Am Stillen Ozean. Karl MayЧитать онлайн книгу.
Aber dieser eine Moment hatte der See ein vollständig verändertes Aussehen gegeben. Die Wogen wälzten sich scheinbar bergeshoch und von allen Seiten auf uns ein und schlugen haushoch über das Deck; noch rollte der Schwanz der einen über mich hinweg, so hatte mich bereits der Rachen der andern erreicht, und kaum blieb mir Zeit, den nötigen Atem zu erlangen. Das brüllte und heulte, das rauschte und sprudelte, das gurgelte und schäumte, das gellte und pfiff, das ächzte und stöhnte, das knarrte und prasselte rund um mich her, über mir, unter mir und – in mir, denn es war mir ganz so, als habe der fürchterliche Teifun auch mich selbst, meine Knochen und Muskeln, meine Sehnen und Flechsen und jede Faser und Fiber meines Innern gepackt.
Der Kapitän hielt sich an einem der laufenden Taue und hatte die Seetrompete ergriffen. Nur ihr scharfer schneidigschriller Ton vermochte es, das entsetzliche Chaos des uns umtobenden Stimmengewirres zu durchdringen. Seine Kommandos wurden verstanden und trotz der herkulischen Anstrengung, welche dabei erforderlich war, schnell vollzogen. Eine Handvoll braver Topgasten oder Vorkastellmänner warf sich immer auf einen der bedrohten Punkte, und man muß in solchen Augenblicken diese starken, todesmutigen Leute gesehen haben, um zu begreifen, welchen Wert ein jeder einzige von ihnen besitzt. Drei Männer standen am Steuer und vermochten trotz aller ihrer Anstrengung nicht, dasselbe zu regieren; sie mußten die Taue zu Hilfe nehmen.
Die Wogen gingen so schwer, daß sie unter ihrer Wucht das Schiff zu zermalmen drohten; von Minute zu Minute brach eine hohe See über uns her, und der Hauptmast, an dem ich befestigt war, bog sich wie eine Schilf – oder Weidengerte. Das Sturmloch hatte sich verschlossen, und wir befanden uns in vollständiger Nacht, durch deren Finsternis nur der sprühende Schaum der Wogenkämme gespenstig leuchtete. So wütete der Orkan zwei, drei, vier Stunden lang. Ich hatte mich bisher keinem noch so fürchterlichen Prairiebrande, keinem noch so gefährlichen Thiere der Wildnis, keiner noch so drohenden Naturerscheinung gegenüber hilflos gefühlt; jetzt aber durchbebte mich die ganze Erkenntnis menschlicher Schwäche, die uns zu den Füßen des Allmächtigen in den Staub darniederwirft. Ich dachte an jenen Sturm auf dem See Genezareth und an den Hilferuf des gläubig vertrauenden Jüngers: »Herr, hilf uns; wir verderben!« Und ist das Schiff noch so fest und sicher gebaut, klopft in der Brust des Kapitäns ein noch so mutiges und erfahrenes Herz, und thuen die Mannen alle ihre Schuldigkeit, es bleibt doch jedem Augenblick die Macht vorbehalten, das Fahrzeug mit allem darauf wohnenden Leben zu verderben. Und dann —
»Dann sitzet an dem frühen Morgen
Das Wrack am öden, fernen Strand;
Dann ruhet alles, tief geborgen,
Dort unten in des Meeres Sand;
Da liegt der Mensch mit seinem Hoffen,
Mit all dem Glück, das ihm gelacht,
In seiner besten Kraft getroffen
Von einer einz’gen Wettersnacht.«
Ich hatte noch niemals einen solchen Aufruhr der Elemente erlebt und erwartete alle Sekunden, von meinem Haltpunkte losgerissen und in die kochende See geschleudert zu werden. Eine Regeling um den Bord herum gab es bereits nicht mehr, sie war zerschmettert worden von denjenigen Gegenständen, welche der wütende Sturm von ihren Plätzen gelöst und in das Meer geworfen hatte. Da trat mit einemmale eine minutenlange, lautlose Stille ein, während welcher man das laute, angestrengte Klopfen des Pulses zu hören vermocht hätte.
»Achtung, Jungens; jetzt kommt es doppelt!«
Kaum waren diese Worte des Kapitäns verklungen, so zuckte ein blendender Blitzstrahl hernieder, es erfolgte ein Donnerschlag, unter dem die ganze See erkrachte und die Erde zu bersten schien, und dann wühlte sich der Teifun in das Wasser, daß dieses die Spitzen unserer Masten zu überspringen schien; wir wurden von dem Wogenstrudel gepackt und um unsre eigne Achse gedreht – ein allgemeiner Schrei der Todesangst, ein entsetzliches Krachen und Prasseln und Schmettern, dann schwiegen die Lüfte so plötzlich wie auf den Taktschlag eines allmächtigen Dirigenten, und nur das Branden der Wogen gegen unsere Planken ließ sich vernehmen.
»Der Fock über Bord!« schrie der Kapitän mit Donnerstimme. »Kappt die Taue, schnell, kappt, kappt um Gottes willen!«
Alle Hände bewaffneten sich mit den Beilen. Das Schiff lag nach Starbord hinüber; eine Reihe von kräftigen, dumpfen Schlägen erfolgte – es rauschte und stürzte in den Fluten; das Schiff wankte und bog sich vorn tiefer, während eine Sturzsee nach der andern über das Deck rollte und uns in ihrem Wasser völlig begrub.
»Rascher, rascher, Jungens, sonst geht’s hinab mit uns!« schrie Turnerstick.
»Ahoi, Kapt’n!« rief der Bootsmann. »Spriet auch vom Bug – hängt am Fock!«
»Kappt, kappt auch dieses!« erklang die Antwort.
Zu gleicher Zeit griff er sich an mir vorüber nach vorn, um sich selbst vom Stande der Dinge zu überzeugen. Wieder ertönten die Schläge, dann spritzte es vor uns hoch empor, und der Bug hob sich in die Höhe.
»Ahoi, Maate, steht’s hinten gut?«
»Aye, aye, Sir!«
»Well! Zieht ein Reff auf, Jungens! Wir brauchen es, denn der Teifun ist vorüber.«
Er kam zu mir zurück.
»Ah, Charley, lebt Ihr noch?«
»Ein wenig!«
»Also ganz nicht? Glaube es. Werdet ein gutes Teil Salzwasser verschluckt haben, und das ist nicht jedermanns Sache. Wollt Ihr los?«
»Denke es, Sir. Ist diese Luft wirklich vorüber?«
»Natürlich. Der Teifun kommt plötzlich und nimmt ebenso rasch Abschied. Hat uns noch einen tüchtigen Fußtritt gegeben! Die See wird noch einige Stunden hoch gehen; Fock und Spriet samt Klüver sind fort, aber wenn wir unten noch heil sind, so will ich Gott danken, so gut davongekommen zu sein.«
Er band mich los, und ich hatte bei dem aufgeregten Wogengang, der nach und nach in eine erst schwere und dann leichte Deining überwechselte, alle Mühe, mich auf den Füßen zu erhalten. Die Wolkenhülle öffnete sich an mehreren Stellen; es wurde wieder Tag, und endlich rang sich auch der erste Sonnenstrahl wieder zu uns herab.
Auf dem Decke sah es fürchterlich aus, doch ging mich das jetzt nichts an, sondern ich stieg mit dem Kapitän hinab in den Raum, um dort nachzusehen. Im Frachtenraum herrschte eine wahrhaft heillose Verwirrung. Fässer, Ballen, Pakete und Kisten lagen wirr und ordnungslos durcheinander, und wir konnten uns erst nach langer Anstrengung eine Bahn durch dieses Chaos erzwingen. Kaum aber war dies geschehen, so schob mich der voransteigende Kapitän beiseite und eilte wieder empor.
»Was giebt’s, Kapt’n?«
»Wasser im Raum. Wir haben ein großes, ein gefährliches Leck!«
Er stieg an Deck, um die Leute an die Pumpen zu kommandieren, und ich gab mir Mühe, so schnell wie möglich das Schlauchwerk in Ordnung zu bringen. Bereits nach zwei Minuten begann die Arbeit, während der Schiffszimmermann das Leck aufzufinden und zu verstopfen suchte. Dies war eine harte Arbeit, gelang aber doch wenigstens so weit, daß wir uns für den Augenblick in Sicherheit befanden.
Die andern waren beschäftigt, das Verdeck von Splittern und Tauschlissen zu säubern, und dann wurde ein Interimsspriet vorgeschoben und auch einstweilen ein Hilfsmast an dem Fockstumpfe aufgerichtet. Auch die Reiling wurde so viel wie möglich wieder hergestellt, und dann hieß der Kapitän den Maate, grad nach Nord abzufallen.
»Jetzt wird es gehen bis Port Lloyd,« meinte er.
»Wie weit ist es noch bis dahin?«
»Habe bereits nachgesehen,« antwortete er. »Dieser Teifun hat uns im Kreise herumgetrieben. Ihr müßt nämlich wissen, Charley, daß dieser Kerl nicht etwa ein ehrlicher Sturm ist, der aus einer Richtung bläst, wie manche Seeleute und Gelehrten annehmen, sondern meist beschränkt er sich auf ein sehr kleines, scharf abgegrenztes Gebiet und bläst dann aus allen möglichen Himmelsbacken auf einmal hernieder. Es ist leicht möglich, daß wir uns im Teifun befinden, während einige Meilen davon ein anderes Schiff bei kleinem Winde vorübergeht, ohne etwas von dem Orkane zu bemerken, höchstens daß es sich über die an seinem Buge auslaufende Deining