Der blaurote Methusalem. Karl MayЧитать онлайн книгу.
gelte, und so kam ihm der Gedanke, sich als hohen Mandarin zu zeigen. Darum sagte er zu den andern:
»Es schickt sich nicht für uns, nach dem Hotel zu gehen. Leute wie wir, mit achtzehnhundert Li um den Hals, müssen fahren oder sich wenigstens eines Palankin bedienen. Dort sehe ich Sänftenträger stehen, mieten wir sie!«
Er deutete auf eine Gruppe von Kulis, welche mit ihren Sänften in der Nähe hielten.
»Habe keine Lust,« antwortete der Methusalem. »Bin so lange auf dem Schiffe gewesen, daß ich mich ordentlich darauf freue, mir die Beine einmal vertreten zu können.«
»So fehlt es Ihnen an der standesbewußten Segelkunst. Was mich betrifft, so bin ich Generalmajor und laufe nicht.«
»Ganz wie Sie wollen, Sir. Lassen Sie sich also vorantragen! Wir folgen Ihnen zu Fuße und treffen Sie im Hotel.«
»Schön! Sie werden sich selbst die Schuld zuzuschreiben haben, wenn man Sie dann nicht mit der Hochachtung behandelt, welche uns gebührt.«
Der Methusalem antwortete nicht darauf. Er fragte einen der Kuli nach dem Hongkonghotel, und als er auf die in englischer Sprache ausgesprochene Erkundigung eine in derselben Sprache gegebene Auskunft erhalten hatte, schritten die drei mit dem Hunde in der bisherigen Reihenfolge davon.
Dabei spielte um die Lippen des Studenten ein eigenartiges Lächeln. Er war vielleicht der Ansicht, daß er zu Fuße das Hotel wohl besser erreichen werde als der Kapitän in seiner Sänfte. Und daß er sich da nicht geirrt habe, sollte er schon nach wenigen Augenblicken erkennen.
Turnerstick war nämlich zu der Gruppe der Kulis getreten und hatte zu zweien derselben, welche die hübscheste Sänfte besaßen, gesagt:
»Was kosting es, mich von hier bis zum Hotelung Hongkong zu trageng?«
Sie sahen ihn verwundert an, schüttelten die Köpfe und einer antwortete:
»Yes, Sir; You are in Hong-kong.«
Er hatte nur das Wort Hongkong verstanden und war der Ansicht, Turnerstick wolle wissen, ob er sich in Hongkong befinde. Daß er ihn Sir nannte, war ein sicheres Zeichen, daß er ihn trotz der chinesischen Kleidung nicht für einen Sohn der Mitte hielt. Das erregte den Zorn des Kapitäns; er setzte den Klemmer auf sein Vorlukennäschen, warf dem Kuli durch denselben einen möglichst impertinenten Blick zu und sagte:
»Ich muß mir ausbitting, daß Ihr mit mir chinesisch sprechengt! Ich bin ein Mandaring der obersten Klassong und habe keine Lust, fremde Dialekting zu duldung! Also was habe ich von hier bis ins Hotel zu zahleng?«
»Hotel?« fragte der Kuli, welcher jetzt dieses eine Wort verstanden hatte.
»Ah, we shall to bear to Hong-kong-Hotel?«
»Ja, dorthing will ich getrageng seiang. Wieviel habeng ich dafür zu bezahlong?«
Da er bei dem »Ja« zustimmend nickte, so wurde er verstanden. Bei seiner letzten Frage machte er die Pantomime des Geldzählens, welche in aller Herren Länder ganz dieselbe ist. Darum wußte der Kuli, was er meine, und antwortete:
»Fifteen Fen or Candarins.«
»Fünfzehn Fen sind hundertfünfzig Li, also eine ganze Mark; das ist zu viel!« brummte der Kapitän vor sich hin. Und laut setzte er hinzu: »So viel zu bezahling kann mir nicht einfalleng. Ich bin chinesischer Mandaring und lasse mich von keinem Kuli überteuerong. Ihr sollt hundert Li bekommung, aber keinen Pfennig mehr!«
Er knüpfte eine der Schnüre auf, zählte hundert Li ab und gab sie dem einen der Kuli. Dieser zählte nach, sch üttelte den Kopf und sagte:
»Hundred-fifty Li, not hundred!«
»Ich gebe hundert; dabei hat‘s zu bleibing,« beharrte Turnerstick.
Der Kuli sah aus der Miene des Kapitäns, was dieser meinte, und entgegnete:
»Sir, do You are a miser, a niggard, a churl?«
»Was, ich solling ein Geizhals seiung? Ein Knicker? Das ist stark! Das ist im höchsteng Grade beleidigingd! Gebt mir mein Geld zurück! Ich werde mich von andern trageng lassung!«
Er rief das so laut und zornig, daß die zahlreichen Zuschauer sich in Erwartung einer Szene näher herandrängten. Die beiden Kulis wechselten einige halblaute chinesische Sätze, musterten Turnerstick noch einmal, und zwar genauer als vorher, und wollten ihm dann Bescheid sagen. Er aber kam ihnen zuvor, indem er, um ihnen zu imponieren, seinen riesigen Fächer öffnete und, auf die goldenen Zeichen deutend, sie anherrschte:
»Solltet ihr mir nicht anseheng, wer ich eigentlich bing, so lest hier meine Visitingkartong! Turningsticking, kuo-ngan ta-fu-tsiang! Ich bing Generalmajoring! Verstanding? Euch soll der Teufling holang, wenn ihr nicht pariereng wollt! Ihr tragt mich für hundert Li, sonst werde ich euch bei den Ohreng nehmang!«
Um dieser seiner Drohung Nachdruck zu geben, faßte er den Kuli beim Ohre und schüttelte ihn. Die Umstehenden ließen ein Gemurmel des Unwillens hören. Der Kuli aber beruhigte sie mit einigen chinesischen Worten, welche Turnerstick nicht verstand, und sagte unter einer tiefen Verbeugung zu ihm:
»Well, hundred Li; get into, Sir!«
Dabei öffnete er die Thür der Sänfte und lud durch eine Handbewegung den Kapitän ein, sich hineinzusetzen. Turnerstick freute sich über den Sieg, welchen er errungen zu haben meinte. Er beachtete die schadenfroh erwartungsvollen Blicke nicht, welche auf ihn gerichtet waren, und stieg ein.
Kaum hatte er es sich auf dem Polstersitze bequem gemacht, so hoben die beiden kräftigen Kulis die beiden Tragstangen auf ihre Schultern. Zugleich sprangen zwei andere Kulis herbei, einer an die rechte und der andere an die linke Seite der Sänfte. Der Boden der letzteren war beweglich; er konnte, wohl der bequemeren Reinigung wegen, nach unten geöffnet werden, indem man rechts und links je einen Haken aus seiner Oese zog. Die zwei letzterwähnten Kulis thaten dies; der Boden der Sänfte klappte nach unten auf; Turnerstick rutschte natürlich nach und kam auf die Beine zu stehen.
»Alle Teufel!« schrie er. »Was soll das heißing? Die Senftang ist anstatt des Bodengs mit einer Fallthür versehang! Ich will – — – «
Weiter kam er nicht, denn die beiden Träger setzten sich, ohne auf ihn zu achten, in Bewegung. Sie rannten nach dortiger Weise in raschem Trabe davon. Turnerstick steckte in der Sänfte und mußte mit traben, er mochte wollen oder nicht; aber sein Brüllen und Zetern war noch aus der Ferne zu hören. Die Zeugen dieses für ihn nicht sehr ehrenvollen Vorkommnisses lachten im stillen über den gelungenen Streich, ohne aber ihre Befriedigung laut werden zu lassen. Man mußte ja so thun, als ob der Unfall des »Generalmajors« gar nicht bemerkt worden sei.
Jedermann, an dem der seltsame Transport vorüberkam, blieb stehen. Man sah zwei Kulis mit einer verhängten Sänfte daherstürmen, deren Boden niederhing. Unten erblickte man zwei Beine, deren mit rotseidenen Schuhen bekleidete Füße konvulsivisch thätig waren, mit den Kulis gleichen Schritt zu halten. Dabei brüllte der unglückliche Besitzer dieser Beine in einem fort:
»Halt, Halt! Wollt ihr gleich anhalteng! Donner und Doria! Ich kann nicht mehr laufing; der Atheng geht mir aus! Halt, sage ich, ihr Schurking, halt, stopp, au – oh – ah!«
Der Anblick dieses eigenartigen Transportes mußte den ernstesten Menschen zum Lachen bringen. Ein Haufe Jungens und sonstiger müßiger Leute rannte schreiend, johlend und pfeifend hinterher. Am drastischsten wirkten die beiden ernsten Gesichter der Kulis, welche so große Eile zeigten und dabei gar nicht thaten, als ob sie wüßten, daß ihr Passagier zum Laufen gezwungen sei.
Sie mußten auch an dem Methusalem, Gottfried von Bouillon und Richard Stein vorüber. Diese drei hörten hinter sich die scheltende Stimme ihres Gefährten. Sie blieben stehen und blickten zurück. Da sahen sie, in welcher Lage sich ihr Turningsticking kuo-ngan ta-fu-tsiang befand; aber ehe es ihnen möglich war, einzuschreiten, waren die Kulis mit der Sänfte an ihnen vorübergesaust.
»Herrjott!« rief Gottfried von Bouillon. »Wat war das? Wenn das nicht die Beine unseres Seehelden jewesen sind, so kann ich mir nicht mehr auf meine eigenen Augen verlassen. Und seine Stimme war es auch. Wie kommt er dazu, in dieser Weise an uns vorüberzujondeln?«
»Man