten mußte. Er hatte etwas Unstetes, Ruheloses, Unzuverlässiges in seinen sich stets in Bewegung befindenden Augen. Die andern drei hatten nichts an sich, wodurch sie eine besondere Erwähnung verdienten. Gemein war ihnen allen die große Hinfälligkeit; wahrscheinlich waren wir grad zur rechten Zeit gekommen, sie vor dem Tode des Verschmachtens zu erretten. Ich glaubte, ihnen anzuhören, daß ihnen das laute, lange Beten schwer wurde. Warum schwiegen